Griechische Mythologie. Ludwig Preller
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637 Plin. 34, 70. Die Eidechse (σαῦρος, σαῦρα) hatte eine nähere Beziehung zum Apoll, da sie das Sonnenlicht liebt. Auch beschäftigte sich eine eigne Art von Weissagung mit diesem Thiere, s. Paus. 6, 2, 2, Cic. de Divinat. 1, 20, 39, Steph. B. γαλεῶται, Welcker A. Denkm. 1, 406 ff.
6. Artemis.
Der allgemeine Name für verschiedene Gestalten der Mondgöttin. Denn der Mond ist von jeher eine der populärsten Gestalten aller Naturreligion und Mythologie gewesen, in denen sein strahlender Schimmer, seine regelmäßigen Wandlungen, sein Umlauf am Himmel, seine nahe Beziehung zum Erdenleben und sein außerordentlicher Einfluß auf die gesammte Natur, besonders auch auf den Körper und das Gemüth der Menschen, in vielen sinnigen Bildern ausgedrückt zu werden pflegt. Dabei ist des Mondes Wirkung und Einfluß so vielgestaltig und bald ein wohlthätiger bald ein schädlicher, daß auch im Cultus diese Gegensätze nicht fehlen konnten.
Der Name Artemis, welcher sich vermuthlich, wie der des Apollon und im engsten Zusammenhange mit diesem, von einem gewissen Punkte aus allmälich den verwandten Gottesdiensten mitgetheilt hat, scheint mit ἀρτεμὴς zusammenzuhängen, also die Unverletzte, die Jungfräuliche zu bedeuten638, wie die jungfräulich spröde Natur denn immer bei der Schwester Apollons, als welche diese Göttin gewöhnlich auftritt, das vorherrschende Merkmal blieb, ohne deshalb eine mütterliche Fürsorge ihrer weiblichen Natur auszuschließen. So galt sie auch nach der gewöhnlichen Legende von ihrer Geburt zwar für die Zwillingsschwester Apollons, welche Leto mit diesem zugleich geboren habe. Doch wurde nach einer alten und weitverbreiteten Tradition als Stätte ihrer Geburt Ortygia genannt d. h. die Wachtelstätte639, mit sinnbildlicher Auffassung dieses Vogels als eines mütterlich fruchtbaren und fürsorglichen, welcher mit jedem Frühjahre in großen Schwärmen zu den Inseln und Küsten von Griechenland zurückkehrt um dort zu brüten und seiner Jungen zu pflegen; daher auch Artemis selbst den Beinamen Ortygia führte und verschiedene mit der Geburt der Artemis zusammenhängende Märchen von der Verwandlung bald des Zeus bald der Leto bald ihrer Schwester Asteria in eine Wachtel erzählten640. Man deutete dieses Ortygia gewöhnlich auf Delos, obgleich die Odyssee (5, 123; 15, 404) schwerlich an diese Insel gedacht hat; auch machten in andern örtlichen Ueberlieferungen andre Punkte auf denselben Namen und seinen mythologischen Ruhm Anspruch, namentlich in der Nähe von Ephesos, von Kalydon, endlich auch die bekannte Insel bei Syrakus, welche Gegenden sich gleichfalls sehr alter Artemisdienste rühmten. Uebrigens aber wurde diese Göttin sowohl auf Delos als in Delphi und an allen wichtigeren Cultusstätten neben Apollo verehrt, Mutter Sohn und Tochter als zusammengehörige Gruppe, wie sie auch auf den bildlichen Denkmälern des delphischen und delischen Religionskreises gewöhnlich zusammen auftreten. So wurde auch der Hyperboreermythus auf Artemis ausgedehnt, indem man sie auf Delos unter verschiedenen Namen aus jenem mythischen Vaterlande des Lichts ableitete, als Ἀργή d. i. die Schimmernde, Ἑκαέργη die Ferntreffende, Λοξώ von den krummen Bahnen des Mondlaufs der die Phantasie immer vorzüglich beschäftigte, endlich unter dem Namen Ὦπις oder Οὖπις641, unter welcher man die Artemis überhaupt bei den Ioniern, namentlich in Ephesos, aber auch in Sparta und Troezen feierte (Schol. Apollon. 1, 972), wahrscheinlich als das helle Auge der Nacht, obwohl man diesen Namen gewöhnlich von der Fürsorge (ὀπίζεσϑαι) für die Schwangeren und das weibliche Geschlechtsleben überhaupt verstand und in erweiterter Bedeutung sogar auf die Aufsicht der Nemesis übertrug. Eben so theilt sie mit Apoll Pfeil und Bogen (ἰοχέαιρα) und deren Gebrauch gegen Riesen und Ungeheuer, daher auch der Paean sowohl ihr als dem Bruder galt. So erscheinen die Geschwister auch bei solchen Kämpfen gewöhnlich zusammen, obgleich einige der Riesen, namentlich Tityos und Orion, vorzüglich als ihre Feinde gedacht wurden. Auch ist sie die schnelle Todesgöttin in demselben Sinne wie Apollon, tödtet mit diesem die Niobiden und pflegte in allen Fällen eines plötzlichen Todes, namentlich wo Mädchen und Frauen getroffen wurden, als die Ursache davon gedacht zu werden642. Ferner war sie an der Seite ihres Bruders auch Λυκεία, Δελφινία, Δαφνία oder Δαφναία, und hatte so gut an den Erndtefesten der Thargelien Pyanepsien und Theoxenien ihren Antheil als an den Apollinischen Künsten der Musik, einigen selbst an denen der Weissagung und Kathartik.
Indessen wurde Artemis in sehr vielen Fällen auch allein und als selbständige Gottheit gedacht und gerade da pflegt die ihr eigenthümliche Natur am meisten hervorzutreten. Es ist die einer nächtlichen Himmels- und Lichtgöttin, daher sie nicht allein mit Pfeil und Bogen, sondern auch mit der Fackel (φωσφόρος σελασφόρος) und mit dem Polos ausgestattet wurde, auch mit der Spindel (χρυσηλάκατος, H. in Ven. 16. 118, H. 27, 1), welche obwohl den meisten weiblichen Gottheiten eigentümlich, doch immer eine schaffende und emsig geschäftige Thätigkeit ausdrückt. So wirkt und webt nun auch Artemis und zwar in Wald und Busch, in Quellen und Wiesen, denn dieses idyllische Stillleben der freien Natur in Bergen und Gründen ist immer ihr eigentliches Gebiet, weil die Vegetation und vieles Andere in den südlichen Ländern in der frischen Nacht- und Morgenluft und unter den stillen Ergüssen des Mondlichtes am besten gedeiht. Namentlich galt der Thau für eine Gabe des Mondes, daher Herse, die personificirte Thauspenderin, von Alkman eine Tochter des Zeus und der Selene genannt wurde; wie man denn überhaupt dem Monde eine das feuchte Element aus Quellen und Flüssen an sich ziehende und in Regen Thau und Nebel wieder zur Erde hinabsendende Kraft zuschrieb643. Daher Artemis als rüstige Jägerin zwar vorzüglich in den Bergen und Wäldern heimisch und eine Göttin der gesammten Thierwelt ist, doch dringen ihre goldenen Pfeile d. h. die Strahlen des Mondlichtes auch über das Meer (Hom. H. 27) und sie waltet so gut im Feuchten als in den Bergen. Ueberall war das sehr bestimmt ausgesprochen durch ihre Verehrung an Flüssen und Quellen, auf feuchten Wiesen und an Häfen, als ποταμία, λιμναία, λιμνᾶτις, λιμενοσκόπος u. s. w.644. Daher ihre beständige Umgebung mit Nymphen, den Nymphen der Berge und der Flüsse, mit denen sie bald jagt bald in schattigen Hainen und auf blumigen Wiesengründen tanzt und spielt und Blumen sammelt oder in den Quellen badet. Dabei dachte man sie sich sehr schön, daher man sie schlechthin καλλίστη zu nennen und die schönsten Frauen und Jungfrauen mit der Artemis zu vergleichen pflegte645, aber als strenge und jungfräulich herbe Schönheit, von hoher Gestalt und von ragendem Wuchse, so daß sie unter den umgebenden Nymphen immer die schönste und die ragendste ist. Gewöhnlich wurde sie jagend oder sonst in rascher Bewegung gedacht, hoch aufgeschürzt einherschreitend, bisweilen auch zu Wagen oder zu Pferde646, als hyperboreische Lichtgöttin von Greifen getragen oder gezogen, ausnahmsweise auch wohl beflügelt.
Es scheint daß man der Artemis in Athen zu Anfang jedes Monates und am sechsten Monatstage opferte