Schloss Gripsholm. Kurt Tucholsky
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Читать онлайн книгу Schloss Gripsholm - Kurt Tucholsky страница 6
»Da bleibt einem ja die Luft weg!« sagte die Prinzessin, als wir draußen waren. »Die sind doch keineswegs alle so …?« – »Nein, die Gattung darf man das nicht entgelten lassen. Das Haus ist ein stehengebliebenes Plüschsofa aus den neunziger Jahren, keineswegs sind sie alle so. Der Mann hätte seine Schokoladenbildchen gradesogut mit kleinen Feen und Gnomen bevölkern können … Aber denk dir nur mal ein ganzes Museum mit solch realisierten Wunschträumen – das müsste schön sein!«
»Und dann ist es so – blutärmlich!« sagte die Prinzessin. »Na, jeder sein eigner Unterleib! Und daraufhin wollen wir wohl einen Schnaps trinken!« Das taten wir.
Stadt und Straßen … der große Tiergarten, der dem König gehört und in dem die wilden zahmen Hirsche herumlaufen und sich, wenn es ihnen grade passt, am Hals krauen lassen, und so hohe, alte Bäume …
Abfahrt. »Wie wird das eigentlich mit der Sprache?« fragte die Prinzessin, als wir im Zug nach Helsingör saßen. »Du warst doch schon mal da. Sprichst du denn nun gut schwedisch?« – »Ich mache das so«, sagte ich. »Erst spreche ich deutsch, und wenn sie das nicht verstehn, englisch, und wenn sie das nicht verstehn, platt – und wenn das alles nichts hilft, dann hänge ich an die deutschen Wörter die Endung as an, und dieses Sprechas verstehas sie ganz gut.« Das hatte grade noch gefehlt. Es gefiel ihr ungemein, und sie nahm es gleich in ihren Sprachschatz auf. »Ja – also nun kommt Schweden. Ob wir etwas in Schweden erlebas? Was meinst du?« – »Ja, was sollten wir wohl auf einem Urlaub erleben …? Ich dich, hoffentlich.« – »Weißt du«, sagte die Prinzessin, »ich bin noch gar nicht auf Reisen, ich sitze hier neben dir im Coupé; aber in meinem Kopf dröhnt es noch, und … Allmächtiger Braten!« – »Was ist?« – »Ich habe vergessen, an Tichauer zu telefonieren!« – »Wer ist Tichauer?« – »Tichauer ist der Direktor der NSW – der Norddeutschen Seifenwerke. Und der Alte hat gesagt, ich solle ihm abtelefonieren, weil er doch verreist … und da ist die Konferenz am Dienstag … ach du liebes Gottchen, behüte unser Lottchen vor Hunger, Not und Sturm und vor dem bösen Hosenwurm. Amen.« – »Also was wird nun?« – »Jetzt werden wir telegrafieren, wenn wir in Helsingör auf die Fähre steigen. Du allmächtiger Braten! Daddy, Berlin läuft doch immer mit. Das dauert mindestens vierzehn Tage, bis man es einigermaßen los ist, und wenn man es glücklich vergessen hat, dann muss man wieder zurück. Das ist ein fröhlicher Beruf …« – »Beruf … Ich hielt es mehr für eine Beschäftigung.« – »Du bist ein Schriftsteller – aber recht hast du doch. Lenk mich ab. Steig mal auf die Bank und mach mal einen. Sing was – wozu hab ich dich mitgenommen?« Nur Ruhe und Geduld konnten es machen … »Sieh mal, Hühner auf dem Wasser!« sagte ich. – »Hühner? Was für welche?« – »Gesichtshühner. Der Naturforscher Jakopp unterscheidet zweierlei Sorten von Hühnern: die Gesichtshühner, die man nur sehen, und die Speisehühner, die man auch essen kann. Dies sind Gesichtshühner. Finnste die Natur hier?« – »Etwas dünn, um die Wahrheit zu sagen. Wenn man nicht wüsste, dass es Dänemark ist und wir gleich nach Schweden hinüberfahren –«
Und da hatte sie nun recht. Denn nichts lenkt den Menschen so von seinem gesunden Urteil ab wie geografische Ortsnamen, geladen mit alter Sehnsucht und bepackt mit tausend Gedankenverbindungen, und wenn er dann hinkommt, ist es alles halb so schön. Aber wer traut sich denn, das zu sagen –!
Helsingör. Wir telegrafierten an Tichauer. Wir stiegen auf die kleine Fähre.
Unten im Schiffsrestaurant saßen drei Österreicher; offenbar waren es altadlige Herren, einer hatte eine ganz abregierte Stimme. Er kniff grade die Augen so merkwürdig zu, wie das einer tut, der mit der Zigarre im Mund zahlen muss. Und dann hörte ich ihn murmeln: »Ein g’schäiter Buuursch (mit drei langen u) – aber etwas medioker …« Ich bin gegen den Anschluss.
Oben standen wir dann am Schiffsgeländer, atmeten die reine Luft und blickten auf die beiden Küsten – die dänische, die zurückblieb, und die schwedische, der wir uns näherten. Ich sah die Prinzessin von der Seite an. Manchmal war sie wie eine fremde Frau, und in diese fremde Frau verliebte ich mich immer aufs neue und musste sie immer aufs neue erobern. Wie weit ist es von einem Mann zu einer Frau! Aber das ist schön, in eine Frau wie in ein Meer zu tauchen. Nicht denken … Viele von ihnen haben Brillen auf, sie haben es im eigentlichen Sinne des Wortes verlernt, Frau zu sein – und haben nur noch den dünnen Charme. Hol ihn der Teufel. Ja, wir wollen wohl ein bisschen viel: kluge Gespräche und Logik und gutes Aussehen und ein bisschen Treue und dann dieser nie zu unterdrückende Wunsch, von der Frau wie ein Beefsteak gefressen zu werden, dass die Kinnbacken krachen … »Hast du schwedischen Geldes?« fragte die Prinzessin träumerisch. Sie führte gern einen gebildeten Genitiv spazieren und war demzufolge sehr stolz darauf, immer »Rats« zu wissen. »Ja, ich habe schwedische Kronen«, sagte ich. »Das ist ein hübsches Geld – und deshalb werden wir es auch nur vorsichtig ausgeben.« – »Geizvettel«, sagte die Prinzessin. Wir besaßen eine gemeinsame Reisekasse, an der hatten wir sechs Monate herumgerechnet. Und nun waren wir in Schweden.
Der Zoll zollte. Die Schweden sprechen anders deutsch als die Dänen: die Dänen hauchen es, es klingt bei ihnen federleicht, und die Konsonanten liegen etwa einen halben Meter vor dem Mund und vergehen in der Luft, wie ein Gezirp. Bei den Schweden wohnt die Sprache weiter hinten, und dann singen sie so schön dabei … Ich protzte furchtbar mit meinen zehn schwedischen Wörtern, aber sie wurden nicht verstanden. Die Leute hielten mich sicherlich für einen ganz besonders vertrackten Ausländer. Kleines Frühstück. »Die Bouillon«, sagte die Prinzessin, »sieht aus wie Wasser in Halbtrauer!« – »So schmeckt sie auch.« Und dann fuhren wir gen Stockholm.
Sie schlief.
Der, der einen Schlafenden beobachtet, fühlt sich ihm überlegen – das ist wohl ein Überbleibsel aus alter Zeit, vielleicht schlummert da noch der Gedanke: er kann mir nichts tun, aber ich ihm. Dieser Frau gab der Schlaf wenigstens kein dümmliches Aussehen; sie atmete fest und ruhig, mit geschlossenem Mund. So wird sie aussehen, wenn sie tot sein wird. Dann liegt der Kopf auf einem Brett – immer, wenn ich an den Tod denke, sehe ich ein ungehobeltes Brett mit kleinen Holzfäserchen; dann liegt sie da und ist wachsgelb und wie uns anderen scheint, sehr ehrfurchtgebietend. Einmal, als wir über den Tod sprachen, hatte sie gesagt: »Wir müssen alle sterben – du früher, ich später« – in diesem Kopf war so viel Mann. Der Rest war, Gott sei’s gelobt, eine ganze Frau.
Sie wachte auf. »Wo sind wir?« – »In