Die Vampirschwestern 6 - Bissige Gäste im Anflug. Franziska Gehm

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Die Vampirschwestern 6 - Bissige Gäste im Anflug - Franziska Gehm Die Vampirschwestern

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macht Gänsehaut

      Ludo Schwarzer saß in einem Sessel aus der Zeit des Biedermeiers. In dem Sessel hatte schon sein Ururopa gesessen. Ludos Fußspitzen berührten gerade so den Boden. Die Sessellehne umgab Ludos Kopf wie ein gigantischer Helm. Manchmal stellte sich Ludo vor, der Sessel wäre eine Kapsel, mit der er durch die Zeit reisen könnte. Er fühlte sich sehr wohl in dem alten Sessel.

      „Und dann haben wir Helene noch den Flugparcours gezeigt“, sagte Daka. Sie hing kopfüber an der Gardinenstange im Fenster. Die Gardine hatte sich in ihren schwarzen Haarstacheln verfangen und sah aus wie ein Schleier.

      „Und den Blutmarkt“, fügte Silvania hinzu. Sie lag wie eine Diva auf einem Diwan.

      „Und das Theatnyk“, meldete sich Helene zu Wort, die auf einem Hocker saß und kippelte.

      Ludo hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und nickte. Seit einer Stunde hörte er sich die Geschichten aus Bistrien an, die seine Freundinnen in den Ferien dort erlebt hatten. Er hatte von Oktavians Gruft, von eingelegten Ratten, vom Flug mit Pupsantrieb, von rotzenden Jungfrauen, vom Ha-Chi-Kampf und von Silvanias Saikato-Auftritt gehört. Langweilig war ihm keine Sekunde geworden, höchstens schwindlig.

      „Und jetzt sag bloß nicht, du hast das alles vorausgesehen“, sagte Daka.

      „Hätte ich das alles gesehen, wäre ich garantiert mitgekommen.“ Ludo sah auf seine Fingernägel und verzog das Gesicht. „Wenn mich meine Eltern gelassen hätten.“

      Ludos Eltern waren gerade beim Kunstturmspringwettkampf von Fero. Fero war Ludos Bruder. Er war etwas älter und etwas sportlicher als Ludo. Ludos Eltern wussten nichts von dem vampwanischen Blut, das in den Adern von Ludos neuen Freundinnen floss. Von Ludos übernatürlichen Fähigkeiten wollten sie nichts wissen. Ludos Vater war Physiker. Er konnte alles mit den Naturgesetzen erklären. Sogar die Liebe. Ludos Mutter war Schreinerin. Sie glaubte an handfeste Sachen und an das, was sie sah.

      „Dein Opa hätte dich bestimmt mit nach Transsilvanien fliegen lassen“, meinte Helene.

      „Der wäre selbst mitgegflogen und gleich dortgeblieben“, sagte Ludo.

      Ludos Opa hatte, genau wie Ludo, besondere Fähigkeiten. Er konnte durch Gegenstände sehen und hatte einen ausgeprägten Geruchssinn. So behauptete er zumindest. Nachweisen ließ sich das nur schwer. Immerhin hatte er vor Jahren einmal einen fünf Kilometer entfernten Waldbrand gerochen und bei einer Fleischwarenfachverkäuferin durch die Hose eine Zecke in der Kniekehle gesehen. Die Fleischwarenfachverkäuferin hatte dann allerdings mehr Angst vor Ludos Opa als vor der Zecke.

      Mit zunehmendem Alter wurden diese Fähigkeiten leider immer schwächer. Wenn sich Zapko Schwarzer nicht gerade ein Experiment ausdachte, um den Rückgang seiner Fähigkeiten aufzuhalten, ging er seiner neuen Leidenschaft nach: dem Kochen und Backen. Das war auch ein Experiment.

      Ludo hatte nur seinem Opa anvertraut, dass Silvania und Daka Halbvampire waren. Wobei Zapko Schwarzer schon etwas in der Art gerochen hatte.

      „Wo wäre ich geblieben?“, fragte er, als er jetzt mit einem dampfenden Tablett ins Zimmer kam.

      „Dort, wo kein Knoblauch wächst“, sagte Ludo und schielte mit gerunzelter Stirn auf das Tablett. Darauf lagen mehrere kleine braune, dampfende Häufchen.

      Helene, die immer Hunger hatte und fünf Portionen Pommes hintereinander schaffte (mit Majo und Ketchup), reckte den Hals. „Kann man das essen?“

      Zapko Schwarzer stellte das Tablett auf den Wohnzimmertisch. „Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen.“

      Daka und Silvania starrten mit offenem Mund auf das Tablett. Helene fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ludo sah seinen Opa ängstlich an.

      „Ob man das essen kann, weiß ich auch nicht. Ein bisschen guten Willen müsst ihr schon aufbringen. Sie sind auf jeden Fall knoblauchfrei. Greift zu“, sagte Ludos Opa. „Und lasst euch von mir nicht stören.“ Er ging zu einem Regal und wühlte in einem Zeitschriftenstapel.

      „Datiboi“, sagten Silvania und Daka.

      „Manches kann man einfach nicht voraussehen“, murmelte Ludo und starrte auf die dampfenden Haufen.

      Helene griff als Einzige nach einem Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen. Sie hielt ihn sich vor die Nase und roch daran.

      Plötzlich spürte Ludo einen Lufthauch. Zittrig und kalt, als würde ein Schneegestöber an ihm vorbeiziehen. Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf. Ludos Pupillen weiteten sich vor Entsetzen. War er schon wieder da? Der Geist, der ihn seit ein paar Tagen verfolgte? Der sich ihm nie ganz zeigte und ihm den Schlaf raubte? Ludo versuchte, alle Geräusche um sich herum auszublenden und sich auf den geheimnisvollen Singsang zu konzentrieren, den der Geist meistens von sich gab. Doch heute blieb alles ruhig.

      „Willst du gar nicht wissen, was es ist?“, riss ihn Daka aus den Gedanken.

      „Was ist was? Doch, klar.“ Ludo richtete sich im Sessel auf und sah fragend zu seinen Freundinnen. Er hoffte, dass er nichts Entscheidendes verpasst hatte. Von seiner Tante wusste er, dass Frauen sehr empfindlich reagieren konnten, wenn man ihnen nicht zuhörte.

      „Aaaalsooo“, begann Silvania. „Eigentlich sollte es eine Überraschung sein. Aber dann ist uns eingefallen, dass du ja sowieso voraussehen wirst, was es ist. Deswegen sagen wir es dir gleich.“

      Helene hatte vom Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen abgebissen und schluckte kräftig. Dann sagte sie: „Wir machen eine Nachtwanderung. Und zwar richtig schaurig-schön und unheimlich gruselig. Nichts für Memmen eben.“

      „Mit Mitternachtspicknick“, fügte Daka hinzu.

      „Aber nicht auf irgendeiner Terrasse“, sagte Silvania.

      Daka und Helene schüttelten verschwörerisch den Kopf.

      „Und auch nicht auf dem Friedhof.“

      Abermals schüttelten Daka und Helene den Kopf.

      „Sondern …“

      Ludo kniff die Augen zusammen, er blähte die Backen auf, dann ließ er langsam die Luft heraus. „Ich sehe es“, schnaufte er. „Ein Mitternachtspicknick auf dem Gipfel des Knochenhügels.“

      „GENAU!“, riefen Silvania, Helene und Daka.

      „Ihr wollt auf den Knochenhügel?“, kam auf einmal die knorrige Stimme von Ludos Opa. „Um Mitternacht?“ Langsam ließ er seinen durchdringenden Blick über jeden einzelnen Gast im Wohnzimmer schweifen. „Das würde ich mir an eurer Stelle noch einmal gut überlegen.“

      Daka hörte auf, an der Gardinenstange hin- und herzuschwingen.

      Helene, die gerade wieder von ihrem Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen abgebissen hatte, hielt im Kauen inne.

      Silvania richtete sich auf dem Diwan auf. „Aber wieso? Riechen Sie etwas?“

      „Dazu brauche ich meine Nase nicht.“ Zapko Schwarzer starrte aus dem Wohnzimmerfenster. In einer Fensterecke war ein Spinnennetz gespannt. Eine Fliege hatte sich darin verfangen und zappelte.

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