Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert - Гюстав Флобер

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sie den Korb aus, nahm die Weinblätter heraus und fand den Brief. Sie öffnete ihn und floh hinauf nach ihrem Zimmer, als brenne es hinter ihr. Sie war fassungslos vor Angst.

      Karl war auf dem Flur. Sie sah ihn. Er sagte etwas zu ihr. Sie verstand es nicht. Nun lief sie hastig noch eine Treppe höher, außer Atem, wie vor den Kopf geschlagen, halbverrückt, immer den unseligen Brief fest in der Hand, der ihr zwischen den Fingern knisterte. Im zweiten Stock blieb sie vor der geschlossenen Bodentüre stehen.

      Sie wollte sich beruhigen. Der Brief kam ihr nicht aus dem Sinn. Sie wollte ihn ordentlich lesen, aber sie wagte es nicht. Nirgends war sie ungestört. »Ja, hiergehts!« sagte sie sich. Sie klinkte die Tür auf und trat in die Bodenkammer.

      Unter den Schieferplatten des Daches brütete dumpfe Schwüle, die ihr auf die Schläfen drückte und den Atem benahm. Sie schleppte sich bis zu dem großen Bodenfenster und stieß den Holzladen auf. Grelles Licht flutete ihr entgegen.

      Vor ihr, über den Dächern, breitete sich das Land bis in die Fernen. Unter ihr der Markt war menschenleer. Die Steine des Fußsteigs glänzten. Die Wetterfahnen der Häuser standen unbeweglich. Aus dem Eckhause schräg gegenüber, aus einem der Dachfenster drang ein schnarrendes, kreischendes Geräusch herauf. Binet saß an seiner Drehbank.

      Emma lehnte sich an das Fensterkreuz und las den Brief mit zornverzerrtem Gesicht immer wieder von neuem. Aber je gründlicher sie ihn studierte, um so wirrer wurden ihre Gedanken. Im Geist sah sie den Geliebten, hörte ihn reden, zog ihn leidenschaftlich an sich. Das Herz schlug ihr in der Brust wie mit wuchtigen Hammerschlägen, die immer rascher und unregelmäßiger wurden. Ihre Augen irrten im Kreise. Sie fühlte den Wunsch in sich, daß die ganze Welt zusammenstürze. Wozu weiterleben? Wer hinderte sie, ein Ende zu machen, sie, die Vogelfreie?

      Sie bog sich weit aus dem Fenster heraus und starrte hinab auf das Straßenpflaster.

      »Mut! Mut!« rief sie sich zu.

      Das leuchtende Pflaster da unten zog die Last ihres Körpers förmlich in die Tiefe. Sie hatte die Empfindung, als bewege sich die Fläche des Marktplatzes und hebe sich an den Häusermauern empor zu ihr. Und die Diele, auf der sie stand, begann zu schwanken wie das Deck eines Seeschiffes…. Sie lehnte sich noch weiter zum Fenster hinaus. Schon hing sie beinahe im freien Raume. Der weite blaue Himmel umgab sie, und die Luft strich ihr um den wie hohlen Kopf. Sie brauchte nur noch sich nicht mehr festzuhalten, nur noch die Hände loszulassen…. Ohne Unterlaß summte unten die Drehbank wie die rufende Stimme eines bösen Geistes….

      In diesem Moment rief Karl:

      »Emma! Emma!«

      Da kam sie wieder zur Besinnung.

      »Wo steckst du denn? Komm doch!«

      Der Gedanke, daß sie soeben dem Tode entronnen war, erfüllte sie mit Schrecken und Grauen. Sie schloß die Augen. Zusammenfahrend fühlte sie sich von jemandem am Arm gefaßt: es war Felicie.

      »Gnädige Frau, die Suppe ist angerichtet. Herr Bovary wartet.«

      Sie mußte hinunter, mußte sich mit zu Tisch setzen.

      Sie versuchte zu essen, aber sie brachte nicht einen Bissen hinter. Sie faltete ihre Serviette auseinander, als ob sie sich die ausgebesserten Stellen genau ansehen wollte, und wirklich tat sie das und begann die Fäden des Gewebes zu zählen…. Plötzlich fiel ihr der Brief wieder ein. Hatte sie ihn oben fallen lassen? Wohin war er? Aber ihr Geist war zu matt, als daß sie imstande gewesen wäre, einen Vorwand zu ersinnen, um bei Tisch aufstehen zu können. Sie war feig geworden. Sie hatte Furcht vor Karl. Sicherlich wußte er nun alles, sicherlich! Und wahrhaftig, da sagte er mit eigentümlicher Betonung:

      »Rudolf werden wir wohl nicht sobald wieder zu sehen kriegen?«

      »Wer hat dir das gesagt?« fragte sie zitternd.

      »Wer mir das gesagt hat?« wiederholte er, ein wenig betroffen von dem harten Klang ihrer Frage. »Na, sein Kutscher, dem ich vorhin vor dem Cafe Francais begegnet bin. Boulanger ist verreist, oder er steht im Begriff zu verreisen….«

      Emma schluchzte laut auf.

      »Wundert dich das?« fuhr er fort. »Er verdrückt sich doch immer mal von Zeit zu Zeit so. Um sich zu zerstreuen. Kanns ihm nicht verdenken. Wenn man das nötige Geld dazu hat und Junggeselle ist…. Übrigens ist unser Freund ein Lebenskünstler! Ein alter Schäker! Langlois hat mir erzählt….«

      Er verstummte, aus Anstand, weil das Dienstmädchen gerade hereinkam. Sie legte die Aprikosen wieder ordentlich in das Körbchen, das auf der Kredenz stand. Karl ließ es sich auf den Tisch bringen, ohne zu bemerken, daß seine Frau rot wurde. Er nahm eine der Früchte und biß hinein.

      »Ah!« machte er. »Vorzüglich! Koste mal!«

      Er schob ihr das Körbchen zu. Sie wehrte leicht ab.

      »So riech doch wenigstens! Das ist ein Duft!«

      Er hielt ihr eine Aprikose links und rechts an die Nase.

      »Ich bekomm keine Luft!« rief sie und sprang auf. Aber schnell beherrschte sie sich wieder, mit Aufgebot aller ihrer Kraft. »Es war nichts! Gar nichts! Wieder meine Nerven! Setz dich nur wieder hin und iß!«

      Sie fürchtete, er könne sie ausfragen, um sie besorgt sein und sie dann nicht allein lassen. Karl gehorchte ihr und setzte sich wieder. Er spuckte die Aprikosenkerne immer erst in die Hand und legte sie dann auf seinen Teller.

      Da fuhr draußen ein blauer Dogcart im flotten Trabe über den Markt. Emma stieß einen Schrei aus und fiel rücklings langhin zu Boden.

      Rudolf hatte sich nach langer Überlegung entschlossen, nach Rouen zu fahren. Da nun aber von der Hüchette nach dorthin kein anderer Weg als der über Yonville führte, mußte er diesen Ort wohl oder übel berühren. Emma hatte ihn im Scheine der Wagenlaternen, die draußen die Dunkelheit wie Sterne durchhuschten, erkannt.

      Der Apotheker, der sofort gemerkt hatte, daß im Hause des Arztes ›was los sei‹, stürzte herbei. Der Eßtisch war mit allem, was darauf gestanden, umgestürzt. Die Teller, das Fleisch, die Sauce, die Bestecke, Salz und Oel, alles lag auf dem Fußboden umher. Karl hatte den Kopf verloren, die erschrockene kleine Berta schrie, und Felicie nestelte ihrer in Zuckungen daliegenden Herrin mit bebenden Händen die Kleider auf.

      »Ich werde schnell Kräuteressig aus meinem Laboratorium holen!« sagte Homais.

      Als man Emma das Fläschchen ans Gesicht hielt, schlug sie seufzend die Augen wieder auf.

      »Natürlich!« meinte der Apotheker. »Damit kann man Tote erwecken!«

      »Sprich!« bat Karl. »Rede! Erhole dich! Ich bin ja da, dein Karl, der dich liebt! Erkennst du mich? Hier ist auch Berta! Gib ihr einen Kuß!«

      Das Kind streckte die Ärmchen nach der Mutter aus und wollte sie um den Hals fassen. Aber Emma wandte den Kopf weg und stammelte:

      »Nicht doch! Niemanden!«

      Sie wurde abermals ohnmächtig. Man trug sie in ihr Bett.

      Lang ausgestreckt lag sie da, mit offnem Munde, die Lider geschlossen, die Hände schlaff herabhängend, regungslos und blaß wie ein Wachsbild. Ihren Augen entquollen Tränen, die in zwei Ketten langsam auf das Kissen rannen.

      Karl

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