Island. Marie Kruger
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Kranzkuchen und Hamburger
Dass die nordischen Länder einen enormen Pro-Kopf-Kaffeeverbrauch haben, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Finnland nimmt in den meisten Statistiken die Spitzenposition ein, und auch Norwegen, Schweden und Dänemark lassen sich nicht lumpen. Kommt Island in den Erhebungen vor, landet es ebenfalls weit oben, denn auch hier wird Kaffee zu allen Tages- und Nachtzeiten getrunken und hat eine wichtige soziale Funktion. Schaut man überraschend bei Verwandten vorbei oder besucht auf dem Land seine Nachbarn, muss man Zeit für mindestens zwei Tassen Kaffee einplanen – auch wenn es nach dem Abendbrot ist. Dankend abzulehnen, ist eigentlich nicht drin. Ich jedenfalls habe in Island das Kaffeetrinken gelernt.
»Es ist 00.00 Uhr. Mitternacht. Wahrhaftig, kommt einem da nicht so etwas wie Kaffeeduft aus dem Haus entgegen! Drinnen hat man ein Tuch über den Tisch gebreitet und Gebäck hingestellt, sehr unterschiedlich nach Farbe und Form; ich glaube behaupten zu dürfen, daß es Hunderte von Einzelstücken auf ungefähr zwei Dutzend Tellern waren. Doch wurde das Maß erst voll, als die Frau drei Kriegstorten auftischte, so genannt, weil sie im Krieg modern wurden. Jede maß etwa zwanzig Zentimeter im Durchmesser und war etwa sechs bis acht Zentimeter hoch. Schließlich brachte die Frau Kaffee herein.« So wird in Halldór Laxness’ Roman Am Gletscher die Figur Frl. Stößeldora eingeführt, die so heißt, weil sie für ihre vielen Kuchen Mörser und Stößel statt einer Rührmaschine benutzt. Letztere steht nämlich, vom gängigen US-amerikanischen Hersteller oft im Design der 1950er Jahre gehalten, gut sichtbar in vielen isländischen Küchen und ist eines der beliebtesten Hochzeitsgeschenke. Tatsächlich hauen einen die isländischen Kuchen um. Oft haben sie mehrere Böden, gern aus Baiser, Sahne- und Cremefüllungen mit Konservenobst und eine Dekoration aus dickem Karamell oder Schokolade. Manchmal verirrt sich eine Erdbeere oder ein Stückchen Kiwi obenauf, insgesamt sind frische Früchte jedoch nicht vorgesehen. Obwohl es in Island einige Beerensorten gibt, die sehr schmackhaft sind, werden sie höchstens zusammen mit Schlagsahne zu den hauchzarten Eierkuchen gereicht, die man manchmal ebenfalls zum Kaffee serviert bekommt.
Besonders beeindruckende Kuchenbuffets gibt es bei den Konfirmationen. Rund 232 000 Isländer, also 65 Prozent der Bevölkerung, sind in der evangelischen Staatskirche, deren Stellung die Verfassung regelt. Der isländische Weg durchs Leben wird also von der Kirche begleitet, sodass Taufen, Konfirmationen, kirchliche Trauungen und kirchliche Trauerfeiern der Regelfall sind. Bei einer Konfirmation versammeln sich Familie und Freunde nach der Zeremonie zum »Kaffeetrinken« und werden dabei mit Unmengen mächtiger Kuchen konfrontiert. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, von allen probieren zu wollen. In der Mitte prangt meist ein sogenannter Kranzkuchen nach skandinavischem Vorbild, dessen 18 einzelne Ringe aus Marzipanteig bestehen, die zu einer Pyramide aufgeschichtet und mit heißem Zucker verklebt werden. Mit Kuvertüre werden dann Pralinen oder Bonbons in buntem Papier zur Dekoration auf den Kuchen geklebt und zum Schluss kleine isländische Flaggen zwischen die Ringe gepiekt.
Leider kennt das Isländische kein Wort für »herzhaft«, vermutlich weil Kuchen und Süßspeisen als das Beste gelten, das man seinen Gästen anbieten kann. Während salzige, gesäuerte und geräucherte Speisen immer irgendwie vorrätig waren, war Zucker lange Zeit ein Luxusartikel. Seit etwa 60 Jahren gibt es jedoch mit den Barbecues eine Institution, die den Einladungen zum Kaffee bald den Rang ablaufen könnte. Es ist nicht ungewöhnlich, dass an einem windstillen, trockenen, dennoch eisigen Tag im Januar zum Grillen geladen wird. Gegessen wird natürlich drinnen, aber die Zubereitung der Lammkeule findet auf dem Balkon oder der Terrasse statt. Dazu gibt es Saucen aller Art, vielleicht Kartoffeln und auf jeden Fall Cola, von der die Isländer mit den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch in der Welt haben. Ein Grill gehört genauso in einen typisch isländischen Haushalt wie eine Rührmaschine. Beide scheinen das ganze Jahr über regelmäßig in Benutzung zu sein.
Dass die Isländer dem Deftigen gegenüber nicht abgeneigt sind, fiel mir schon bei meiner allerersten Fahrt vom Flughafen in die Stadt auf, da in regelmäßigen Abständen links und rechts der Straße verschiedene Fastfood-Ketten zu sehen waren. Viele von ihnen gleichen Inseln auf den Schnellstraßen und sind folgerichtig »Drive-ins«. In dieser Hinsicht haben sich die Isländer komplett an den USA ausgerichtet, denn den kleinen Italiener an der Ecke oder das seit Generationen von derselben Familie betriebene Restaurant gibt es kaum. Möchte man essen gehen, ohne für ein Hauptgericht mindestens 30 Euro zu bezahlen, bleiben nur Kentucky Fried Chicken, T. G. I. Fridays, American Style, Pizza Hut und Subway oder die vor Öl triefende Pizza des allgegenwärtigen Anbieters Dominos, die jedem Italiener Tränen in die Augen treiben würde. Als die erste McDonalds-Filiale 1993 in Island eröffnete, war der Ministerpräsident zugegen. Er fehlte, als die Firma Island 2009 verließ, da die Importe wegen der Abwertung der Krone unrentabel geworden waren. Auf dem Lande, wo die Tankstelle gleichzeitig Kiosk, sozialer Treffpunkt und Café ist, kehrt man sonntags zum Hamburger-Essen ein.
Für Touristen war es lange schwierig, die wirklich isländische Küche kennenzulernen. Mit dem einsetzenden Tourismusboom nach 2011 öffneten jedoch überall im Land zahlreiche, meist sehr kostspielige Restaurants, wo man isländische Zutaten nach Art der New Nordic Cuisine serviert bekommt. Klassiker sind fangfrischer Fisch, Lammfleisch, Desserts aus dem Magerquark Skyr und im Osten des Landes Rentierfleisch. Es wäre allerdings ein Trugschluss zu glauben, dass die isländischen Familien so äßen wie es in den Restaurants möglich ist. Wirkliche Hausmannskost wird nur sehr selten serviert, zumal Fisch lange Zeit als schnödes Alltagsessen galt. Bekam man Gäste, bereitete man in der Regel Lammfleisch zu. Viele meiner isländischen Bekannten haben erst in den letzten Jahren, indirekt inspiriert durch den Gastroboom, bemerkt, dass Fisch nicht zwangsläufig gekocht oder gebraten werden muss, und dass es neben Kabeljau und Schellfisch durchaus weitere Arten zu entdecken gibt.
Eine gute Alternative für Islandbesucher sind die Mittagsangebote der Restaurants oder die nur tagsüber geöffneten kleinen Kantinen, in denen die Einheimischen isländische Hausmannskost zu sich nehmen, wie zum Beispiel das Múlakaffi. Meine isländischen Freunde sind sich einig, dass Essengehen eine Neuerung in Island ist. Bis zum Ende der 1990er Jahre war der Restaurantbesuch für normale Isländer einfach unbezahlbar, sodass bei den seltenen Anlässen dann auch etwas Besonderes erwartet wurde und nicht das, was man sowieso zu Hause zubereitet. Dabei muss ja so gut wie alles ins Land geholt werden. Die meisten Importe kommen aus Europa, namentlich aus Norwegen, Deutschland und zuletzt auch den Niederlanden sowie aus China und den USA. Während im Straßenbild amerikanische Esskultur allgegenwärtig ist, dominieren europäische Produkte die Supermarktregale.
Da die traditionelle Küche gezwungenermaßen fast ausschließlich