Die zärtliche Versuchung. Barbara Cartland
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Читать онлайн книгу Die zärtliche Versuchung - Barbara Cartland страница 5
„Ich habe genug hier“, sagte Augustus Clifford und sah auf das winzige Stück Fleisch, das auf seinem Teller lag.
„Ich nehme diese Hammelkeule nicht vom Tisch, Sir, bis Sie nicht anständig gegessen haben.“
Abby hatte den liebevoll strengen Ton einer Kinderfrau angenommen, die mit einem widerspenstigen Zögling spricht.
Der Vikar schnitt sich noch zwei hauchdünne Scheiben Fleisch ab und legte sie auf seinen Teller.
Nachdem Abby so lange gewartet hatte, bis sich der Vikar auch noch Kartoffeln und Kohl aufgetan hatte, wartete sie, bis Torillas Teller leer war.
„Bist du so lieb, Torilla, und holst mir den Auflauf aus dem Rohr?“ sagte sie dann.
„Ja, gern“, antwortete Torilla.
Abby gab ihr die Fleischplatte, und Torilla ging damit in die Küche. Sie wußte, daß Abby sie hinausgeschickt hatte, um allein mit dem Vikar sprechen zu können.
Sie war noch kaum aus dem Zimmer, als Abby auch schon tief Luft holte. „Miss Torilla hat Ihnen doch gesagt, Sir“, begann sie, „daß sie nach Fernleigh Hall eingeladen worden ist.“
„Ja, das hat sie mir gesagt“, entgegnete der Vikar. „Aber leider wird sie nicht fahren, weil wir es uns nicht leisten können. Auch die Postkutsche kostet Geld, und bis Hertfordshire ist es ein weiter Weg.“
„Aber es wird höchste Zeit, Sir - wenn Sie mir die Offenheit verzeihen -, daß Miss Torilla endlich wieder einmal unter anständige Menschen kommt.“
Augustus Clifford sah erstaunt hoch, und Abby sprach weiter, ehe er zu Wort kommen konnte.
„Ist Ihnen eigentlich klar“, fuhr sie fort, „daß Miss Torilla nun schon fast zwei Jahre hier ist und kaum ein Wort mit einer Lady oder einem Gentleman gewechselt hat? Ihre Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüßte, wohin das arme Mädchen geraten ist. Jawohl - das ist die Wahrheit.“
Der Vikar runzelte die Stirn. „Das habe ich mir noch gar nicht überlegt, Abby“, sagte er.
„Aber ich habe es mir überlegt, Sir. Miss Torilla ist achtzehn, und wenn ihre Frau noch am Leben wäre, Sir - Gott sei ihrer Seele gnädig, dann würde sie sich nach einem passenden Mann für Miss Torilla umsehen. Sie würde Feste für sie geben und Freunde ihres Alters einladen.“ Abby seufzte verächtlich. „Und was für Leute könnten wir hier einladen?“ fragte sie. „Abgerissene, schmutzige Kerle, denen der Kohlenstaub in den Haaren hängt.“
Der Vikar wollte etwas sagen, kam aber nicht zu Wort.
„Ich weiß, ich weiß, Sir, auch sie haben Seelen, die gerettet werden müssen, sind Christen und in den Augen Gottes nicht anders als wir. Aber Sie erwarten doch nicht, daß Miss Torilla einen Bergarbeiter heiratet, oder?“
Augustus Clifford zuckte verlegen mit den Schultern.
„Ehrlich, Abby, ich habe noch nicht darüber nachgedacht, daß Torilla ja eigentlich erwachsen ist.“
„Das ist sie aber inzwischen, Sir, und es ist eine Schande, wirklich eine Schande, daß sie hier in diesem gottverlassenen Nest bei lebendigem Leib begraben ist - und das ist sie, das können Sie mir glauben, Sir.“
„Aber ich werde doch hier gebraucht“, sagte der Vikar, als müsse er sich verteidigen.
„Das mag schon stimmen, Sir“, entgegnete Abby. „Und ich behaupte ja nicht, daß Sie nicht die Arbeit Gottes tun und sie gern tun. Es ist sozusagen Ihr Beruf, Sir, aber Miss Torilla ist kein Pfarrer, sondern ein junges Mädchen und noch dazu ein sehr hübsches.“
Mehr konnte Abby nicht sagen, denn Torilla kam mit einem kleinen Auflauf zurück, der auf eine reichlich große, runde Platte gestürzt war. Sie stellte die Platte vor ihren Vater, der so in Gedanken war, daß er sie überhaupt nicht wahrnahm.
Torilla warf Abby einen ängstlichen Blick zu, doch die Haushälterin ließ sich nicht beirren. Sie wechselte die Teller und drückte dem Vikar resolut einen Vorlegelöffel in die Hand.
Augustus Clifford sah erst auf den Löffel, dann hob er den Blick und ließ ihn von Abby zu Torilla schweifen
„Sie haben recht, Abby“, sagte er schließlich. „Torilla muß einmal hier raus und andere Leute sehen. Das Geld werden wir schon irgendwie aufbringen.“
Von dem Auflauf probierte er nur einen knappen Löffel voll. Erst als er das Haus wieder verlassen hatte, konnte Torilla mit Abby reden.
„Du hast Papa dazu überredet, Abby“, sagte das junge Mädchen. „Ich fühle mich jetzt richtig schuldig. Er wollte das Geld, das er jetzt für mich ausgibt, doch den Coxwoods zukommen lassen.“
„Diese Coxwoods haben schon viel zu viel von deinem Vater gekriegt“, sagte Abby zornig. „Diese Frau ist eine Heulsuse, und der Vikar glaubt ihr in seiner Gutmütigkeit jedes Wort.“
„Ich weiß, Abby, aber Papa hat es hier auch wirklich schwer. Das Elend der Menschen macht ihn krank. Wenn wenigstens die Kinder nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen würden!“
Sie stieß einen Seufzer aus.
„Vielleicht ist es wahnsinnig egoistisch von mir“, fuhr sie fort. „Wenn ich hier bleibe und Papa das Geld den Coxwoods gibt, dann ist vielleicht wenigstens einer Familie geholfen.“
„Und wenn hundert Coxwoods verhungern“, sagte Abby mit Bestimmtheit, „du fährst zu deiner Kusine.“
„Aber ich sollte Papa vielleicht nicht allein lassen.“
„Du wirst diese Einladung annehmen, Torilla“, sagte Abby streng. „Und jetzt setz dich hin, beantworte den Brief und schreibe deiner Kusine, daß du am Montag losfährst.“
„Aber, Abby, das ist ja schon übermorgen.“
„Je früher, desto besser“, sagte Abby. „Und wegen deines Vaters brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich kümmere mich schon um ihn, das weißt du.“
„Auf dich hört er viel mehr als auf mich“, meinte Torilla und lächelte. „Ich hätte ihn nie dazu bringen können, sich noch Fleisch zu nehmen. Er hat zwar nichts gesagt, aber ich glaube, es hat ihm richtig gut geschmeckt.“
„Diese Hammelkeule reicht uns bis Ende der Woche“, sagte Abby. „Dein Vater braucht mehr Fleisch. Wenn er satt ist, macht er sich nicht so viele Sorgen um die Armen und Kranken.“
Torilla wußte, wie weh es ihm tat, dieses Elend täglich mit ansehen zu müssen. Aber er war nicht der Einzige, der litt. Auch ihr krampfte sich das Herz zusammen, wenn sie sah, wie kleine Kinder in den Bergwerken arbeiten mußten und ausgepeitscht wurden, wenn sie weinten oder einschliefen. Der Erfolg war erschütternd. Frauen von dreißig waren alt, verbraucht und meistens von irgendeiner Krankheit befallen. Sie konnte es verstehen, daß die Männer in ihrer Verzweiflung ins Gasthaus liefen und ihr Elend in Bier ertränken wollten.
In dieser trostlosen Gegend hatten die Menschen nicht einmal das Existenzminimum, und fast täglich brachte Torilla kranken Frauen und Kindern, die nie genug zu essen bekamen, einen Topf Suppe. Aber sie hatte ja selbst so wenig. Wenn Abby ihrem Vater