Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe). Hans Christian Andersen
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Читать онлайн книгу Die schönsten Märchen von Hans Christian Andersen (Illustrierte Ausgabe) - Hans Christian Andersen страница 14
Und der Mann nahm aus der Mappe ein kleines Buch mit weißen Blättern hervor: er war ein Maler; und mit dem Bleistift zeichnete er das rauchende Haus, die verkohlten Balken und den überhängenden Schornstein, und dieser neigte sich mehr und mehr; im Vordergrunde aber den großen, blühenden Rosenstrauch; der gewährte einen herrlichen Anblick. Seinetwegen war ja auch das ganze Bild entstanden.
Später am Tage kamen die zwei hier gebornen Sperlinge vorbei. »Wo ist das Haus?« fragten sie. »Wo ist das Nest? Piep! Alles ist verbrannt und unser starker Bruder mit. Das hat er nun davon, daß er das Nest behielt. Die Rosen sind gut davon gekommen; da stehen sie noch mit rothen Wangen. Die trauern freilich nicht über das Unglück der Nachbarn. Ich mag sie nicht anreden, und häßlich ist es hier, das ist meine Ansicht!« Und auf und davon ging es.
An einem schönen, sonnenhellen Herbsttage, man hätte beinahe glauben können, es sei noch mitten im Sommer, hüpften in dem trockenen und reingekehrten Herrenhofe vor der großen Treppe die Tauben, sowohl schwarze, als auch weiße und bunte; sie glänzten im Sonnenscheine. Die Taubenmütter sagten zu den Jungen: »Stellt Euch in Gruppen! Stellt Euch in Gruppen! Denn das nimmt sich viel besser aus.«
»Was sind das für graue Thierchen, die hinter uns umherlaufen?« fragte eine alte Taube, mit Roth und Grün in den Augen. »Kleine Graue! Kleine Graue!« rief sie.
»Es sind Sperlinge, gute Thiere. Wir haben stets in dem Rufe gestanden, fromm zu sein: deshalb wollen wir ihnen gestatten, die Körner mit aufzupicken; sie reden nicht hinein und machen solche hübsche Kratzfüße.«
Ja, sie kratzten dreimal mit dem Fuße und zwar mit dem linken Fuße und sagten auch »Piep!« Daran erkannten sie sich, denn es waren die Sperlinge aus dem Neste in dem abgebrannten Hause.
»Hier ist sehr gut essen!« sagten die Sperlinge. Die Tauben stolzirten um einander herum, brüsteten sich gewaltig und hatten innerlich ihre Ansicht und Meinung.
»Siehst Du die Kropftaube?« sprach eine von den andern. »Siehst Du die, wie sie die Erbsen verschluckt? Sie nimmt zu viele und noch dazu die besten! Kurre! Kurre! Wie sie den Kamm hebt, das häßliche, das boshafte Thier! Kurre! Kurre!«
Und alle Augen funkelten vor Bosheit! »Stellt Euch in Gruppen! Stellt Euch in Gruppen! Kleine Graue! Kleine Graue! Kurre! Kurre! Kurre!« so gingen die Schnäbel in Einem fort, und so werden sie nach tausend Jahren noch gehen.
Die Sperlinge aßen wacker; sie horchten aufmerksam zu und stellten sich sogar mit in die Reihen; es stand ihnen aber nicht gut. Satt waren sie und verließen daher die Tauben, tauschten gegenseitig ihr Urtheil über sie aus, huschten unter das Gartenstacket, und als sie die Thüre des Gartens offen fanden, hüpfte einer, der übersatt und deshalb muthig war, auf die Schwelle. »Piep!« sagte er, »das darf ich wagen!«
»Piep!« sagte der Andere; »das darf ich auch und noch etwas dazu!« Und er hüpfte in die Stube hinein. Es war Niemand zugegen; das sah der Dritte, flog noch tiefer in die Stube und rief: »Entweder ganz oder gar nicht! Es ist übrigens ein sonderbares Menschennest; und was haben sie hier aufgestellt! Was ist denn das?«
Dicht vor den Sperlingen blühten ja die Rosen; sie spiegelten sich im Wasser ab, und die verkohlten Balken lehnten an dem überhängenden Schornsteine! »Nein? was ist denn das? Wie kommt dies in das Zimmer auf den Edelhof?«
Und alle drei Sperlinge wollten über die Rosen und den Schornstein wegfliegen, sie flogen aber gegen eine flache Wand an. Alles war ein Gemälde, ein großes prächtiges Bild, welches der Maler nach einer Skizze ausgeführt hatte.
»Piep!« sagten die Sperlinge, »es ist nicht! Es sieht nur nach etwas aus. Piep! das ist das Schöne. Kannst Du es begreifen? Ich nicht!« Und sie flogen davon, denn Menschen traten in die Stube.
Jahre und Tage vergingen; die Tauben hatten oft gekurrt, um nicht zu sagen: geknurrt, die boshaften Thiere: die Sperlinge hatten im Winter gefroren und im Sommer flott gelebt; sie waren alle verlobt oder verheirathet oder wie man es nennen will. Sie hatten Junge, und Jeder hielt natürlich seine für die schönsten und klügsten; einer flog hier hin, einer dort hin, und begegneten sie sich, so erkannten sie einander an ihrem »Piep« und dem dreimaligen Kratzen mit dem linken Fuße. Das Aelteste war ein Sperlingsfräulein geblieben, welches kein Nest und keine Jungen hatte; seine Lieblingsidee war, eine große Stadt zu sehen; es flog daher nach Kopenhagen.
Ein großes Haus erblickte man da mit vielen bunten Farben dicht am Schloß und am Canal, worin viele mit Aepfeln und Töpfen beladene Schiffe schwammen. Die Fenster waren unten breiter, als oben, und wenn die Sperlinge hindurch guckten, so kam ihnen jede Stube wie eine Tulpe mit den buntesten Farben und Schattirungen vor. Mitten in der Tulpe aber standen weiße Menschen, die waren aus Marmor; einige auch aus Gyps; doch mit Sperlingsaugen betrachtet, bleibt sich das gleich. Oben auf dem Dache stand ein Metallwagen mit Metallpferden bespannt, und die Siegesgöttin, ebenfalls aus Metall, lenkte sie. Es war Thorwaldsen's Museum.
»Wie es glänzt, wie es glänzt!« sagte das Sperlingsfräulein. »Das wird wohl das Schöne sein. Piep! Hier ist es aber größer als ein Pfau!« Es erinnerte sich noch aus seinen Kinderjahren an Das, was seine Mutter als das Größte unter dem Schönen erkannt hatte. Es flog in den Hof hinunter; da war Alles außerordentlich prächtig; an die Mauern waren Palmen und Zweige gemalt; mitten im Hofe stand ein großer, blühender Rosenstrauch; er breitete seine frischen Zweige mit den vielen Rosen über ein Grab hin. Dahin flog das Sperlingsfräulein, denn es sah dort mehrere, seines Schlages. Piep und drei Kratzfüße – so hatte es das Jahr hindurch oft gegrüßt und Niemand hier hatte geantwortet; denn die einmal getrennt sind, treffen sich nicht alle Tage: der Gruß war ihm zur Gewohnheit geworden. – Heute aber antworteten zwei alte Sperlinge und ein junger mit »Piep!« und dreimaligem Kratzen mit dem linken Fuße.
»Ah! Guten Tag! Guten Tag!« Es waren zwei Alte aus dem Neste und noch ein Kleiner aus der Familie. »Treffen wir uns hier? Es ist ein vornehmer Ort, aber es giebt nicht viel zu essen. Das ist das Schöne! Piep!«
Und viele Menschen traten aus den Seitengemächern heraus, wo die prächtigen Marmorgestalten standen, und näherten sich dem Grabe, das den großen Meister barg, der die Marmorgestalten gebildet hatte. Alle standen mit verklärten Gesichtern um Thorwaldsen's Grab, und Einzelne lasen die abgefallenen Rosenblätter auf und bewahrten sie auf. Sie waren weit hergekommen: Einer aus dem mächtigen England, Andere aus Deutschland und Frankreich. Die schönste Dame pflückte eine der Rosen und barg sie in ihrem Busen. Da glaubten die Sperlinge, daß die Rosen hier regierten, und daß das Haus ihretwegen gebaut sei; das schien ihnen nun allerdings zu viel, indeß, da die Menschen alle ihre Liebe für die Rosen zeigten, wollten sie nicht zurückbleiben. »Piep!« sagten sie und kehrten den Fußboden mit ihren Schwänzen und blinzelten mit einem Auge nach den Rosen; sie hatten sie nicht lange betrachtet, da überzeugten sie sich, daß es die alten Nachbarn waren. Und sie waren es wirklich. Der Maler, welcher den Rosenbusch bei dem abgebrannten Hause gezeichnet, hatte später Erlaubniß erhalten, ihn auszugraben, und hatte ihn dem Baumeister gegeben, denn schönere Rosen hatte man nie gesehen; und der Baumeister hatte ihn auf Thorwaldsen's Grab gepflanzt, wo er als Bild des Schönen blühte und feine rothen, duftenden Rosenblätter hingab, um nach fernen Landen als Erinnerung getragen zu werden.
»Habt ihr hier in der Stadt Anstellung gefunden?« fragten die Sperlinge.
Die Rosen nickten; sie erkannten die grauen Nachbarn, und freuten sich, sie wiederzusehen. »Wie es doch herrlich ist, zu leben und zu blühen, alte Freunde wiederzusehen und jeden Tag fröhliche Gesichter! Es ist, als wäre jeder ein Festtag.« »Piep!« sagten die Sperlinge. »Ja, es sind wahrlich die alten Nachbarn; ihre Abstammung