August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August
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Bei uns erinnert noch die Sitte der Hochzeitsreisen an den Frauenraub; die Braut wird dem häuslichen Herde entführt. Dagegen erinnert der Ringwechsel an die Unterwürfigkeit und die Kettung der Frau an den Mann. Diese Sitte tauchte ursprünglich in Rom auf. Die Braut bekam als Zeichen ihrer Fesselung an den Mann von diesem einen eisernen Ring. Später wurde dieser Ring aus Gold gefertigt, und erst viel später wurde der gegenseitige Ringtausch als Zeichen beiderseitiger Verbindung, eingeführt.
Der Vielweiberei (Polygamie), wie wir sie bei den orientalischen Völkern kennenlernten, und bei diesen noch heute besteht, aber in Rücksicht auf die zur Verfügung stehende Zahl der Frauen und die Kosten ihres Unterhalts nur von den Bevorrechteten und Besitzenden geübt werden kann, steht gegenüber die Vielmännerei (Polyandrie). Diese existiert hauptsächlich bei den Hochgebirgsvölkern in Tibet, bei den Garras an der indisch-chinesischen Grenze, den Baïgas in Godwana, den Naïrs im äußersten Süden Indiens, und sie soll auch bei den Eskimos und Aleuten vorhanden sein. Die Abstammung wird, wie nicht anders möglich, nach der Mutter bestimmt, die Kinder gehören ihr. Die Männer der Frau sind in der Regel Brüder. Heiratet der älteste Bruder, so werden die übrigen Brüder ebenfalls Gatten der Frau, doch hat die Frau das Recht, auch andere Männer zu nehmen. Dagegen haben auch die Männer das Recht, mehrere Frauen zu besitzen. Welchen Verhältnissen die Polyandrie ihre Entstehung verdankt, ist noch unaufgeklärt. Da die polyandrischen Völkerschaften ausnahmslos entweder auf hohen Gebirgsländern oder in der kalten Zone leben, so ist wahrscheinlich für die Polyandrie eine Erscheinung maßgebend, über die Tarnowsky berichtet 28. Tarnowsky vernahm von zuverlässigen Reisenden, daß längerer Aufenthalt auf bedeutenden Höhen den Geschlechtstrieb herabsetzt, der mit neuer Kraft beim Hinabsteigen wiederkehrt. Diese Herabsetzung der Geschlechtstätigkeit, so glaubt Tarnowsky, könne wohl als Erklärung für den verhältnismäßig geringen Anwuchs der Bevölkerung in hochgebirgigen Ländern dienen und, indem sie sich vererbe, eines der Degenerationsmomente werden, die auf die Perversität des Geschlechtssinnes einwirkten.
Die dauernde Wohn- und Lebensweise in sehr hohen oder kalten Länderstrichen wird aber auch alsdann verursachen, daß Vielmännerei keine übermäßigen Anforderungen an eine Frau stellt. Die Frauen selbst sind schon dementsprechend in ihrer Natur beeinflußt, wofür die Tatsache spricht, daß bei den Eskimomädchen die Menstruation in der Regel erst im neunzehnten Lebensjahr eintritt, während sie in der heißen Zone schon im neunten oder zehnten und in der gemäßigten zwischen dem vierzehnten und sechzehnten Lebensjahr sich einstellt. Üben heiße Länder, wie allgemein anerkannt ist, einen sehr stimulierenden Einfluß auf den Geschlechtstrieb aus, weshalb gerade in heißen Ländern die Vielweiberei ihre Hauptverbreitung hat, so dürften kalte Länderstriche, und dazu gehören hohe Gebirgsländer, sehr erheblich restringierend auf den Geschlechtstrieb einwirken. Auch tritt erfahrungsgemäß eine Konzeption seltener ein bei Frauen, die mit mehreren Männern kohabitieren. Die Bevölkerungszunahme ist daher bei der Polyandrie eine schwache und paßt sich der Schwierigkeit der Gewinnung des Lebensunterhaltes an, die in kalten Ländern und im Hochgebirge vorhanden ist. Damit wäre bewiesen, daß auch in diesem uns so fremdartig erscheinenden Zustand der Polyandrie die Art der Produktionsweise auf die Beziehungen der Geschlechter von maßgebendem Einfluß ist. Festzustellen wäre noch, ob bei diesen auf hohen Gebirgen oder in der kalten Zone lebenden Völkerschaften Tötung der Kinder weiblichen Geschlechts in Übung ist, wie dies von mongolischen Völkerstämmen in den Hochgebirgen Chinas berichtet wird.
22. Bachofen, Das Mutterrecht.
23. K. Kautsky, Die Entstehung der Ehe und der Familie. Kosmos 1883.
24. Mantegazza, Die Liebe in der Menschheit.
25. Ähnliche Zustände bestehen noch in der Kolonie Kamerun und sonst in Westafrika. Ein deutscher Schiffsarzt, der Land und Leute aus eigener Anschauung studierte, schreibt uns folgendes: »Bei einer großen Anzahl Stämme besteht das Erbrecht auf Grund der Maternität. Die Vaterschaft ist gleichgültig; Geschwister sind nur die Kinder einer Mutter. Ein Mann vererbt seinen Besitz nicht an seine Kinder, sondern an die Kinder seiner Schwester, also an seine Nichten und Neffen, als seine nachweisbar nächsten Blutsverwandten. Ein Chief der Way-Leute machte mir in gräßlichem Englisch klar: Meine Schwester und ich sind bestimmt Blutsverwandte, denn wir sind Kinder derselben Mutter; meine Schwester ist wieder sicher mit ihrem Sohne blutsverwandt, also ist ihr Sohn mein Erbe und wird, wenn ich tot bin, König von meiner Stadt (town). ›Und Euer Vater?‹ fragte ich. ›Ich weiß nicht, was das ist, mein Vater‹, antwortete er. Als ich ihm dann die Frage vorlegte: ob er denn keine Kinder habe, antwortete er, indem er sich vor Lachen an der Erde wälzte, daß bei ihnen die Männer keine Kinder hätten, sondern nur die Frauen.«
26. »Ich kann Ihnen die Versicherung geben«, schreibt unser Gewährsmann weiter, »daß selbst der Erbe des King (Königs) Bell in Kamerun dessen Neffe und nicht einer seiner Söhne ist. Die sogenannten Kinder Bells, von denen verschiedene in deutschen Städten dressiert werden, sind nur Kinder von seinen Frauen, deren Väter unbekannt sind; den einen könnte ich womöglich für mich reklamieren.«
27. H. v. Wlislocki, Bilder aus dem Leben der Siebenbürger Zigeuner. Geschichtliches, Ethnologisches, Sprache und Poesie. Hamburg 1890.
28. Tarnowsky, Die krankhaften Erscheinungen des Geschlechtssinnes. Berlin 1886.
5. Entstehung der Staatsordnung. Auflösung der Gens in Rom
Nach Aufhebung der mutterrechtlichen Gens trat die vaterrechtliche an ihre Stelle, mit wesentlich abgeschwächten Funktionen. Ihre Hauptaufgabe war Pflege der gemeinsamen religiösen Angelegenheiten und des Begräbniswesens, gegenseitige Verpflichtung zu Schutz und Hilfe; das Recht und in gewissen Fällen die Pflicht, in der Gens zu heiraten, namentlich wenn es sich um reiche Erbinnen oder Waisentöchter handelte. Auch verwaltete die Gens den noch vorhandenen gemeinsamen Besitz.
Mit dem Privateigentum und dem damit verbundenen Erbrecht entstanden weiter die Klassenunterschiede und Klassengegensätze. Es fand im Laufe der Zeit ein Zusammenschluß der Besitzenden gegen die nichts Besitzenden statt. Erstere suchten die Verwaltungsstellen in dem neuen Gemeinwesen in ihre Hände zu bekommen und sie erblich zu machen. Die notwendig gewordene Geldwirtschaft schuf früher ungekannte Verschuldungsverhältnisse. Die Kämpfe gegen Feinde nach außen und die gegensätzlichen Interessen im Innern, sowie die verschiedenartigen Interessen und Beziehungen, die Ackerbau, Handwerk und Handel untereinander hatten, machten komplizierte Rechtsregeln notwendig und erforderten Organe, die über den ordnungsmäßigen Gang der gesellschaftlichen Maschine wachten und Streitigkeiten entschieden. Dasselbe galt für die Beziehungen zwischen Herren und Sklaven, Schuldnern und Gläubigern. So war eine Macht nötig, die alle diese Verhältnisse übersah, leitete, ordnete, ausglich, schützend und strafend eingriff. Es entstand der Staat, der das notwendige Produkt der in der neuen Gesellschaftsordnung