Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet. Gerhard Rohlfs
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[Fußnote 9: Ich übersetze das Wort "drif", dessen er sich bediente so, eigentlich bedeutet es zart, elegant, fein gebildet.]
So unangenehm es auch war, auf diese Art auf Tritt und Schritt wie ein kleines Kind geschulmeistert zu werden, so lernte ich doch dadurch rasch die Sitten in ihren kleinsten Einzelheiten kennen. Am peinlichsten war mir immer die Essstunde; abgesehen davon, dass am Boden hockend aus einer Schüssel gegessen wird, und Jeder mit halb oder gar nicht gewaschener Hand ins Essen fährt, haben alle Marokkaner die sehr unangenehme Angewohnheit, zwischen und gleich nach dem Essen laut aufzustossen. "Veizeih's [Verzeih's] Gott," ist das Einzige, was so ein alter Schlemmer mit seiner unsauberen Erleichterung zugleich ausruft, und ein "Gott sei gelobt" der Anwesenden giebt die Billigung derselben zu erkennen.
Als endlich das Wetter sich aufheiterte, setzte ich in Begleitung eines Bauern aus der Umgegend von Tetuan meine Reise nach Uesan fort. Durch die strotzenden Gärten hatten wir bald den Ued Kus erreicht, setzten über und gingen auf die Berge los; obschon man den Weg recht gut in Einem Tage machen kann, nächtigten wir doch abermals, da der anhaltende Regen die Wege in dem Lehmboden fast grundlos gemacht hatte. Die Gegend wurde uns als gefährlich geschildert, doch schützte uns der Umstand, dass wir Uesan als Reiseziel hatten. Der Ruf des dortigen Grossscherif ist in der That so gross, dass Alle, die zu ihm pilgern, unter einem allgemein anerkannten Schutz stehen.
Die reizende Gegend, durch die wir zogen, jeder Hügel, jeder Berggipfel, wie in der Romagna mit einem Dorf oder Städtchen, machte einen grossen Eindruck auf mich. Mit grosser Freigebigkeit wurden wir Mittags in einem Orte, Kaschuka genannt, bewirthet, angestaunt von der ganzen Bevölkerung, welche wohl noch nie einen Deutschen gesehen hatte. In einem dem Grossscherif gehörenden Dorfe aus Zelten wurde übernachtet, und am anderen Morgen gegen 9 Uhr erreichten wir die heilige Pilgerstadt, das Mekka der Marokkaner.
Doch bevor ich den Leser mit Uesan bekannt mache, werfen wir auf Bodengestalt, Klima und Bevölkerung des ganzen Reiches einen Blick.
2. Bodengestalt und Klima
Das am nordwestlichen Ende von Afrika gelegene Kaiserreich Marokko, Rharb el djoani10 im Lande selbst genannt, ist von allen an das Mittelmeer grenzenden Ländern Nordafrika's eins der am günstigsten gelegenen. Es würde zu nichts führen, wollten wir versuchen, die Grösse des Landes in Zahlen anzugeben; selbst eine allgemeine Bezeichnung, dass Marokko zwischen den so und so vielten Längen- und Breitengraden liege, giebt nur annähernd einen Begriff und wechselt je nachdem wir die bedeutenden Oasen von Gurara, Tuat und Tidikelt, die fast bis zum 26° N. B. nach dem Süden und bis zum 22° O. L. von Ferro reichen, hinzurechnen oder nicht. Halten wir diese letzte Ausdehnung fest und rechnen die grossen Strecken wüsten Terrains, welche zwischen den Oasen und dem atlantischen Ocean liegen, hinzu, so können wir uns den besten Begriff von der Grösse Marokko's machen, wenn wir dann aus der Karte ersehen, dass es um ein Drittel grösser ist, als Frankreich,11 ohne diese Gebiete aber ungefähr mit Deutschland eine gleiche Grösse hat.
[Fußnote 10: Der Name Maghreb el aksa ist im Lande selbst nicht bekannt und gebräuchlich, wohl aber sagt man Rharb schlechtweg, oder Bled-es-Sidi- Mohammed, oder bled Fes nach der Hauptstadt. Das Wort djoani bedeutet nach Wetzstein das "innere" und "eigentliche", also der innere und eigentliche Westen.]
[Fußnote 11: Klöden und Behm 12,210 Quadrat-Meilen. Renou 5775 Myriam.-Q.- M. Beaumier 5000 M.-Q.-M. Daniel ca. 13,000 Q.-M. A. Rey und Xavier Durrieu 24,379 Lieues car. Gråberg de Hemsö 219,400 Q.-M. italiane. Jardine 50,000 (englische) Q.-M. Donndorf 7425 Q.-M. J. Duval 57,000,000 Hectars und in Berlings Staatszeitung von 1778 giebt Tempelmann 6287 Q.-M. für Fes, Tafilet und Marokko an.]
Wenige Länder von Afrika haben im Verhältniss zum Binnenlande eine so grosse Küstenentwickelung. Die Gestadelänge Marokko's am atlantischen Ocean beträgt 1265, die an der Meerenge von Gibraltar 60, die am Mittelmeere 425 Kilometer, während die Landgrenze nur eine Länge von 250 Kilometer hat.12
[Fußnote 12: Nach Renou, der Tuat etc. nicht mit in seine Berechnungen gezogen hat.]
Was die Küsten ihrer Beschaffenheit nach anbetrifft, so fallen dieselben im Norden nach dem Mittelmeere steil ab mit unzähligen Buchten, die aber zu klein sind, um einen guten Hafen zu bilden. Dennoch sind sie gross genug, um den Rif-Piraten mit ihren kleinen Fahrzeugen Versteck und Sicherheit gegen Sturm und stürmische Witterung zu gewähren. Indess fehlen die guten Ankerplätze auch nicht. Zwischen den Djafarin-Inseln und an der Küste bei Melilla, bei Ceuta, haben grosse Schiffe vollkommenen Schutz, und noch andere Häfen würden sich mit geringen Mitteln herstellen lassen, so namentlich die grosse Bucht von Alhucemas, fast gegenüber von Malaga, liesse sich mit leichter Mühe zu einem prächtigen Ankerplatz umwandeln.
An der Strasse von Gibraltar liegt Tanger mit einer zu weiten Bucht, um nur als sichere Rhede betrachtet werden zu können; der einstige kleine Hafen der Stadt Tanger wurde von den Engländern, als sie 1684 Tanger freiwillig den Marokkanern überliessen, zerstört.
Die ganze nun folgende längs des atlantischen Oceans in südwestlicher Richtung streichende Küste ist vollkommen flach und sanft das Meer hinabsteigend bis südlich von Mogador. Aeusserst gefährlich für die Schifffahrt, besonders bei nebeliger Witterung, hat man durchschnittlich in einer Entfernung von dreissig Seemeilen erst hundert Faden Wasser. Hohe Sanddünen hat das Meer an dieser langen Küste ausgeworfen, die einen eigenthümlichen Anblick gewähren, weil sie nach der Landseite, oft auch nach der Seeseite zu nicht kahl, sondern mit Lentisken bewachsen sind. Und wahrscheinlich durch den Wind beeinflusst, bilden diese fünf bis acht Fuss hohen Lentiskenbüsche ein vollkommen den Dünen glatt angepasstes Ganze, als ob sie gleichmässig oberhalb derselben beschnitten wären. Gute Häfen würden allerdings mit leichter Mühe herzustellen, der Unterhalt indessen wegen des immer stark vom Meere ausgeworfenen Sandes kostspielig sein. Andererseits haben fast alle Mündungen der grösseren Flüsse, die wohl gut zu Häfen eingerichtet werden könnten, sehr starke Barren.
Gleich südlich von Mogador, wo die Küste von Nord nach Süd bis Agadir läuft, ist sie schroff ins Meer abfallend. Bei Agadir ist offenbar der beste natürliche Ankerplatz, aber vollkommene Sicherheit haben auch hier die Seeschiffe nicht. Von hier an weiter nach dem Süden bewahrt die Küste wieder ihren Dünencharakter, die Berge treten nicht mehr bis unmittelbar an den Ocean hinan.
An bedeutenden, bis ans Meer hineinragenden spitzen Vorgebirgen hat man im Mittelmeer das Cap Tres Forcas oder Ras el Deir; westlich von Melilla gelegen, hat diese Landzunge eine Länge von ungefähr zwanzig Kilometer auf circa sieben Kilometer Breite, und die nordwestliche hat noch auf den Seekarten den speciellen Namen Cap Viego. Das weltbekannte Cap Espartel oder Ras el kebir13 streckt sich nach Europa hin, während die nordöstliche