Die Vampirschwestern 6 - Bissige Gäste im Anflug. Franziska Gehm
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„Oder weil der abgestorbene Baum auf dem Gipfel wie eine Knochenhand aussieht?“, schlug Silvania vor.
Helene, die noch immer den Bissen im Mund hatte, brummte etwas Unverständliches.
Zapko Schwarzer betrachtete noch einen Moment die Fliege. Als sie sich nicht mehr bewegte, wandte er sich zu den Kindern. „Man erzählt sich, dass dieser Hügel an den nördlichen Ausläufern der Stadt einst Schauplatz eines grausamen Ereignisses war. Vor ungefähr vierhundert Jahren gab es den Hügel noch nicht. Dort, wo er sich heute erhebt, befand sich eine weite Ebene. Sie diente im Dreißigjährigen Krieg als Schlachtfeld. Es war ein grausamer Krieg, voller Hungersnöte, Seuchen und Gräuel. Unzählige Menschen ließen ihr Leben. Soldaten, Frauen, Kinder. Dieses Schlachtfeld muss ein furchtbarer Anblick gewesen sein. Nichts als Zerstörung, Leid und Elend. Einer jahrhundertealten Sage nach trugen die wenigen Überlebenden der Gegend die Leichen auf einen Haufen zusammen, der schnell zu einem Hügel anwuchs. Sie bedeckten die Toten mit Erde und pflanzten einen Baum auf den Gipfel. Dieser Hügel, so die Sage, sollte den Lebenden als Mahnung gelten. Im Volksmund wurde er Knochenhügel genannt. Der Name hat sich bis heute gehalten. Nur die Sage ist in Vergessenheit geraten.“
Als Zapko Schwarzer geendet hatte, sah er reglos vor sich hin.
Im Wohnzimmer war es mucksmäuschenstill.
Silvania biss sich auf die Unterlippe.
Helene, die noch immer den Mund voller Erdnuss-Muskat-Schwarzfußporling-Kartoffel-Maroni-Bucheckern-Pinien-Hallimasch-Sesam-Haufen hatte, bewegte nur die Pupillen hin und her.
Ludo kämpfte gegen die nächste Gänsehaut an.
Daka war so in der Erzählung von Ludos Opa versunken, dass sie gar nicht merkte, wie sie langsam von der Gardinenstange rutschte. Sie landete mit einem lauten Schrei samt Gardine in einer Palme, die vor dem Fenster stand. Sofort kam wieder Leben ins Wohnzimmer.
Ludo sprang auf und half Daka aus der Palme.
Silvania flopste sich zu ihrer Schwester und befreite sie aus der Gardine. Zur Sicherheit spuckte sie ihr dreimal auf den Ellbogen, mit dem sie in der Blumenerde gelandet war. Das half gegen Schmerzen. Es war zwar nicht wissenschaftlich bewiesen, aber jeder Vampir in Transsilvanien war davon überzeugt.
Helene hatte mittlerweile ihren Kekshaufen heruntergeschluckt. „Aber das ist doch nur eine Sage. Und selbst wenn sie stimmt, umso besser. Ein Hügel aus uralten echten Knochen – einen besseren Platz für ein Mitternachtspicknick gibt es doch gar nicht.“
Über Zapko Schwarzers hellblaue Augen huschte ein Schatten. „Ihr solltet die Mahnung der Überlebenden von damals nicht zu leicht nehmen. Dies war ein Ort des Grauens. Und er wird es für immer bleiben.“
Ludo drehte sich zu seinem Großvater um und musterte ihn eindringlich. Er wusste in dem Moment, dass er recht hatte.
Fallobst aus Transsilvanien
Seine blonden Locken waren feucht, verklebt und vom Flugwind nach hinten geweht. Seine Hände waren rot und eiskalt. Dirk van Kombast hatte Angst, die Finger könnten abbrechen, wenn er sie bewegte. An seiner Nase hing ein vereister Tropfen. Doch der Vampirjäger wagte es nicht, die Schultern von Urio Transgoliato auch nur eine Sekunde loszulassen, um den Tropfen wegzuwischen. Nicht, solange die Straßen unter ihnen wie winzige Regenwürmer aussahen. Seine Zähne klapperten. Seine Nasenflügel bebten. Vor allem, wenn Urio Transgoliato eine dunkelblaue Wolke ausstieß.
Dirk van Kombast stiegen vor Freude die Tränen in die Augen, als er nach ungefähr 1500 Flugkilometern von Weitem die Lichter von Bindburg erkannte. Die Großstadt breitete sich am Rand eines kleinen Gebirgszugs aus. In der kohlrabenschwarzen Nacht glänzte sie wie ein goldener Teppich. Noch nie war Dirk van Kombast die Stadt, in der er wohnte, so schön vorgekommen. Die Lichter funkelten verheißungsvoll, wie Kerzen am Weihnachtsbaum. Sie kündeten von Leben und Menschen. Normalen Menschen. Menschen, die tagsüber arbeiteten und nachts schliefen. Die zweimal am Tag Zähne putzten, zweimal die Woche einkauften und zweimal im Jahr zum Zahnarzt gingen. Menschen, die nichts von den blutrünstigen Wesen in ihrer unmittelbaren Nähe wussten. Die ernsthaft glaubten, Vampire gäbe es nur in Büchern, Filmen und Kinderköpfen. Manchmal wünschte sich Dirk van Kombast, er wäre einer von ihnen. Er könnte arglos durchs Leben taumeln. Statt sich nachts an schauerlichen Orten auf die Lauer zu legen oder im Verborgenen an Knoblauch-Spezialwaffen zu basteln, könnte er einen Töpferkurs machen. Oder einen Steingarten anlegen. Oder die Verkäuferin mit den rotblonden Haaren und den olivengrünen Katzenaugen von Kasse vier im Bio-Supermarkt auf einen Mango-Lassi einladen.
All das könnte Dirk van Kombast tun – müsste er nicht seine Mutti rächen und die Menschheit vor einer Unterwanderung durch die Vampire bewahren. Dirk van Kombast war ein pflichtbewusster und zielstrebiger Mann. Er ließ niemanden im Stich und gab niemals auf. Selbst, wenn er sich auf dem Rücken des Feindes in sieben Kilometer Flughöhe befand und weit und breit keine Knoblauchzehe in Sicht war.
„Dort ist es“, sagte Dirk van Kombast und zeigte auf die Lichter der Stadt. „Bindburg. Dort wohnt Helene Steinbrück.“
Urio Transgoliato stieß anstelle einer Antwort eine dunkelblaue Wolke aus und ging langsam in den Sinkflug über.
Dirk van Kombast klammerte sich mit den Armen um den Hals des Vampirs und mit den Beinen um seine Hüften. Er sah, wie die Lichter der Großstadt immer näher kamen und sich in einzelne Gebäude verwandelten, wie aus Regenwürmern Straßen wurden und aus Käfern Autos. Er erkannte die fünf großen Türme des Rathauses, sogar die Ritterstatue auf dem höchsten Turm. Würde er nicht gerade auf dem Rücken eines gigantischen, blutrünstigen Wesens sitzen, hätte er gerne einen Stadtrundflug gemacht.
„Wohin jetzt, Puschel?“, dröhnte der gewaltige Vampir.
Dirk van Kombast spürte jede einzelne Silbe auf dem Rücken wie ein Erdbeben. Sein Herz galoppierte vor Schreck. „Dort entlang“, erwiderte er mit klappernden Zähnen. „Zum nördlichen Rand der Stadt.“ Er leitete Urio Transgoliato zur Reihenhaussiedlung und in den Lindenweg. Hätte ihm vor einer Woche jemand gesagt, dass er auf dem Rücken eines ausgewachsenen Vampirs aus Transsilvanien nach Hause kehren würde, hätte er der Person lächelnd auf die Schulter geklopft und ihr geraten, es mal mit mehr Obst zu versuchen.
Noch war er nicht zu Hause. Sie flogen gerade geräuschlos über die Dächer des Lindenwegs hinweg. In den meisten Häusern brannte kein Licht oder die Rollläden waren heruntergelassen. Ein gescheckter Hund trippelte über die verlassene Straße. Er hob den Kopf und sah zum Himmel. Als Urio Transgoliato sich mit ausgebreiteten Armen und bestialischem Grinsen vor den Mond schob, zog der Hund den Schwanz ein, duckte sich und rannte schnell zu einem Auto, unter dem er verschwand. Es war ein silberner Sportwagen. Er stand vor dem Reihenhaus Nummer 21.
„Hier“, sagte Dirk van Kombast und zeigte auf das Reihenhaus.
Urio Transgoliato flog über dem Haus eine Runde. „Da wohnt sie?“
Dirk van Kombast schluckte einen Angstknödel herunter, der ihm im Hals steckte, seit sie die Lichter der Großstadt gesehen hatten. Erst da war ihm klar geworden, dass es ein kleines Problem gab. Für den übergroßen Vampir war es aber womöglich ein übergroßes Problem. Dirk van Kombast wusste nicht, wo Helene Steinbrück wohnte. „Äh … nein. Da wohne ich.“
Kaum hatte Dirk van Kombast das gesagt, war er in eine tiefdunkelblaue Wolke eingehüllt. Der Vampirjäger hatte das Gefühl, als hätte jemand eine Tüte mit fünf Wochen altem Biomüll über seinen Kopf gestülpt. Er hustete. Er würgte. Er flehte den Vampir an: „Aber gleich nebenan, im Haus