Die zärtliche Versuchung. Barbara Cartland
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Читать онлайн книгу Die zärtliche Versuchung - Barbara Cartland страница 4
„Das ist allerdings nicht verwunderlich, Torilla“, sagte Abby. „Fernford ist dein Zuhause. Wenn deine Mama nicht gestorben wäre, wärst du heute noch dort. Wir hätten nie hierher kommen sollen, ich denke das fast stündlich.“
Torilla lächelte. Wie oft die gute Abby das betonte! „Aber du weißt doch, was es für Papa bedeutet“, sagte sie.
Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als sie die Haustür ins Schloß fallen hörte.
„Da ist er!“ rief sie. „Bring schnell das Essen auf den Tisch, Abby, sonst läuft er wieder mit leerem Magen davon. Und ich frage ihn jetzt gleich.“
Torilla verließ die Küche und lief durch den schmalen, düsteren Gang, der zu der reichlich theatralischen Diele führte.
Reverend Augustus Clifford, der Vikar von Barrowfield, hängte gerade seinen Hut auf. Er war ein gutaussehender Mann, der älter aussah, als er in Wirklichkeit war. Seine Haare waren fast völlig grau, sein hageres Gesicht hatte tiefe Falten. Er wirkte wie ein Mensch, der sich zu viel zumutete und über seine Kräfte lebte.
Seine Miene war besorgt, doch als er Torilla auf sich zukommen sah, lächelte er.
„Siehst du, Torilla“, sagte er, „ich bin ausnahmsweise einmal pünktlich.“
„Das ist lieb von dir, Papa. Das Essen ist auch schon fertig. Es wäre jammerschade gewesen, wenn die Hammelkeule, die uns Shipton geschenkt hat, zu lange im Rohr gewesen wäre.“
„Ja, natürlich“, sagte der Vikar. „Wenn sie groß genug ist, dann könnten wir doch eigentlich...“
„Nein, Papa“, schnitt ihm Torilla das Wort ab, „wir können niemandem etwas davon abgeben. Bitte, komm mit ins Eßzimmer, ich muß dir nämlich etwas erzählen.“
Der Vikar nickte, und sie gingen zusammen in das kleine, dunkle Zimmer, dessen Fenster nach Norden zeigten.
Sie hatten ein paar gute Möbelstücke mitgebracht, als sie hierher umgezogen waren, aber die Vorhänge waren aus einem einfachen Stoff, und trotz aller Mühe, die sich Torilla und Abby gegeben hatten, sie so zu raffen, wie sie es von Fernleigh Hall her kannten, wirkten sie billig.
Elizabeth, die jüngere Schwester der Gräfin von Fernleigh, hatte Augustus Clifford geheiratet, als dieser Hilfspfarrer der Gemeinde von St. George am Hanover Square in London gewesen war.
Um seiner Frau einen Gefallen zu tun, hatte ihn der Graf von Fernleigh als Vikar in seinen kleinen Sprengel von Fernford geholt, und so war es gekommen, daß Torilla und Beryl zusammen auf dem Besitz in Hertfordshire aufgewachsen waren. Für die beiden Kusinen war dieses Arrangement sehr erfreulich gewesen, und die Tatsache, daß Beryl zwei Jahre älter war als Torilla, hatte nie etwas ausgemacht. Torilla war die weitaus klügere der beiden jungen Mädchen, und wenn jemand im Unterricht hinterher gehinkt war, dann nicht sie, sondern Beryl.
Da die Gräfin von Fernleigh fast das ganze Jahr über in London gelebt hatte, hatte Beryl mehr Zeit mit ihrer Tante als mit ihrer Mutter verbracht. Sie hatte Mrs. Clifford geliebt, und als diese eines kalten Winters völlig unerwartet gestorben war, war sie fast ebenso untröstlich gewesen wie Torilla.
Durch den Tod der Mutter hatte sich Torillas Leben völlig geändert. Ihr Vater hatte nur eine Möglichkeit gesehen - das Haus zu verlassen, in dem er mit seiner Frau so glücklich gewesen war. Er hatte nicht mehr in der ruhigen Landgemeinde arbeiten wollen, wo es im Grunde wenig zu tun gab. Deshalb hatte er um Versetzung in eine der ärmsten Gegenden des Nordens gebeten und war zwei Monate nach dem Tod seiner Frau nach Barrowfield berufen worden.
Alles war so schnell gegangen, daß Torilla kaum begriffen hatte, welche Veränderung sich anbahnte, bis sie sich plötzlich in einer völlig fremden Umgebung wiederfand und nur noch Abby hatte, an die sie sich in ihrem Unglück klammern konnte. Für Augustus Clifford hatte die Veränderung Ablenkung von seinem Kummer und vor allem die berufliche Erfüllung gebracht, die er letztlich sein ganzes Leben lang gesucht hatte. Von dem Wunsch getrieben, Menschen zu helfen, die weniger begütert waren als er selbst und von sehr sozialem Denken beseelt, hatte er sich mit aller Kraft auf die Probleme und Schwierigkeiten gestürzt, denen er im Elend dieser Bergbausiedlung begegnet war.
In seinen Bemühungen zur Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Gemeindemitglieder wäre Augustus Clifford ohne Schlaf und ohne Essen geblieben, hätten nicht Torilla und Abby dafür gesorgt, daß er einen gewissen Rhythmus einhielt.
Jeder Pfennig seines spärlichen Gehalts und des geringen Privatvermögens, den er erübrigen konnte, wurde für wohltätige Zwecke ausgegeben. Sie hätten gehungert, hätte nicht Abby darauf bestanden, genug Haushaltsgeld zu bekommen, sobald das Gehalt überwiesen war.
Als sie sich jetzt an den Eßtisch setzten, wußte Torilla, daß die Hauptschwierigkeit darin bestand, von ihrem Vater das Geld für die Reise zu bekommen.
„Ich habe heute einen Brief von Beryl erhalten, Papa“, sagte sie, als sich der Vikar gerade ein Glas Wasser eingoß und Abby den Hammelschlegel brachte.
„Von Beryl?“ fragte Augustus Clifford, als sei ihm dieser Name kein Begriff.
„Beryl heiratet bald, Papa. Sie fragt, ob ich nicht kommen und ihr bei den Vorbereitungen helfen kann. Außerdem soll ich Brautjungfer werden.“
„Ach, Beryl!“ rief der Vikar und machte sich daran, das Fleisch aufzuschneiden.
„Du hast doch nichts dagegen, Papa, oder?“ fragte Torilla.
„Nein, nein, natürlich nicht“, entgegnete Augustus Clifford. „Aber ich glaube kaum, daß wir es uns leisten können.“
„Wenn ich mit der Postkutsche fahre“, sagte Torilla, „und Abby hier bleibt - sie muß ja hier bleiben, damit sich jemand um dich kümmert -, dann wird es nicht so teuer.“
Anfangs hatte sie gehofft, Abby mitnehmen zu können, doch jetzt wußte sie, daß es unmöglich war. Nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem, weil ihr Vater allein nicht zurechtkam. Abby schaffte weitaus besser als sie, den Vater dazu zu bewegen, etwas zu essen und genügend zu schlafen.
„Ich hatte mir vorgenommen“, sagte der Vikar, „jeden roten Heller, den wir abknapsen können, Mrs. Coxwood zukommen zu lassen. Sie erwartet das neunte Kind, und ihre älteste Tochter hat die Schwindsucht.“
„Die Coxwoods tun mir von Herzen leid, Papa“, entgegnete Torilla, „aber du weißt so gut wie ich, daß Mr. Coxwood jeden Freitagabend in der Wirtschaft sitzt und den halben Wochenlohn vertrinkt.“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Augustus Clifford, „aber der Mann hat es auch nicht leicht. Kein Wunder, wenn er ab und zu ein Glas trinkt.“
„Und seine Kinder verhungern läßt“, fügte Torilla hinzu.
„Die zweite Tochter wird diesen Monat fünf, und ich glaube, sie wollen sie zum Arbeiten ins Bergwerk schicken.“
„Oh nein!“ rief Torilla. „Das ist ja grauenvoll. Weißt du noch, wie schlecht es der kleinen Barnsby gegangen ist? Wenn ein Kind den ganzen Tag im Schacht bis zu den Waden im Wasser steht, ist es aber auch kein Wunder, wenn es Lungenentzündung bekommt.“
Der Vikar stieß einen tiefen