Die bekanntesten Werke von Jack London. Джек Лондон
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Sechs Wochen verstrichen, ohne daß er Dede außerhalb des Kontors gesehen hätte, und die ganze Zeit war er fest entschlossen, keine Annäherungsversuche mehr zu machen. Am siebenten Sonntag aber wurde die Sehnsucht in ihm übermächtig. Es war ein stürmischer Tag. Ein heftiger Südost wehte, und ein Regenschauer nach dem anderen ging über die Stadt nieder. Er konnte sie sich nicht aus dem Sinn schlagen, und immer wieder stand das Bild vor seinem Geiste, wie Dede am Fenster saß und nähte oder sonst eine unnütze weibliche Beschäftigung vorhatte. Als der Zeitpunkt kam, da ihm sein erster Martini ins Zimmer gebracht wurde, trank er ihn nicht. Von einem kühnen Entschluß erfüllt, schlug er in seinem Notizbuch Dedes Telephonnummer nach und rief sie an.
Zuerst war die Tochter der Wirtin am Apparat, aber einen Augenblick später hörte er die Stimme, nach der er sich so sehr gesehnt hatte.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie besuchen werde«, sagte er. »Ich wollte nicht kommen, ohne es Ihnen gesagt zu haben – das ist alles.«
»Ist etwas vorgefallen?« klang ihre Stimme.
»Das sage ich Ihnen, wenn ich da bin«, wich er aus.
Er ließ den roten Wagen zwei Ecken vorher halten und kam zu Fuß bei dem hübschen dreistöckigen, schindelgedeckten Hause in Berkeley an. Er wußte, daß das, was er jetzt tat, durchaus im Widerspruch mit ihren Wünschen stand, und daß er sie in eine schwierige Situation brachte, wenn er sie zwang, den bekannten und berüchtigten Multimillionär wie einen gewöhnlichen Sonntagsbesucher zu empfangen. Andererseits war »dumme Zimperlichkeit«, wie er sich ausdrückte, das letzte, das er von ihr erwartete.
Und er wurde nicht enttäuscht.
Sie kam selbst an die Tür, um ihn zu empfangen, und schüttelte ihm die Hand. Er hängte Hut und Regenmantel in der geräumigen Diele auf und wandte sich zu ihr.
»Drinnen sind sie beschäftigt«, sagte sie und zeigte nach dem Wohnzimmer, aus dem die Stimmen junger Leute tönten; durch die angelehnte Tür konnte er mehrere Studenten sehen. »Wir müssen also schon in mein Zimmer gehen.«
Sie führte ihn durch die Tür rechts, und drinnen blieb er verlegen, wie angenagelt stehen und starrte das Zimmer und sie selbst an, obwohl er sich die ganze Zeit bemühte, nicht zu starren. In seiner Verwirrung sah und hörte er nicht, daß sie ihn aufforderte, Platz zu nehmen. So wohnte sie also! Die Vertrautheit und die Art, wie sie ihn ohne Aufhebens hereinführte, war verblüffend, aber eigentlich hatte er es nicht anders von ihr erwartet. Es waren gewissermaßen zwei Zimmer; das eine, in dem er sich befand, war ihr Wohnzimmer, das andere, in das er hineinsehen konnte, ihre Schlafkammer. Aber außer einem eichenen Toilettentisch voller Kämme, Bürsten und zierlichen Kleinigkeiten deutete nichts darauf hin, daß es als Schlafzimmer benutzt wurde. Der breite Diwan mit einer altrosa Decke und einem Berg von Kissen mußte wohl das Bett sein, wenn er auch nie etwas gesehen hatte, das einem zivilisierten Bett so unähnlich war. Nicht daß er in diesem ersten peinlichen Augenblick viele Einzelheiten gesehen hätte! Er hatte einen ganz allgemeinen Eindruck von Wärme, Behaglichkeit und Schönheit. Einen Teppich gab es nicht, aber auf dem Parkettboden sah er mehrere Wolfs-und Coyotenfelle. Dann aber wurde sein Blick gefangen, einen Augenblick gehalten von einer halbsitzenden Venus auf einem Steinwayflügel vor einem Hintergrund von Berglöwenfellen an der Wand.
Dede selbst aber machte den stärksten Eindruck auf seine Sinne. Er hatte sich stets gefreut, daß sie so weiblich war – die Linien ihrer Gestalt, ihr Haar, ihre Augen, ihre Stimme, ihr vogelartiges Lachen, alles hatte dazu beigetragen; wie sie aber hier in einem weichen Kleide, das sich eng um ihre Gestalt schmiegte, in ihrem eigenen Zimmer stand, war der Eindruck ihrer Weiblichkeit geradezu überwältigend. Er war nur gewohnt, sie in hübschen Schneiderkleidern und Blusen oder in ihrer Reittracht aus Samtcord zu sehen. Auf diese neue Offenbarung war er nicht vorbereitet. Sie erschien ihm jetzt viel weicher, anschmiegender und zarter. Sie war ein Teil dieser Atmosphäre von Ruhe und Schönheit. Sie paßte ebenso herein wie in die nüchterne Kontoreinrichtung.
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« wiederholte sie.
Er kam sich wie ein Tier vor, das lange nichts zu fressen bekommen hatte. Das Verlangen wallte in ihm auf, und ihm war, als müsse er über den leckeren Bissen vor ihm herfallen. Hier gab es weder Geduld noch Diplomatie. Der kürzeste Weg war ihm nicht zu schnell, und es war doch – wenn er es gewußt hätte – der unglücklichste, den er wählen konnte.
»Hören Sie,« sagte er mit einer Stimme, die von unterdrückter Leidenschaft bebte, »ich möchte nicht im Kontor um Sie anhalten. Darum bin ich hier. Dede Mason, ich muß Sie besitzen, ich muß.«
Während er so sprach, war er auf sie zugetreten mit einem flammenden Ausdruck in den schwarzen Augen und mit brennenden Wangen.
Der Angriff war so schnell gekommen, daß sie kaum Zeit hatte, einen kleinen erschreckten Schrei auszustoßen und zurückzutreten. Gleichzeitig ergriff sie seine Hand, da er sie in seine Arme zu schließen suchte.
Sie war plötzlich totenblaß geworden. Ihre Hand, die die seine ergriffen hatte, um ihn fortzuhalten, und sie immer noch umschloß, bebte. Seine Finger lösten sich, und sein Arm sank schlaff herab. Sie wollte etwas sagen, irgend etwas tun, um dieser drückenden Situation ein Ende zu machen, aber nicht ein einziger verständiger Gedanke tauchte in ihrem Kopfe auf. Sie fühlte nur einen fast unwiderstehlichen Lachreiz. Dieser Reiz war halb hysterisch, halb eine Folge ihres spontanen Humors, und wich von Sekunde zu Sekunde. Sie kam sich vor wie ein Mensch, der entsetzliche Angst vor dem Überfall eines blutdürstigen Räubers ausgestanden hat und nun merkt, daß er es mit einem ganz unschuldigen Spaziergänger zu tun hatte, der nur nach der Zeit fragen wollte.
Daylight hatte sich zuerst gefaßt.
»Ach, ich weiß gut, daß ich ein rechter Narr bin«, sagte er. – »Ich – ich glaube, ich will mich setzen. Haben Sie keine Angst, Fräulein Mason. Ich bin gar nicht so gefährlich.«
»Ich bin nicht bange«, antwortete sie lächelnd, indem sie sich auf einen Stuhl fallen ließ, neben dem ein Nähkorb stand, der, wie Daylight bemerkte, etwas Feines aus Mull und Spitzen enthielt. Dann lächelte sie wieder. »Obwohl ich gestehen muß, daß Sie mich im ersten Augenblick wirklich erschreckt haben.«
»Es ist wirklich komisch,« sagte Daylight bedauernd, »hier sitze ich, der ich gewohnt bin, bei Menschen und Tieren und allem in der Welt meinen Willen durchzusetzen, auf diesem Stuhl, schwach und hilflos wie ein Lamm. Sie können wahrhaftig mit einem machen, was Sie wollen.«
Dede zerbrach sich vergebens den Kopf, um eine Antwort auf diese Bemerkung zu finden. Statt dessen weilten ihre Gedanken ununterbrochen bei der Frage, was es bedeuten mochte, daß er mitten in einem heftigen Antrag abschweifte und Bemerkungen machte, die gar nicht hierher gehörten. Was ihr besonders auffiel, war die Sicherheit des Mannes. So wenig zweifelte er also daran, daß sie ihm einmal gehören würde, daß er Zeit hatte, ganz allgemeine Bemerkungen über die Liebe und ihre Wirkungen einzuflechten.
Sie bemerkte, daß er unbewußt die Hand in die Seitentasche steckte, wo er, wie sie wußte, seinen Tabak und sein braunes Zigarettenpapier hatte.
»Sie