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Auf und nieder an Deck schritt ein anderer Mann und kaute wütend auf seinem Zigarrenstummel. Es war der, dessen zufälliger Blick mich vor dem Ertrinken bewahrt hatte. Er mochte wohl ein Meter achtzig groß sein, aber mein erster Eindruck von ihm, oder vielmehr mein Gefühl, war nicht das der Größe, sondern der Stärke. Dabei konnte ich ihn jedoch, obgleich er gedrungen und breitschultrig war und eine mächtige Brust hatte, nicht ungewöhnlich schwer nennen. Er hatte etwas von der sehnigen, knorrigen Kraft drahtiger Menschen, sein Körperbau aber ließ mich an einen Gorilla denken.
Nicht daß er in seinem Aussehen etwas Gorillaartiges gehabt hätte. Was ich auszudrücken suche, ist die Stärke selbst als etwas für sich, ganz abgesehen von ihrer körperlichen Erscheinung. Es war eine Stärke, wie wir sie gewohnt sind, mit primitiven Dingen, mit wilden Tieren zu verbinden - die wilde, reißende, lebendige Stärke an sich, die letzte Urkraft des Lebens, die Gewalt der Bewegung, der Grundstoff selbst, aus dem die wilden Lebensformen gestaltet wurden.
Der Koch streckte den Kopf zur Kombüsentür heraus und grinste mir ermutigend zu, gleichzeitig wies er mit dem Daumen nach dem Manne, der an der Luke auf und nieder schritt. So gab er mir zu verstehen, daß dies der Kapitän war, die Persönlichkeit, die ich bemühen mußte, daß sie mich an Land setzte.
Ich war gerade im Begriff, zu ihm zu gehen, um gleich die sicher unangenehme Geschichte überstanden zu haben, als der Unglückliche, der auf dem Lukendeckel lag, einen noch stärkeren Erstickungsanfall bekam. Krampfartig verrenkte er sich. Das Kinn mit dem nassen schwarzen Bart streckte sich in die Luft, während die Rückenmuskeln steif wurden und die Brust mit einer instinktiven, unbewußten Anstrengung nach Luft rang.
Der Kapitän oder Wolf Larsen, wie die Leute ihn nannten, hielt auf seinem Wege inne und blickte auf den Sterbenden hinab. So furchtbar war dieser letzte Kampf, daß der Matrose die Segeltuchpütz sinken ließ und den Inhalt auf das Deck verschüttete. Der Sterbende trommelte mit den Fersen auf dem Lukendeckel, streckte die Beine aus, erstarrte in einer einzigen mächtigen Anstrengung und rollte den Kopf von einer Seite zur andern. Dann wurden die Muskeln schlaff, der Kopf still, und ein Seufzer, ein Seufzer tiefster Erleichterung entfloh seinen Lippen. Das Kinn fiel herab, die Oberlippe hob sich, und zwei Reihen tabakgebräunter Zähne wurden sichtbar. Seine Züge schienen in einem teuflischen Grinsen über die Welt, die er verlassen und überlistet hatte, erstarrt zu sein. Und dann geschah etwas ganz Überraschendes: Wie ein Donnerschlag fuhr der Kapitän über den Toten her. Flüche prasselten in unaufhaltsamem Strom von seinen Lippen, und es waren nicht etwa gewöhnliche Flüche oder unziemliche Redensarten. Jedes seiner Worte war eine Gotteslästerung, und der Worte waren viele. Sie knisterten und krachten wie elektrische Funken. Nie im Leben habe ich ähnliches gehört oder auch nur für möglich gehalten. Bei meinen literarischen Neigungen und meinem Ohr für kräftige Bilder genoß ich, das muß ich gestehen, wie kein anderer Zuhörer die prachtvolle Lebendigkeit und Kraft seiner gotteslästerlichen Ergüsse. Ihre Ursache war, wenn ich recht verstand, daß der Mann, der der Steuermann war, vor der Abreise aus San Franzisko an einem Gelage teilgenommen und dann die Rücksichtslosigkeit besessen hatte, gleich zu Beginn der Reise zu sterben und Wolf Larsen kurzerhand zu verlassen. Ich brauche - meinen Freunden wenigstens - nicht zu sagen, daß ich empört war. Fluchen und Schimpfen hatten mich stets abgestoßen. Ich fühlte Mattigkeit, Schwäche oder eher Schwindel. Für mich war immer etwas Feierliches, Würdevolles mit dem Tode verbunden gewesen, etwas Friedvolles, Heiliges. In dieser schrecklichen Gestalt war ich ihm noch nie begegnet. Wie gesagt: Während ich die Kraft der erschreckenden Entladung aus Wolf Larsens Munde genoß, war ich gleichzeitig unsagbar angewidert. Der versengende Strom hätte genügen müssen, das Antlitz der Leiche welken zu lassen. Ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn der schwarze Bart sich gekräuselt hätte und in hellen Flammen aufgegangen wäre. Aber der Tote blieb unangefochten. Er grinste weiter sein höhnisches Lächeln, zynisch und verächtlich. Er war Herr der Lage.
Zweites Kapitel
Ebenso plötzlich, wie er begonnen hatte, hörte Wolf Larsen auf zu fluchen. Er zündete sich wieder seine Zigarre an und sah sich um. Seine Augen fielen auf den Koch. „Na, Köchlein?" fragte er mit einer merkwürdigen, kalten und stählernen Leutseligkeit.
„Jawohl, Herr", entgegnete der Koch beflissen und entschuldigend.
„Meinst du nicht, daß du jetzt lange genug den Kopf herausgestreckt hast? Das ist nicht gesund. Der Steuermann ist tot, und dich kann ich nicht auch noch entbehren. Du mußt sehr vorsichtig mit deiner Gesundheit umgehen, Köchlein. Verstanden?" Das letzte Wort traf im Gegensatz zu der früheren Freundlichkeit wie ein Peitschenhieb, und der Koch erzitterte. „Jawohl, Herr", antwortete er schüchtern, und der beanstandete Kopf verschwand.
Nach dieser Abfuhr schien die Mannschaft das Interesse an den Vorgängen an Deck verloren zu haben und machte sich wieder an die Arbeit. Mehrere Leute jedoch, die zwischen der Kajüte und der Kombüse herumlungerten - sie schienen keine Seeleute zu sein -, sprachen leise weiter miteinander. Wie ich später erfuhr, waren es die Robbenjäger, die sich hoch erhaben über die gewöhnlichen Matrosen fühlten.
„Johansen!" rief Wolf Larsen. Ein Matrose trat gehorsam vor. „Hol dir Nadel und Garn und näh den Schuft ein. Altes Leinen findest du in der Schiffstruhe. Los!"
„Was sollen wir ihm an die Füße hängen?" fragte der Mann nach dem üblichen „Jawohl, Herr!"
„Wird sich schon finden", sagte Wolf Larsen. Dann hob er die Stimme und rief: „Köchlein!"
Thomas Mugridge sprang wie ein Stehaufmännchen aus seiner Kombüse.
„Geh nach unten und füll einen Sack mit Kohlen."
„Hat einer von euch eine Bibel oder ein Gebetbuch, Leute?" lautete die nächste Frage, die der Kapitän diesmal an die bei der Luke herumlungernden Jäger richtete.
Sie schüttelten die Köpfe, und einer von ihnen machte einen Witz, den ich nicht verstand, der aber allgemeines Gelächter hervorrief.
Wolf Larsen stellte die gleiche Frage an die Matrosen. Bibeln und Gebetbücher schienen ein seltener Artikel an Bord zu sein. Keines von beiden war vorhanden. Der Kapitän zuckte die Achseln. „Dann lassen wir ihn ohne Geschwätz verschwinden, wenn unser schiffbrüchiger Pastor nicht den Begräbnisgottesdienst auf See auswendig weiß." Bei diesen Worten wandte er sich um und sah mich an. „Sie sind doch Pastor, nicht wahr?" fragte er.
Die Jäger drehten sich wie ein Mann um und betrachteten mich. Ich hatte das peinliche Gefühl, einer Vogelscheuche zu gleichen. Mein Aussehen verursachte ein schallendes Gelächter, das der Anblick des Toten, der grinsend an Deck ausgestreckt lag, in keiner Weise dämpfte, ein Gelächter, so rauh und barsch wie das Meer selbst, aus der Kehle von Männern, die weder Schliff noch Zartgefühl kannten.
Wolf Larsen lachte nicht, wenn seine grauen Augen auch leicht aufleuchteten. Ich war dicht an ihn herangetreten, und jetzt erhielt ich, abgesehen von seiner äußeren Erscheinung und seinem Strom von Flüchen, den ersten Eindruck von dem Manne. Die markanten festen Züge verliehen seinem Gesicht trotz der Vierschrötigkeit gute Formen. Bei näherer Betrachtung gewann man unweigerlich die Überzeugung, daß in der Tiefe seines Wesens eine ungeheure, entsetzliche Kraft schlummerte. Mund, Kinn, die hohe Stirn, die sich schwer über den Augen wölbte, alles dies, jedes für sich schon ungewöhnliche Stärke verratend, zeugte zusammen von einer unbeugsamen Männlichkeit.
Eine solche Seele ließ sich nicht ausloten, nicht ermessen; sie duldete keinen Vergleich.
Die