Schloss Gripsholm. Kurt Tucholsky

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Schloss Gripsholm - Kurt  Tucholsky Klassiker bei Null Papier

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und dach­te em­sig nach; man konn­te an sei­nem brei­ten Rücken se­hen, wie er dach­te. Dann brumm­te er, denn er hat­te et­was ge­fun­den. »Wir fah­ren nach Ma­rie­fred«, sag­te er. »Das ist ein klei­ner Ort … das ist all right! Mor­gen fah­ren wir.« Die Prin­zes­sin sah mich un­heil­ver­kün­dend an: »Wenn wir da nichts fin­den, Dad­dy, dann stech ich dir inne Klein­kinner­bie­wohr­an­stalt und kut­schier bei mein Al­ten nach Ab­ba­zia. Dor kannst du man upp aff!«

      Aber am nächs­ten Tag sa­hen wir et­was.

      Ma­rie­fred ist eine klit­ze­klei­ne Stadt am Mälar­see. Es war eine stil­le und fried­li­che Na­tur, Baum und Wie­se, Feld und Wald – nie­mand aber hät­te von die­sem Ort No­tiz ge­nom­men, wenn hier nicht ei­nes der äl­tes­ten Sch­lös­ser Schwe­dens wäre: das Schloss Grips­holm.

      Es war ein strah­lend hel­ler Tag. Das Schloss, aus ro­ten Zie­geln er­baut, stand leuch­tend da, sei­ne run­den Kup­peln knall­ten in den blau­en Him­mel – die­ses Bau­werk war dick, seigneural, eine be­däch­ti­ge Fes­tung. Bengts­son wink­te dem Füh­rer ab, Füh­rer war er sel­ber. Und wir gin­gen in das Schloss.

      Vie­le schö­ne Ge­mäl­de hin­gen da. Mir sag­ten sie nichts. Ich kann nicht se­hen. Es gibt Au­gen­menschen, und es gibt Ohren­menschen, ich kann nur hö­ren. Eine Ach­tel­schwin­gung im Ton ei­ner Un­ter­hal­tung: das weiß ich noch nach vier Jah­ren. Ein Ge­mäl­de? Das ist bunt. Ich weiß nichts vom Stil die­ses Schlos­ses – ich weiß nur: wenn ich mir eins bau­te, so eins bau­te ich mir.

      Herr Bengts­son er­klär­te uns das Schloss, wie er es sei­nen Ame­ri­ka­nern er­klärt hät­te, der Spi­ri­tus sang aus ihm, und nach je­der Jah­res­zahl sag­te er: »Aber so ge­nau weiß ich das nicht«, und dann sa­hen wir im Ba­ede­ker nach, und es war al­les, al­les falsch – und wir freu­ten uns mäch­tig. Ein Ker­ker war da, in dem Gu­stav der Ver­stopf­te Adolf den Un­ra­sier­ten jah­re­lang ein­ge­sperrt hat­te, und so di­cke Mau­ern hat­te das Schloss, und einen run­den Kä­fig für die Ge­fan­ge­nen gab es und ein schau­er­li­ches Bur­g­loch oder eine Art Brun­nen … Men­schen ha­ben im­mer Men­schen ge­quält, heu­te sieht das nur an­ders aus.

      Aber am al­ler­schöns­ten war das Thea­ter. Sie hat­ten in der Burg ein klei­nes Thea­ter – viel­leicht da­mit sie sich wäh­rend der Be­la­ge­run­gen nicht so lang­wei­len muss­ten. Ich setz­te mich auf ei­nes der Bänk­chen im Zuschau­er­raum und führ­te mir eine Schä­fer­ko­mö­die auf, in der ge­liebt und ge­sto­chen, ge­schmach­tet und zier­lich ge­sof­fen wur­de – und nun wur­de die Prin­zes­sin sehr ener­gisch. »Jetzt oder nie!« sag­te sie. »Herr Bengts­son – also!«

      Wie alle gut­mü­ti­gen Män­ner hat­te der Di­cke Angst vor Frau­en – er beug­te sei­ne See­le, wie der Wan­de­rer den Rücken un­ter den Re­gen­schau­ern beugt, und er streng­te sich ge­wal­tig an und ging gar sehr ins Zeug. Er te­le­fo­nier­te lan­ge und ver­schwand.

      Nach dem Mit­ta­ges­sen kam er fröh­lich an, sein Fett wog­te vor Zufrie­den­heit. »Kom­men Sie mit!« sag­te er.

      Das Schloss hat­te einen An­bau – auf eine Fra­ge hät­te der Di­cke si­cher­lich ge­sagt: aus dem ein­und­zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert … es war ein neue­rer Bau, lang­ge­streckt, glatt in der Fassa­de, hübsch. Wir gin­gen hin­ein. Drin­nen emp­fing uns eine sehr freund­li­che alte Dame. Es er­gab sich, dass hier in die­sem Schloss­an­bau zwei Zim­mer und dazu noch ein klei­ne­res zu ver­mie­ten wa­ren. Hier im Schloss? Zwei­felnd sah ich Herrn Bengts­son an. Hier im Schloss. Und be­ko­chen woll­te sie uns auch. Aber wür­den uns denn nicht die zahl­lo­sen Tou­ris­ten stö­ren, die da kom­men und die Ge­mäl­de und die Fol­ter­kam­mer se­hen muss­ten? Sie kämen nur sonn­tags, und sie kämen über­haupt nicht hier­her, son­dern sie gin­gen dort­her­um …

      Wir be­sich­tig­ten die Zim­mer. Sie wa­ren groß und schön; alte Ein­rich­tungs­stücke des Schlos­ses stan­den dar­in, in ei­nem schwe­ren be­hag­li­chen Stil; ich sah kei­ne Ein­zel­hei­ten mit mei­nen blin­den Au­gen – aber es sprach zu mir. Und es sag­te: Ja.

      Aus ei­nem Fens­ter blick­te man auf das Was­ser, aus ei­nem an­de­ren in einen stil­len klei­nen Park. Die Prin­zes­sin, die die Ver­nunft ih­res Ge­schlechts hat­te, sah sich in­zwi­schen an, wo man sich wa­schen konn­te und wie es mit den Lo­ka­li­tä­ten be­stellt wäre … und kam zu­frie­den zu­rück. Der Preis war er­staun­lich bil­lig. »Wie kommt das?« frag­te ich den Di­cken; wir sind selbst dem Glück ge­gen­über so arg­wöh­nisch. Die Dame im Schloss täte es aus Freund­lich­keit für ihn, denn sie kann­te ihn, auch ka­men sel­ten Leu­te hier­her, die lan­ge blei­ben woll­ten. Ma­rie­fred war als klei­ner Aus­flugs­ort be­kannt; man weiß, wie sol­che Be­zeich­nun­gen den Plät­zen an­haf­ten. Da mie­te­ten wir.

      Und als wir ge­mie­tet hat­ten, sprach ich die gol­de­nen Wor­te mei­nes Le­bens: »Wir hät­ten sol­len …« und be­kam von der Prin­zes­sin einen Ba­cken­streich: »Oll Krit­tel­kopp!« Und dann be­gos­sen wir die Mie­tung mit je ei­nem großen Brannt­wein, wir alle drei. »Ken­nen Sie die Frau im Schloss gut? Sie ist doch so nett zu uns?« frag­te ich Herrn Bengts­son. – »Wis­sen Sie«, sag­te er nach­denk­lich, »den Af­fen ken­nen alle – aber der Affe kennt kei­nen.« Und das sa­hen wir denn auch ein. Und dann ver­ab­schie­de­te sich der Di­cke. Die Kof­fer ka­men, und wir pack­ten aus, stell­ten die Mö­bel so lan­ge um, bis sie alle wie­der auf dem­sel­ben Platz stan­den wie zu An­fang … die Prin­zes­sin ba­de­te Pro­be, und ich muss­te mich dar­über freu­en, wie sie nackt durchs Zim­mer ge­hen konn­te – wirk­lich wie eine Prin­zes­sin. Nein, gar nicht wie eine Prin­zes­sin: wie eine Frau, die weiß, dass sie einen schö­nen Kör­per hat. »Ly­dia«, sag­te ich, »in Pa­ris war ein­mal eine Hol­län­de­rin, die hat sich auf ih­ren Ober­schen­kel die Stel­le tä­to­wie­ren las­sen, auf die sie am liebs­ten ge­küsst wer­den woll­te. Darf ich fra­gen …« Sie ant­wor­te­te. Und es be­ginnt nun­mehr der Ab­schnitt

      Wir la­gen auf der Wie­se und bau­mel­ten mit der See­le.

      Der Him­mel war weiß ge­fleckt; wenn man von der Son­ne recht schön an­ge­bra­ten war, kam eine Wol­ke, ein leich­ter Wind lief da­her, und es wur­de ein we­nig kühl. Ein Hund trot­te­te über das Gras, da­hin­ten. »Was ist das für ei­ner?« frag­te ich. – »Das ist ein Bull­da­ckel«, sag­te die Prin­zes­sin. Und dann lie­ßen wir wie­der den Wind über uns hin­ge­hen und sag­ten gar nichts. Das ist schön, mit je­mand schwei­gen zu kön­nen.

      »Jun­ge«, sag­te sie plötz­lich. »Es ist ganz schreck­lich – aber ich bin noch nicht hier. Gott seg­ne die­se Ber­li­ner Ar­beit. In mei­nem Kopf macht es noch im­mer: Burr­burr … Der Alte und all das Zeugs …«

      »Wie ist der Alte jetzt ei­gent­lich?« frag­te ich faul.

      »Na … wie im­mer … Er ist dick, neu­gie­rig, fei­ge und scha­den­froh. Aber sonst ist er ein ganz net­ter Mensch. Dick – das wäre ja zu er­tra­gen. Ich habe di­cke Män­ner ganz gern.« Ich mach­te eine Be­we­gung. »Brauchst dir gar nichts ein­zu­bil­den … Dein biss­chen Fett!«

      »Du glaubst wohl, weil du Ly­dia heißt, du wärst was Bes­se­res!

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