Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet. Gerhard Rohlfs
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[Fußnote 13: Auf den Karten auch Ras Idjberdil genannt.]
Ein gewaltiges Gebirge, der Atlas, durchzieht Marokko von Südwest nach Nordost. Wir würden zu irren glauben, wenn wir die Gebirge Algeriens zum grossen Atlas rechnen wollten; mögen die französischen Geographen dort immerhin ihre der Küste parallel laufenden Gebirge als grossen und kleinen Atlas bezeichnen, mögen die Franzosen für die Gebirge Algeriens den Namen Atlas beanspruchen—wer beide Länder bereist hat, wird finden, dass Algerien nur ausgedehnte Hochebenen mit davorliegenden Gebirgsketten besitzt, der grosse Atlas ist nur in Marokko, und in dieser Beziehung gilt auch das Zeugniss der Alten, welche den grossen Atlas beim Cap Gher entspringen und beim heutigen Cap Ras el Deir enden liessen, oder umgekehrt.
Im Grossen, kann man sagen, hat der Atlas eine hufeisenförmige Gestalt. Geöffnet nach Nordwesten, ist die Spitze seines einen Schenkels das Vorgebirge Ras el Deir, die Spitze des andern das Vorgebirge Gher. Der Atlas bildet eine Hauptkette, welche durchschnittlich nach dem Nordwesten, d.h. also nach der dem eigentlichen Marokko zugekehrten Seite durch breite Terrassen allmälig ins Tiefland sich hineinzieht. Nach dem Südosten zu senkrecht und steil abfallend, zweigt sich indess auf ungefähr 31° N. B., 12° O. L. von Ferro eine bedeutende Kette nach Süd-Südwest ab und läuft demnach fast mit der Hauptkette des Atlas parallel. Der Abzweigungspunkt giebt dem Sus Ursprung. Etwas weiter von diesem Punkte haben wir überhaupt den eigentlichen Knotenpunkt des grossen Atlas, den "St. Gotthard" dieses Gebirges. Wie bei den Schweizeralpen ist aber auch hier nicht der höchste Gebirgspunkt, dieser scheint im Südwesten zu liegen, etwa südlich von der Stadt Marokko.
Südlich von dieser Stadt haben wir den von Washington gemessenen Djebel Miltsin mit 11,700 Fuss. [3475 Meter.] Höst berichtet von diesem Berge, dass nur Einmal innerhalb eines Zeitraumes von zwanzig Jahren sein Schnee geschmolzen sei, obschon Humboldt für diese Breite die Grenze des ewigen Schnees höher angiebt. Es ist dies um so auffallender, als man gerade hier erwarten sollte, die Schneegrenze höher zu finden. Es ist also wohl anzunehmen, dass Washington's Rechnung nicht ganz richtig gewesen ist. Der Etna z.B. bei einer Höhe von 10,849 Fuss und fast 7° nördlicher gelegen, hat nie Schnee im Sommer (das, was in einigen Felsspalten liegen bleibt, ist kaum zu rechnen und zum Theil künstlich von den Bewohnern Catania's zusammengetragen, um im Sommer benutzt zu werden). Nach den Aussagen der Bewohner dortiger Gegend verlieren die höchsten Atlaspunkte den Schnee nie. Bei der Uebersteigung des grossen Atlas, die ich selbst später zwischen Fes und Tafilet, und etwas westlich vom Knotenpunkt des Gebirges ausführte, erlaubte mir mein mangelhaftes Aneroid nicht, auch nur annähernd richtige Messungen zu machen. Zu der Zeit verstand man bloss Aneroide zu construiren, mit denen man höchstens bis 1000 Meter messen konnte; das meine zeigte nicht einmal so hoch. Wenn ich aber bedenke, dass dasselbe schon auf dem ersten Absatz, auf der Terrasse südlich von Fes und Mikenes, zum Gebiete der Beni-Mtir gehörend, den Dienst versagte, dass ich dann aber, mehrere Tage nach einander immer steigend, verschiedene Terrassen und Plateaux zu überwinden hatte, so glaube ich, dass die höchste Passhöhe auf dieser Strecke, "Tamarakuit" genannt, kaum unter 9000 Fuss sein dürfte. Aber wie hoch thürmten sich daneben und nach allen Seiten hin die schneeigen Spitzen des Atlas selbst auf! Späteren Zeiten und späteren Forschern muss dies zu erforschen vorbehalten bleiben.
Von diesem Knotenpunkt aus werden noch einzelne Ketten nach dem Osten und Süden gesandt, im Ganzen hört aber der Charakter als Kette nach diesen Richtungen auf: das Gebirge erweist sich mehr als ein Gewirr von einzelnen schroffen Felsen und zerklüfteten Bergen. Aber die Hauptkette des Atlas ist erhalten, sie geht mittelst der Djebelaya (Gebirgsland) und dem Djebel Garet direct nach Norden, um mit dem Cap Ras el Deir am Mittelmeer zu enden. Vorher jedoch, etwa auf dem 14° O. L. von Ferro und 34° 40' N. B. entsendet diese Hauptkette einen Zweig gegen Nordwesten; es ist das Rifgebirge, welches an der Strasse von Gibraltar sein Ende erreicht. Ausserdem schickt der grosse Atlas zahlreiche kleinere Zweige in das von ihm umschlossene Dreieck zwischen Ras el Deir und Ras Gher. So sind die Gebirge bei Uesan, die Berge nördlich von Mikenes nur Ausläufer des nördlichen Riesengebirges, welches selbst weiter nichts als ein Zweig des Atlas ist, während das sogenannte Djebel el Hadid ein directer Zweig des grossen Atlas ist, obschon Leo sagt:14 "Der Berg Gebel el Hadid genannt, gehört nicht zum Atlas; denn er fängt gegen Norden am Gestade des Oceans an und dehnt sich nach Süden am Flusse Tensift aus." Von den Höhen des Rif-Gebirges sind nur die vom Meere aus gemessenen Punkte bekannt, deren es bis zur Höhe von circa 7000 Fuss15 giebt; weiter nach dem Süden dürften in dieser Kette Berge von noch bedeutenderer Höhe sein und diese mindestens dem Djurdjura-Gebirge in Algerien gleichkommen.
[Fußnote 14: Leo, Uebersetzung von Lorsmann.]
[Fußnote 15: Stielers Atlas und Petermanns Mittheilungen, 1865, Taf. 6.]
Haben wir somit durch Zeichnung der Hauptlinien der Gebirge von Marokko ein Bild gewonnen, so bleibt uns nur übrig zu sagen, dass alles Land von der nördlichen Kante des Atlas bis zum atlantischen Ocean und Mittelmeer vollkommen culturfähig ist. Der Ausdruck "Tel" für culturfähiges Land ist in Marokko nicht bekannt. Solche Gegenden und Unterschiede davon, existiren nur in Algerien, durch die Bodenbeschaffenheit bedingt. Der einzige Strich nördlich in Marokko, d.h. auf der Abdachung nach dem Mittelmeere zu, der nicht die Fruchtbarkeit des vollkommen culturfähigen Landes besitzt, ist das sogenannte Angad, südlich vom Gebirge der Beni- Snassen und vom mittleren Laufe der Muluya durchzogen. Aber keineswegs ist dieser Boden hier wüstenhaft, steril und vegetationslos, ebensowenig, wie es die Hochebenen Algeriens südlich von Sebda, Saida oder Tiaret sind. Wenn nur der feuchte Niederschlag reichlich ist und zur rechten Zeit erfolgt, sehen wir überall den Boden in Acker umgewandelt. So im Angad auch, eine Landschaft, die seit dem unglücklichen Versuch Ali Bey's el Abassi, durchzureisen, als vollkommene Wüste verrufen, aber nichts weniger als vegetations- und wasserlos ist. Sie wird durchflossen von einem der mächtigsten Ströme Marokko's, ist das nicht schon bezeichnend genug?
Marokko, auf diese Art ausgezeichnet, ist das Land von Nordafrika, welches den breitesten Gürtel von culturfähigem Lande hat, und dies nicht nur nördlich vom grossen Atlas, sondern auch das lang gezogene Dreieck südlich von demselben, durch diesen und seine nach Südsüdwest gesandten Zweige eingeschlossen: das ganze Sus-Thal ist zum Anbau geeignet.
Wie Algerien und Tunis, so hat auch Marokko seine Vorwüste. Wir verstehen für Marokko unter diesem Namen den Raum, der sich hinerstreckt vom atlantischen Ocean bis zur Grenze von Algerien einerseits, vom Südabhange des Atlas bis zu den Breiten, welche durch die Südpunkte der grossen Oasen gehen, andererseits. Wir schliessen jedoch Tuat von dieser Vorwüste aus, beanspruchen diese Oase im Gegentheil für die grosse Wüste. Auch diese Vorwüste, oder, wie die Franzosen in Algerien das entsprechende Terrain benennen, "petit desert", ist keineswegs ohne Cultur und nach rechtzeitigem Regen sieht man auch hier manchmal Getreide aus dem Boden sprossen, wo vordem der Wanderer jede Cultur für vollkommen unmöglich gehalten haben würde.
Wie der ganze Norden von Afrika, d.h. besonders die Berberstaaten in Bodenformation dasselbe Gepräge zeigt, wie wir es in den übrigen um das Mittelmeer gruppirten Ländern finden, so zeigen auch die Flüsse Marokko's einen Lauf, der nicht abweichend ist von dem der anderen Länder, d.h. sie sind nicht unverhältnissmässig lang, haben zahlreiche Krümmungen und eine starke Verästelung nach der Quelle zu. Jene langgezogenen Wasserläufe, ohne Nebenflüsse, wie sie der übrige weite Norden von Afrika so häufig aufzuweisen hat, und deren Bilder wir am besten im Draa, Irharhar und Nil wiedergegeben sehen, giebt es im eigentlichen Marokko nicht.
Einer der bedeutendsten Ströme von Nordafrika (Nil natürlich ausgenommen) unter denen, die dem Mittelmeer