Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser
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»Nun?« fragte Caplaun zum zweiten Male.
Polizeileutnant… Pension… Gratifikation… Gratifikation!… Der Herr Oberst war reich…
Aber da war zuerst die Anrede: »Sie dort… ja… Sie meine ich…« und die Bankaffäre… Und da war zweitens ein Lied, das begann: ›Plaisir d'amour…‹ und ein anderes, das die gleiche Stimme gesungen hatte: ›Si le roi m'avait donné Paris sa grand'ville…‹ Warum gaben die zwei Lieder den Ausschlag? Oder die Frau, die sie gesungen hatte? Logisch läßt sich ein Entschluß nie erklären… Genug, Studer sagte plötzlich und wandte sich an Dr. Laduner:
»Wissen Sie, wo sich der Herbert aufhält?« Er vergaß sogar das ›Ihr‹.
Laduner nickte schweigend.
»Dann«, sagte Studer, stand auf und reckte sich. »Dann muß ich leider das freundliche Anerbieten des Herrn Obersten ablehnen…«
»So… gut… ich verstehe… Ich werde die Konsequenzen zu ziehen wissen…«
Am liebsten hätte Studer dem Herrn Obersten geantwortet, er könne ihm in die Schuhe blasen. Aber das schickte sich nicht. So verbeugte er sich nur. Dr. Laduner erhob sich, öffnete die Tür…
Wie klein war doch der Herr Oberst!… Er hatte kurze Beine, die ein wenig nach außen gebogen waren. Draußen setzte er einen Panamahut mit rot-weißem Band auf, hing einen Regenschirm an seinen Arm und verschwand ohne Abschied durch die Gangtür. Der Panamahut und der Regenschirm! dachte Studer. Sie vervollständigten noch das Bild des Mannes.
»Isch er furt?« fragte Frau Laduner. Sie war bleich. Und ob der Wachtmeister bleibe. Sie schien gehorcht zu haben.
»Studer bleibt bei uns« sagte Laduner kurz und blickte in eine Ecke. »Ich schick ihn dir zum Tee hinauf. Du kannst ihm dann etwas vorsingen, Greti, er hat's verdient…«
Studer sah den Arzt mit offenem Munde an… War das ein Zufall, oder konnte der Herr Psychiater Gedanken lesen?
Laduner zog seinen Rock aus, holte draußen seinen weißen Arztmantel.
»Kommen Sie, Studer, ich will Ihnen etwas zeigen…«
Als sie über den Hof gingen, fühlte Studer plötzlich Laduners Hand, die seinen Oberarm packte und drückte. Dann ließ der Druck nach, doch die Hand blieb. Und so, sanft geführt, legte Studer den Weg zurück bis zur Tür des U 1. Er fürchtete die Facettenaugen nicht mehr, er beugte auch nicht den Kopf, als er unter dem Fenster vorbeiging, aus dem, nach Schüls Behauptung, Matto vorschnellte und zurück… Studer war zufrieden… Schließlich, ein Dank braucht ja nicht immer in Worten ausgedrückt zu werden… Man kann sich auch sonst verständigen…
Lieb und gut
»Hier morde ich also meine Patienten«, sagte Dr. Laduner und schloß die Türe zum U 1 auf. »Aber nicht meine Opfer will ich Ihnen zeigen, sondern etwas anderes.« Ein kahler Saal. Holztische, alt, rauh, fettig. Niedere Bänke ohne Lehne. Eine Tür stand offen gegen den Garten. Man war im Parterre.
An den Tischen saßen Männer und zupften an verfilzten Roßhaaren. Ihre Augen waren leer. Manchmal schnellte einer auf, tat, als ob er eine Fliege fangen müsse, sprang hoch in die Luft, kreischte, fiel zu Boden. Ein anderer schlich um Studer herum, näherte sich, seine Augen waren starr, und dann begann er mit flüsternder Stimme und in ganz selbstverständlichem Tone so unglaubliche Obszönitäten zu erzählen, daß Studer unwillkürlich zurückwich. Manche plapperten, es gab eine kleine Schlägerei, die von einem Manne in weißem Schurz besänftigt wurde. »Schwertfeger!« rief Dr. Laduner. Der Mann im weißen Schurz kam näher. Er war klein, mit gut entwickelten Armmuskeln und sah wie ein Melker aus…
»Das ist der Abteiliger vom U 1« stellte Laduner vor. »Und vom Wachtmeister Studer habt ihr doch schon gehört? Bringet mir den Leibundgut…«
Er zog Studer zur Gartentür, trat hinaus.
»Das wird dann noch geändert«, sagte er und zeigte in den Saal zurück. »Frisch gestrichen: bunte Bänke hinein, Bilder an die Wände… Aber man kann nicht alles auf einmal machen lassen. Übrigens, Studer, wenn ich Ihnen nun den Leibundgut vorstelle, so geschieht es nur, um Ihnen den Fall Caplaun deutlich zu machen… Sie werden mich schon verstehen… Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Studer… Leibundgut – im Dialekt spricht man es aus wie ›lieb und gut‹…«
Sie gingen um ein vertrampeltes Rasenstück, kamen zu einem Brünnlein, das Wasser stotterte. Die Blätter der Ahornbäume waren traurig, und die Sonne, zwischen Wolken, schien sehr heiß…
Schwertfeger kam mit einem Mann zurück, der ein verzerrtes Maul hatte. Und seine Augen blickten so grauenhaft angstvoll, daß es Studer fröstelte.
»Guete Tag, Liebundgut«, sagte Laduner freundlich. »Wie gaht's Ihne?« Man sah, daß der Mann sich Mühe gab, zu antworten. Die Lider klappten, der Mund arbeitete, aber er brachte nur ein rauhes Stammeln hervor.
Er nahm Laduners Hand, ließ sie wieder los. Plötzlich bückte er sich, legte die Hände flach auf den Kies, und so, auf allen vieren, sprach er in den Boden hinein.
»Danke, Herr Doktor«, sagte er. Rauh war die Stimme, aber doch deutlich. »Es geit vill besser. Chan i bald wieder hei?« Er stieß sich mit den Händen ab, stand aufrecht und blickte erwartungsvoll in Laduners Gesicht.
– Ob er es denn hier nicht besser habe als daheim bei den Brüdern? fragte Laduner.
Der Mann besann sich, ließ sich wieder auf alle viere nieder, und in dieser Stellung sagte er, mit der gleichen rauhen Stimme, er wolle die Freiheit, denn er müsse doch im Stalle arbeiten.
»Noch ein wenig Geduld, Leibundgut; ihr müßt zuerst ganz gesund werden und sprechen können, wie andere Leute auch.« Trauriges Kopf schütteln. Dann kam die Antwort, wieder gegen den Boden gesprochen, auf allen vieren: Das werde er nie mehr können.
»Geht an die Arbeit«, sagte Laduner freundlich. Und der Mann ging fort, mit gesenktem Kopf.
Laduners Gesicht war traurig. Er faßte Studer wieder am Arm und zog ihn zu einer Bank.
»Leibundgut Fritz, aus Gerzenstein, dreiundvierzig Jahre alt. Bewirtschaftet zusammen mit drei Brüdern ein mittelgroßes Heimetli… Er ist der Schwächste, nicht sehr gescheit. Aber gutmütig. Die Eltern sind gestorben. Die vier Brüder sind Junggesellen geblieben… Fritz muß schaffen, er ist nicht faul, aber er ist so gutmütig, daß er nie Geld verlangt, nie ins Wirtshaus geht, sondern immer daheim hockt. Sicher hat er nie eine Liebschaft gehabt. Die Brüder sind Sonderlinge. Sie quälen ihn nicht gerade, aber sie tyrannisieren ihn. Er läßt sich alles gefallen. In einer Winternacht vor sieben Monaten kommen sie zu dritt angeheitert heim. Fritz hat den Stall nicht ganz sauber geputzt. Sie holen ihn aus dem Bett, prügeln ihn, schmeißen ihn in den Brunnentrog, ziehen ihn wieder heraus, schlagen ihn noch einmal, lassen ihn dann liegen. Wenn er später ins Haus kriechen will, ist die Türe versperrt. Er bleibt die ganze Nacht draußen. Da er robust ist, wird er nicht krank.
Aber von diesem Tage an kann er zu niemandem mehr sprechen, wenn er auf zwei