Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
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»Ja,« erwiderte Karl, die Schlummernde betrachtend. »Jetzt scheint sie ein wenig zu schlafen, die Ärmste! Ein Rückfall in das alte Leiden!«
Nun erkundigte sich Homais, wie das gekommen sei. Karl gab zur Antwort:
»Ganz plötzlich! Während sie eine Aprikose aß.«
»Höchst merkwürdig!« meinte der Apotheker. »Es ist indessen möglich, daß die Aprikosen die Ohnmacht verursacht haben. Es gibt gewisse Naturen, die für bestimmte Gerüche stark empfänglich sind. Es wäre eine sehr interessante Arbeit, diese Erscheinungen wissenschaftlich zu untersuchen, sowohl nach physiologischen wie nach pathologischen Gesichtspunkten. Die Pfaffen haben von jeher gewußt, wie wertvoll das für sie ist. Die Verwendung von Weihrauch beim Gottesdienst ist uralt. Damit schläfert man den Verstand ein und versetzt Andächtige in Ekstase, am leichtesten übrigens weibliche Wesen. Die sind feinnerviger als wir Männer. Ich habe von Fällen gelesen, wo Frauen ohnmächtig geworden sind beim Geruch von verbranntem Horn, frischem Brot….«
»Geben Sie acht, daß sie nicht aufgeweckt wird!« mahnte Bovary mit flüsternder Stimme.
»Diese Anomalien kommen aber nicht allein bei Menschen vor,« fuhr der Apotheker fort, »sondern sogar bei Tieren. Zweifellos ist Ihnen nicht unbekannt, daß Nepeta cataria vulgär Katzenminze, sonderbarerweise auf das gesamte Katzengeschlecht als Aphrodisiakum wirkt. Einen weiteren Beleg kann ich aus meiner eigenen Erfahrung anführen. Bridour, ein Studienfreund von mir – er wohnt jetzt in der Malpalu-Straße – besitzt einen Foxterrier, der jedesmal Krämpfe bekommt, wenn man ihm eine Schnupftabaksdose vor die Nase hält. Ich habe dieses Experiment selber ein paarmal mit angesehen, im Landhause meines Freundes am Wilhelmswalde. Sollte mans für möglich halten, daß ein so harmloses Niesemittel in den Organismus eines Vierfüßlers derartig eingreifen kann? Das ist höchst merkwürdig, nicht wahr?«
»Gewiß!« sagte Karl,der gar nicht darauf gehört hatte.
»Das beweist uns,« fuhr der andre fort, gutmütig-selbstgefällig lächelnd, »daß im Nervensystem zahllose Unregelmäßigkeiten möglich sind. Ich muß gestehen, daß mir Ihre Frau Gemahlin immer außerordentlich reizsam vorgekommen ist. Darum möchte ich Ihnen, verehrter Freund, auf keinen Fall raten, ihr eine jener Arzneien zu verordnen, die angeblich die Symptome so einer Krankheit beseitigen sollen, in Wirklichkeit aber nur der Gesundheit schaden. Nein, nein, hier sind Medikamente unnütz! Diät! Weiter nichts! Beruhigende, milde, kräftigende Kost! Und dann, könnte man bei ihr nicht auch irgendwie auf die Einbildungskraft einzuwirken versuchen?«
»Wieso? Womit?«
»Ja, das ist eben die Frage! Das ist wirklich die Frage! That is the question! – wie ich neulich in der Zeitung gelesen habe.«
Emma erwachte und rief:
»Der Brief? Der Brief?«
Die beiden Männer glaubten, sie rede im Delirium. In der Tat trat das mitternachts ein. Emma hatte Gehirnentzündung.
In den nächsten sechs Wochen wich Karl nicht von ihrem Lager. Er vernachlässigte alle seine Patienten. Er schlief kaum mehr, unermüdlich maß er ihren Puls, legte ihr Senfpflaster auf und erneute die Kaltwasser-Umschläge. Er schickte Justin nach Neufchâtel, um Eis zu holen. Es schmolz unterwegs. Justin mußte nochmals hin. Doktor Canivet wurde konsultiert. Professor Larivière, sein ehemaliger Lehrer, ward aus Rouen hergeholt. Karl war der völligen Verzweiflung nahe. Am meisten ängstigte ihn Emmas Apathie. Sie sprach nicht, interessierte sich für nichts, ja, sie schien selbst die Schmerzen nicht zu empfinden. Es war, als hätten Körper wie Geist bei ihr alle ihre Funktionen eingestellt.
Gegen Mitte Oktober konnte sie, von Kissen gestützt, wieder aufrecht in ihrem Bette sitzen. Als sie das erste Brötchen mit eingemachten Früchten verzehrte, da weinte Karl. Allmählich kehrten ihre Kräfte zurück. Sie durfte nachmittags ein paar Stunden aufstehen, und eines Tages fühlte sie sich soweit wohl, daß sie an Karls Arm einen kleinen Spaziergang durch den Garten versuchte.
Auf den sandigen Wegen lag gefallenes Laub. Sie ging ganz langsam, in Hausschuhen, ohne die Füße zu heben. An Karl angeschmiegt, lächelte sie in einem fort vor sich hin.
So schritten sie bis hinter an die Gartenmauer. Dort blieb sie stehen und richtete sich auf. Um besser zu sehen, hob sie die Hand über die Augen. Lange schaute sie hinaus in die Weite. Aber es gab in der Ferne nichts zu sehen als auf den Hügeln große Feuer, in denen man landwirtschaftliche Überbleibsel verbrannte.
»Das Stehen wird dich zu sehr anstrengen, Beste!« warnte Karl und geleitete sie behutsam zur Laube hin. »Setz dich hier ein wenig auf die Bank! Das wird dir gut tun!«
»Nein, nein! Nicht hier! Hier nicht!« stieß sie mit ersterbender Stimme hervor.
Sie wurde ohnmächtig, und abends war die Krankheit von neuem da, und zwar in erhöhtem Grade und mit allerlei Komplikationen. Bald hatte sie in der Herzgegend, bald in der Brust, bald im Kopfe, bald in den Gliedern Schmerzen. Dazu gesellte sich ein Auswurf, an dem Bovary die ersten Anzeichen der Lungenschwindsucht zu erkennen wähnte.
Zu alledem hatte der arme Schelm auch noch Geldsorgen.
Vierzehntes Kapitel
Zunächst wußte er nicht, wie er dem Apotheker die vielen Arzneien vergüten sollte, die er von ihm bezogen hatte. Als Arzt brauchte er sie nicht zu bezahlen, aber das wäre ihm peinlich gewesen. Dann war der Haushalt, jetzt wo ihn das Mädchen führte, schrecklich teuer geworden. Die Rechnungen regneten nur so ins Haus. Die Lieferanten begannen ungeduldig zu werden. Insbesondre mahnte Lheureux in lästiger Weise. Er hatte den Höhepunkt von Emmas Krankheit dazu benutzt, ihre Rechnung höher auszuschreiben, als sie wirklich war. Flugs brachte er auch den Mantel, die Handtasche und zwei Koffer statt des einen und noch eine Menge andrer Gegenstände, die bestellt worden seien, wie er behauptete. Es nützte Bovary gar nichts, daß er erklärte, er brauche die Sachen nicht; der Händler erwiderte ihm in ungezogenem Tone, alle diese Waren seien bei ihm bestellt und er nähme sie nicht zurück. Herr Bovary möge sichs überlegen; er werde ihn eher verklagen als sich selber benachteiligen. Karl befahl daraufhin dem Mädchen, die Gegenstände im Geschäft abzugeben, aber Felicie vergaß es. Er selbst hatte sich um andre Dinge zu kümmern und dachte nicht mehr daran. Nach einer gewissen Zeit unternahm Lheureux einen neuen Versuch. Bald drohend, bald jammernd, brachte er es so weit, daß ihm Bovary schließlich einen Wechsel ausstellte, der in sechs Monaten fällig war. Als er das Papier unterschrieb, kam ihm der kühne Gedanke, tausend Franken von Lheureux zu leihen. Verlegen fragte er, ob er ihm diese Summe auf ein Jahr zu beliebigem Zinsfuß verschaffen könne. Der Handelsmann eilte sofort in seinen Laden, brachte das Geld und zugleich einen zweiten Wechsel, durch den sich Bovary verpflichtete, am 1. September kommenden Jahres eintausendundsiebzig Franken zu zahlen. Mit den bereits anerkannten hundertundachtzig Franken ergab das eine Gesamtschuld von zwölfhundertundfünfzig Franken. Lheureux machte hierbei ein ganz hübsches Geschäft; im übrigen wußte er im voraus genau, daß es hierbei nicht bliebe. Er rechnete darauf, daß der Arzt die Wechsel am Fälligkeitstage nicht einlösen könne und sie prolongieren müsse. Auf diese Weise sollte das erst armselige Sümmchen im Hause des Arztes wie in einem Sanatorium eine ordentliche Mastkur durchmachen und eines Tages dick und rund zu ihm zurückkehren.
Lheureux hatte allenthalben Erfolge. Er erlangte die regelmäßigen Apfelweinlieferungen