Die bekanntesten Werke von Jack London. Джек Лондон
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Vergessen war die Ziegelei. Es war niemand zu Hause, aber Daylight stieg ab, durchstreifte den Küchengarten, aß Erdbeeren und grüne Erbsen, besichtigte die alte Scheune aus ungebrannten Ziegeln, den rostigen Pflug und die Egge, drehte sich Zigaretten und rauchte, während er die possierlichen Bewegungen einiger Hühner und ihrer Küken beobachtete. Ein an der Seite des großen Canjons hinabführender Flußpfad lud ihn ein, und er schickte sich an, ihm zu folgen. Parallel mit dem Wege lief ein Wasserrohr, und er schloß, daß es bis zu dem Creek hinaufführte. Die Wände des Canjons waren mehrere hundert Fuß hoch, und so prachtvoll waren die unberührten Bäume, daß die Stelle dauernd in Schatten getaucht war. Er sah Tannen, die nach dem Augenmaß einen Durchmesser von fünf bis sechs Fuß haben mußten, und Kiefern, die noch größer waren. Der Pfad führte zu einem kleinen Teiche, wo das Wasserrohr zur Bewässerung des Küchengartens abgezweigt war. Hier standen Erlen und Lorbeerbäume, und er schritt durch Farnkräuter, die ihm über den Kopf ragten. Überall war samtartiges Moos, und dazwischen wuchsen Venushaar und goldrückiger Farn. Mit Ausnahme des Teiches war es eine jungfräuliche Wildnis. Keine Axt hatte sie je berührt, und die Bäume starben nur vor Alter oder unter dem Druck der Winterstürme. Die mächtigen Stämme der gestürzten Bäume lagen mit Moos bedeckt da und wurden langsam wieder zu Erde, der sie entstammten. Manche hatten so lange dagelegen, daß sie ganz verschwunden waren, obgleich man immer noch ihre Umrisse auf dem ebenen Boden sah. Andere bildeten Brücken über den Bach, und unter den riesigen Stämmen sah man ein halbes Dutzend junger Bäume, die im Falle mitgerissen waren, aber nun am Boden entlang wuchsen und immer noch lebten und gediehen, während der Bach ihre Wurzeln umspülte und ihre aufstrebenden Zweige das Sonnenlicht auffingen, das durch die im Walddach entstandene Öffnung hereinströmte.
Hinter dem Gehöft stieg Daylight auf und ritt fort von der bebauten Erde in die wilderen Canjons. Nichts als die Besteigung des Sonoma-Berges konnte seine Feiertagsstimmung jetzt befriedigen. Und drei Stunden später erschien er auf dem Gipfel, müde und in Schweiß gebadet, mit zerrissenen Kleidern und zerschrammten Händen, aber mit strahlenden Augen und einem ungewohnten Ausdruck von Zufriedenheit. Er fühlte dieselbe Freude wie ein Schuljunge, der die Schule schwänzt. Der große Spieltisch von San Franzisko erschien ihm jetzt so fern. Aber es war mehr als unerlaubte Freude in seiner Stimmung. Ohne daß er sich darüber klar wurde, was es war, wurde er von einem läuternden, erhebenden Gefühl beseelt. Hätte er erklären sollen, was er fühlte, so hätte er nur sagen können, daß er sich mächtig wohl fühlte, denn er war sich des gewaltigen Zaubers der Natur nicht bewußt, der Leib und Seele erfüllte, die vom Stadtleben angekränkelt waren.
Der Gipfel des Sonoma-Berges war unbewohnt. Er hielt sein Pferd an der südlichen Seite des Gipfels an. Im Süden und Westen sah er wogende Strecken offenen, grasbewachsenen Landes, das von bewaldeten Canjons durchschnitten wurde, Falte auf Falte, Woge auf Woge, bis der Blick auf der Sohle des Petalumalales haftenblieb, die eben wie ein Billard war mit ihren geometrischen Flecken und Vierecken – den Gehöften, die inmitten ihrer fetten Felder dalagen und fast an ein Reißbrett gemahnten. Weiter nach Westen erhob sich Kette auf Kette von Bergen, über deren Tälern dunkelvioletter Nebel brütete, und noch weiter fort, hinter der allerletzten Bergkette, sah er den silbernen Schimmer des Stillen Ozeans. Dann wandte er sein Pferd und blickte nach Westen und Norden, von Santa Rosa bis zum St.-Helena-Berge, und nach Osten über das Sonoma-Tal bis zu der mit Eichen bewaldeten Bergkette, die die Aussicht über das Napa-Tal versperrte. Hier, am östlichen Hang des Sonoma-Tales, in der Flucht einer Linie, die das kleine Dorf Glen Ellen durchschnitt, konnte er etwas sehen, das einer Schramme an der Seite des Berges glich. Sein erster Gedanke war, daß es der Schuttplatz von einem Minentunnel sei, dann aber fiel ihm ein, daß er sich nicht in einem Goldlande befand, gab es auf, sich den Kopf zu zerbrechen, und setzte seinen Rundblick über das Land fort nach Südosten, wo er jenseits der San-Pablo-Bucht scharf und fern die Zwillingszinnen des Mount Diabolo sehen konnte. Im Süden lag der Mount Tamalpais, und fünfzig Meilen weiter, wo die Zugwinde vom Stillen Ozean durch das Goldene Tor hereinwehten, bildete der Rauch von San Franzisko eine niedrige Dunstwolke am Himmel.
»Es ist lange her, daß ich so viel Land auf einmal gesehen habe«, dachte er laut.
Er riß sich ungern los, und erst nach einer Stunde konnte er sich zum Abstieg entschließen. Es machte ihm Freude, daß er einen neuen Weg fand, und es wurde später Nachmittag, ehe er die bewaldeten Hügel wieder erreichte und weiter nach Glen Ellen ritt. Er saß mit losen Knien im Sattel und sang halbvergessene Lieder vor sich hin. Es ging einen unebenen, gewundenen Weg hinab, über eichenbestandene Wiesen, wo es hin und wieder freie Ausblicke gab. Er lauschte begierig dem Ruf der Wachtel und lachte einmal laut auf vor Freude, als er einen kleinen Chipmunk sah, der schimpfend einen Hang hinaufflüchtete, jedoch auf der schlüpfrigen Oberfläche ausglitt, seinem Pferde gerade an der Nase vorbei quer über den Weg lief und schließlich, immer noch schimpfend, in die schirmende Krone einer Eiche schlüpfte.
Daylight brachte es heute nicht über sich, auf belebten Straßen zu reiten, und als er wieder quer über Land in der Richtung von Glen Ellen ritt, versperrte ein Canjon ihm den Weg, so daß er gezwungen war, einem Viehsteige zu folgen, den er glücklicherweise fand. Der führte ihn zu einer kleinen Blockhütte. Türen und Fenster standen offen, und in der Tür saß eine Katze und leckte ihre Jungen, sonst aber schien niemand zu Hause zu sein. Er ritt weiter den Weg hinab, der offenbar den Canjon kreuzte. Ein Stückchen weiter traf er einen alten Mann, der ihm in der Abendsonne entgegenkam. In der Hand trug er einen Eimer mit schäumender Milch; er hatte keinen Hut auf dem Kopfe, und auf seinem von weißem Kopf- und Barthaar eingerahmten Gesicht lag die warme Glut und Zufriedenheit des schwindenden Sommertages.
»Wie alt seid Ihr, Väterchen?« fragte Daylight.
»Vierundachtzig«, lautete die Antwort. »Ja, junger Herr, vierundachtzig, aber munterer als die meisten.«
»Ihr müßt Euch gut gepflegt haben«, meinte Daylight.
»Davon weiß ich nichts. Müßiggang ist nie meine Sache gewesen. Ich zog mit einem Ochsengespann über die Steppe und half einundfünfzig den Indianern, und da war ich schon Familienvater und hatte sieben Jungens. Damals war ich so alt wie Sie jetzt.«
»Fühlt Ihr Euch hier nicht einsam?«
Der Alte nahm den Milcheimer in die andere Hand und dachte nach.
»Das kommt darauf an«, sagte er orakelhaft. »Ich hab' mich nie einsam gefühlt, nur damals, als meine Frau starb. Mancher fühlt sich einsam, wenn er unter Menschen ist, und so einer bin ich auch. Nur in Frisko fühle ich mich einsam. Aber in diesem Leben gehe ich nicht mehr dahin. Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Seit vierundfünfzig bin ich hier im Tale ansässig – ich bin einer von den ersten Ansiedlern nach den Spaniern.« Daylight ritt weiter mit den Worten:
»Na, dann gute Nacht, Väterchen! Macht's weiter so. Ihr könnt's noch mit dem Jüngsten aufnehmen, und ich denke, Ihr habt schon eine ganze Menge von ihnen begraben.«
Der Alte kicherte, und Daylight ritt weiter, äußerst zufrieden mit sich und der ganzen Welt. Das alte Glücksgefühl der Schlittenreisen und Lagerplätze am Yukon schien wieder über ihn gekommen zu sein. Er sah immer noch den alten Ansiedler vor sich, wie er ihm in der Abendsonne entgegengekommen war. War der rüstig für seine vierundachtzig Jahre! Der Gedanke, seinem Beispiel zu folgen, tauchte in Daylight auf, aber das große Spiel in San Franzisko legte sein Veto dagegen ein.