Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig Ganghofer страница 60
Lolo lächelte. »Ja, Mutter!«
Als der Wagen davonfuhr, kam Gustl aus dem Wald gerannt, rief der Mutter einen jauchzenden Gruß nach und warf sich wieder mit stürmischer Zärtlichkeit in die Arme der Schwester. Sie drückte ihm das Hütl aufs Haar und band ihm das Tuch lose um den Rockkragen, daß es den Hals nicht berührte. Dann wanderten sie Arm in Arm neben der Straße hin, und während Gustl mit sprudelndem Eifer die lange Geschichte seiner kurzen Reise erzählte, schmiegte er sich eng an die Schwester an, als gäbe es für ihn keine süßere Freude, als so mit ihr zu wandern, ihre Hand zu streicheln und mit leuchtenden Augen immer wieder zu ihr aufzublicken. Doch plötzlich, mitten in seiner plaudernden Freude, verstummte er.
Sie beugte sich zu ihm nieder, sah ihm ins Gesicht und sagte leis: »Ich weiß, an was du denkst!«
»Ach, Lo!« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Die ersten Sommerferien – ohne Vater!« In Schluchzen ausbrechend, umklammerte er die Schwester.
Während auch ihr die Tränen über die Wangen rollten, hielt sie den Knaben an sich gepreßt. Dann wanderten sie langsam und schweigend durch den Wald. Sie kamen zur Höhe, und aus dem Tal herauf grüßte das Dorf mit seinen Wiesen und Gärten.
»Lo! Unser Haus! Ich sehe unser Haus!« Mit einem gellenden Jubelschrei, aus dem noch die Tränen zitterten, schwang der Junge sein Hütl.
Lolo legte den Arm um seine Schulter und sagte flüsternd: »Gelt, so schön wie daheim ist's nirgends in der Welt!«
»Daheim! Ach, Lo, wo sollt es denn schöner sein?«
»Aber eins mußt du mir versprechen! Wenn wir heimkommen, wollen wir klug und stark sein. Und lieb und gut mit der Mutter. Wir dürfen ihr nicht weh tun mit unserm Schmerz. Sie soll nichts anderes sehen als deine Freude, daß du wieder daheim bist und wieder bei ihr!«
»Ja, Lo! Ich verstehe, was du meinst! Und das versprech ich dir: lieber beiß ich mir die Zunge ab, eh ich weine, wenn Muttl es sehen kann!«
Sie nickte ihm zu. »Und eins sag mir noch! Wenn der Vater dich jetzt erwarten könnte? Dürfte er Freude an dir haben?«
Ruhig hielt er den Blick der Schwester aus. »Ja, Lo, ich glaube schon! Mein Zeugnis hab ich ganz zuoberst im Kofferchen liegen, und gleich wenn wir heimkommen, zeig ich es dir! In allen Fächern hab ich Eins mit Auszeichnung bekommen. Nur in Betragen – ich bitte dich, sei nicht bös, aber im Betragen hab ich Zwei auf Drei. Neulich hat mir der Religionslehrer in die Liste geschrieben: ›Der Knabe August hat sich während der Stunde umgesehen.‹ Weißt du, ich passe in der Schule immer so viel auf, aber ich kann nicht stillsitzen, ich will's immer, aber ich kann nicht!«
Lächelnd streichelte ihm die Schwester das Haar. »Deshalb brauchst du dir keinen Kummer zu machen. Das wirst du schon noch lernen! Und umsehen muß man sich in der Welt ein bißchen.« Sie nahm seinen Arm und nun schritten sie rasch ins Tal hinunter. »Und weil du so gute Zeugnisse heimbrachtest, sollst du auch schöne Ferien haben. Muttl und ich, wir werden zusammen helfen, um dir recht viel Freude zu machen! Aber weißt du, Bubi, ganz darfst du in den Ferien das Lernen nicht aussetzen. Ich habe schon den Stundenplan eingeteilt. In der Früh wird Muttl eine Stunde mit dir lernen, und nachmittags oder am Abend, da setzen wir beide uns ein paar Stündchen zusammen. Willst du?«
»Ja, Lo, ja! Aber gelt, jetzt gleich, da hab ich doch ein paar Tage ganz frei? Weißt du, ein bißl ausrennen möcht ich mich schon.«
»Aber natürlich! Bist du zufrieden mit vierzehn Tagen?«
»Vierzehn –« Das Wort ging unter in einem seligen Jauchzer. »Und darf ich auch wieder fischen? Schon morgen?«
»Wenn du willst, noch haut am Abend. Der Fischer hat die neue Angelgerte für dich schon fertig.«
»Ach, Lo, das wird herrlich, herrlich!«
»Vier Tage bleiben wir jetzt zu Hause bei Muttl, und dann darfst du drei Tage mit mir – rate, wohin?«
»Lo? Zum Sebensee?«
»Erraten! Ja!«
Die erste Regung des Knaben war stürmischer Jubel. Dann wurde er still, und die Wange an den Arm der Schwester schmiegend, flüsterte er: »Ach, Lo! Da draußen sein, und an den Vater denken, wenn ich seinem Blumen sehe und seinen Baum singen höre – ich kann's nicht erwarten, gar nicht erwarten! Wie schön das sein wird!« Und hastig, als müßt er für solche Freude danken, sagte er: »Lo! Da nehm ich meine Bücher mit. Da draußen, weißt du, da muß und lernen.«
Zärtlich drückte ihn die Schwester an sich, und wieder gingen sie schweigend am blumigen Saum der Straße hin. Als sie zu den ersten Häusern kamen, wurde ihr Gang immer rascher. Wenige Schritte noch, und sie hatten ihr Haus erreicht.
Das Gold des Nachmittages lag über dem Schieferdach, die weißen Tauben flogen, die Stare zwitscherten, und die sonnige Luft war erfüllt vom Wohlgeruch der Blumen.
Zehntes Kapitel
Über den schattenschwarzen Bergwald sank schon die Sonne hinunter, als Ettingen mit dem Förster wieder im Jagdhaus eintraf.
Pepperl, der auf der Schwelle des Försterhäuschens hockte, erhob sich, als er die beiden kommen sah, und schüttelte die Füße, als wären sie ihm eingeschlafen. Das Viertelstündchen ausgenommen, das er um die Mittagszeit in der fürstlichen Küche verbrachte, hatte er vom Morgen bis zum Abend auf seinem Lauerposten ausgehalten, mit dem »Geheimnis von Woodcastle« auf den Knien. In diesen sieben Stunden war er bei der Lektüre nur um ein einziges Kapitel vorwärtsgekommen. Aber der Miene, mit der er die roten Hefte jetzt in die Schublade warf, konnte man es ansehen, daß er mit dem Ergebnis des Tages nicht unzufrieden war. Nicht das geringste war geschehen, was die »Verantwortigung« seiner moralischen Seele belastet hätte. Wohl hatte Martin ein paar verdächtige Spaziergänge im Umkreis der Sennhütte unternommen, aber ein freundlicher Zuruf des Praxmaler-Pepperl hatte den Kammerdiener immer wieder zur Umkehr nach dem Fürstenhaus veranlaßt. Drum konnte Pepperl, als der Förster in die Hütte trat, seinen Vorgesetzten in bester Laune empfangen. »Grüß Gott, Herr Förstner! Schon wieder daheim? Dös is recht! Jetzt kann ich grad noch a bißl Dienst machen bis auf d' Nacht. Jetzt is ja der Fürst wieder da!«
Der Förster schien den Zusammenhang zwischen Pepperls Diensteifer und der Heimkehr des Fürsten nicht recht zu begreifen und guckte verwundert dem Jäger nach, der, einen Ländler pfeifend, seine Büchse nahm und flink hinauswanderte in den schattigen Wald. –
Zwei Tage vergingen. Ettingen hatte keine Lust, eine Pirsch zu unternehmen. Er wollte ruhen, wie er sagte. Das hinderte nicht, daß er an jedem Morgen zeitig munter war und einsam einen mehrstündigen Spaziergang durch den Bergwald machte. Am Nachmittag saß er mit einem Buch im Wald, und die Abendstunden verplauderte er mit den Jägern.
Auch der Almhütte stattete er mit dem Förster einen Besuch ab und saß eine Stunde lang bei der Sennerin, die ihm ihre Arbeit schildern mußte. Das gedrückte Wesen des Mädels fiel ihm auf. »Haben Sie eine Sorge, Burgi?«