Vom beinahe vollkommenen Menschen. Lukian
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Vom beinahe vollkommenen Menschen - Lukian страница 8
Timon. Warte ein wenig, dann kannst du mich des Totschlags anklagen.
Gnathonides. Nein, nein. Aber meine Wunde musst du heilen, indem du sie mit ein bisschen Gold verbindest. Gold ist gar wirksam, das Blut zu stillen.
Timon. Bist du noch da?
Gnathonides. Ich gehe ja, ich gehe. Aber warte, du sollst es noch bereuen, dass du aus einem so anständigen Mann ein solcher Grobian geworden bist.
Timon. (47) Was kommt den dort für ein Glatzkopf? Ach, Philiades, der abgefeimteste von allen Schmarotzern! Dieser Bursche hat ein ganzes Landgut und zwei Talente zur Ausstattung seiner Tochter von mir bekommen, als er einmal, da ich gesungen hatte und alle anderen stille schwiegen, mein Singen ganz alleine lobte und schwor, ich sänge melodischer als ein sterbender Schwan. Und neulich, als ich krank und elend zu ihm kam und ihn um eine Unterstützung ansprach, hat er mir noch obendrein Streiche zugemessen.
Philiades. (48) O das unverschämte Volk! Jetzt kennt ihr den Timon wieder! Jetzt ist Gnathonides wieder der gute Freund und Zechbruder! Drum hat er auch sein Recht bekommen, der undankbare Schuft! Ich aber, Timons alter Kamerad und Jugendgenosse, bin gleichwohl schüchtern und möchte mich ihm um alles in der Welt nicht aufdrängen. – Sei gegrüßt, mein Herr und Gebieter. Hüte dich vor diesem verfluchten Rabengesindel aus Speichelleckern, denen es um nichts als um deinen Tisch zu tun ist. Man darf heute keinem Menschen mehr trauen. Es ist einer wie der andere ein undankbarer Schurke. Ich war eben im Begriff, dir ein Talent zu bringen, damit du die dringendsten Bedürfnisse befriedigen kannst, als ich auf dem Weg hierher hörte, du wärest wieder zu unermesslichem Reichtum gelangt. So wollte ich dir also wenigstens mit meinem guten Rat dienen, wiewohl ein gescheiter Mann wie du, der auch einem Nestor57 zu sagen wüsste, was er zu tun und zu lassen hat, meines Rates kaum bedürfen wird.
Timon. Lass gut sein, Philiades. Tritt aber doch ein bisschen näher, damit ich dir mit meiner Hacke auch eine kleine Gefälligkeit erweisen kann. [Schlägt zu.]
Philiades. Zu Hilfe, Leute, zu Hilfe! Er hat mir den Schädel eingeschlagen, der Undankbare, weil ich ihm zu seinem Vorteil geraten habe.
Timon. (49) Siehe, da kommt ein Dritter, der Volksredner Demeas,58 der sich für meinen Verwandten ausgibt. Er trägt den Entwurf eines Volksbeschlusses in den Händen. 16 Talente an einem Tag hat er einmal von mir bekommen und an die Stadt gezahlt; er war nämlich zu dieser Summe verurteilt und, weil er nicht bezahlen konnte, verhaftet worden. Da erbarmte ich mich seiner und löste ihn aus. Neulich aber traf ihn das Los, an den Erechtheidischen Stamm das Theatergeld auszuteilen.59 Ich kam und bat mir meinen Anteil aus. Da gab er mir die Antwort, er wisse nichts davon, dass ich ein Bürger sei!
Demeas. (50) Heil dir, Timon, Krone unseres Stammes, Stütze der Athener, Vormann von Hellas! Längst warten deiner das versammelte Volk und die beiden Räte.60 Zuvor aber vernimm den Entwurf des Dekrets, den ich zu deinen Gunsten aufgesetzt habe:
»In Anbetracht dessen, dass Timon, der Sohn des Echekratides aus Kolyttos, ein rechtschaffener und dabei kluger Mann wie kein anderer in Hellas, sich jederzeit um das Gemeinwesen wohlverdient gemacht hat und Siegespreise im Faust- und im Ringkampf erhalten hat, im Wettlauf, im Wagenrennen mit dem Viergespann und mit dem Zweigespann der Fohlen, alles in einem Tag zu Olympia, …«
Timon. Aber ich bin ja noch nicht einmal als Zuschauer in Olympia gewesen.
Demeas. Macht nichts. Du wirst wohl später einmal dort zusehen, je mehr dergleichen hier drinsteht, desto besser.
»… ferner im vergangenen Jahr bei Acharnai61 sich für die Stadt sehr tapfer gewehrt und zwei Bataillone Peloponnesier zusammengehauen …«
Timon. (51) Wie? Ich bin ja, weil ich keine Waffen hatte, nicht einmal auf die Kriegsliste gekommen.
Demeas. Du sprichst gar zu gering von dir. Wir hingegen wären undankbar, wenn wir deiner Taten nicht gedächten.
»… desgleichen durch Gesetzesvorschläge, Gutachten und seine Amtsführung als Stratege der Polis ungemeine Dienste geleistet hat – in Erwägung all dessen beschließen der Rat und das Volk und die Volksversammlung, nach Phylen und Demen in Einzel- wie Gesamtabstimmung, dem Timon eine goldene Bildsäule neben der Athene auf der Burg setzen zu lassen, mit Strahlen ums Haupt62 und einem Donnerkeil in der rechten Hand, ferner ihn mit sieben goldenen Kränzen zu beschenken und diese Ehrenbezeigung heute an den Dionysien,63 welche Timon zu Ehren eben heute gefeiert werden sollen, im Theater bei der Aufführung neuer Tragödien öffentlich ausrufen zu lassen. Vorstehendes Dekret hat in Antrag gebracht Demeas, der Volksredner, Timons nächster Verwandter und Schüler. Denn auch ein trefflicher Redner ist Timon, und überhaupt alles, was er nur will.«
(52) Das wäre nun also mein Vorschlag. Auch wollte ich dir meinen Sohn vorstellen, den ich nach deinem Namen Timon genannt habe.
Timon. Wie das, Demeas? Du bist ja meines Wissens gar nicht verheiratet.
Demeas. Ich werde aber, so Gott will, übers Jahr heiraten, und weil das erste Kind, das ich zeugen werde, unfehlbar ein Knabe sein wird, so nenne ich ihn jetzt schon Timon.
Timon. Ob aus der Hochzeit etwas werden wird, wenn du – einen solchen Streich aufsitzen hast?
Demeas. Au! Wehe! Was soll das? Timon stürzt den Staat um! Timon schlägt freie Bürger und ist doch selbst weder Bürger noch frei geboren! Alsbald wirst du es zu büßen haben, vor allem, dass du Feuer in der Burg gelegt hast.
Timon: (53) Hat denn die Burg gebrannt? Du schändlicher Sykophant?
Demeas: Aber in die Schatzkammer bist du eingebrochen, daher dein Reichtum.
Timon: Sie ist ja nicht aufgebrochen worden. Also wird auch dies kein Mensch dir glauben.
Demeas. Sie wird aber aufgebrochen werden. Genug. Du hast sie jetzt schon ausgeleert.
Timon. Da hast du noch eine.
Demeas. Au! Mein Rücken!
Timon. Schrei mir nicht, oder du kriegst noch eine dritte. Das müsste sonderbar zugegangen sein, wenn ich unbewaffnet zwei Bataillone Spartaner hätte niedergehen lassen und könnte so ein einzelnes hundsföttisches Männlein nicht kleinkriegen. Wofür hätte ich denn in Olympia gesiegt, im Faust- und Ringkampf?
(54) Aber was sehe ich? Kommt hier nicht Thrasykles, der Philosoph? Wahrhaftig er ist’s. Wie der Mensch mit vorgestrecktem Bart, mit hochgezogenen Augenbrauen und in stolzer Selbstgefälligkeit mit sich selbst spricht, wie er so finster um sich blickt, wie seine Haare auf der Stirn zu Berge stehen – ein leibhaftiger Boreas oder Triton,64 wie sie Zeuxis65 malte! Dieser Mann mit dem einfachen Äußeren, dem gravitätischen Gang und dem bescheidenen Anzug deklamiert des Morgens Wunder wie viel von Tugend, schimpft auf die, welche ihre Freude am Wohlleben haben, und zeigt, wie schön es ist, sich mit Wenigem zu begnügen. Derselbe aber, wenn er nach dem Bad zu einem Gastmahl kommt, fordert alsbald einen großen Becher und trinkt drauflos. Je stärker der Wein, desto lieber. Bald ist es so, als ob er aus dem Strom der Lethe getrunken hätte. Seine Aufführung widerstreitet