Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit. Norbert Wolf

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Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit - Norbert Wolf marixwissen

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CY TWOMBLY

       GERHARD RICHTER

       FRANK STELLA

       DAVID HOCKNEY

       ANSELM KIEFER

       INDEX

      EINFÜHRUNG

      1837 schrieb Honoré de Balzac die zweite, die erweiterte Fassung einer Furore machenden Künstlererzählung. Seine Novelle »Le chef-d’œuvre inconnu« spielt im Paris des 17. Jahrhunderts. Sie lässt den jungen Maler Nicolas Poussin sowie seinen Kollegen Porbus mit dem betagten Hofkünstler Frenhofer zusammentreffen. Seit zehn Jahren arbeitet Letzterer an einem Frauenporträt, das er indes allen Blicken verbirgt. Poussin brennt darauf, das Bild zu sehen, von dem jedermann munkelt, es sei ein Geniestreich. Um die Erlaubnis zu erhalten, bietet Poussin sogar seine Geliebte Gillette dem alten Maler als Modell an. Als Frenhofer schließlich das Gemälde auf der Staffelei enthüllt, sehen die Betrachter nur ein abstraktes Gewirr, ein Knäuel von Linien und Farbschichten. Einzig die Spitze eines herrlich gemalten Fußes ist als figuratives Überbleibsel im Chaos der Übermalungen zu identifizieren. Im Moment des Vorzeigens erkennt Frenhofer, dass Vollendungswahn von seinem Bild-Konzept nichts übriggelassen hat als ein unentwirrbares Netzwerk jahrelanger Korrekturen. Frenhofer fehlt noch das argumentative Zaubermittel späterer Avantgarde, statt des fertigen Werks den Weg zu ihm, das »work in progress« als das eigentliche Ziel auszugeben! In der Nacht darauf vernichtet er alle seine Werke und stirbt.

      Das Streben des Genies nach dem Absoluten weicht zuletzt der Verzweiflung über die Unerreichbarkeit des künstlerischen Ideals. Das abstrakte Liniengeflecht auf der Oberfläche der Leinwand stand für die Leser des Jahres 1837 noch als Zeichen dieses Scheiterns. Das Sich-Verlieren in die Ungegenständlichkeit galt als Chiffre für das drohend Labyrinthische künstlerischer Phantasie, in dem kein Ariadnefaden den rettenden Weg zeigt.

      Umgekehrt sollte die rund drei Generationen später beginnende Moderne, die mittlerweile längst das Prädikat der »klassischen Moderne« besitzt, in der Abstraktion nicht das Signet des Scheiterns, sondern neuartigen Kunst-Gelingens verkünden – gegen jene Verfechter der Gegenständlichkeit, die es nach wie vor gab. So gleicht es einem Paradigma, dass eine 1931 in Paris erschienene Neuauflage der Balzac’schen Novelle von Pablo Picasso illustriert wurde, dem genialsten Grenzgänger zwischen Abstraktion und Figuration, den das 20. Jahrhundert aufzuweisen hatte.

      Während die beiden »Epochenschwellen«, die um 1800 und die um 1900, mit Klassizismus und Jugendstil (Art Nouveau) noch zwei Stile aufzuweisen hatten, die alle Bereiche von »Hochkunst« und Kunstgewerbe, von bildenden Künsten und Architektur umfassten, summierten sich dazwischen und insbesondere seit dem frühen 20. Jahrhundert die »Ismen«, die gesellschaftlich nur noch einzelne Bereiche abdeckten. Es wurden ihrer derart viele und sie überschritten mit Begeisterung so gut wie alle Gattungsgrenzen, dass das wahrnehmungstechnische Dickicht, das sich auf Frenhofers Bild abzeichnete, inzwischen anderswohin abgewandert scheint: ins »System« der Kunstszene. Existiert dann überhaupt noch eine Orientierungsmöglichkeit: metaphorisch gesprochen jener identifizierbare Fuß, dem Frenhofer eine Nische im phänomenalen Chaos gelassen hatte? Jedes einzelne der kommenden Kapitel ist getragen von der Überzeugung, dass dies der Fall ist – ungeachtet gravierender Probleme, die die Aufgabenstellung mit sich brachte.

      Wenn ich im ersten Band, der 2007 »Alte Meister« vom Mittelalter bis zum ausgehenden Rokoko vorstellte, einleitend anmerkte, dass die eklatanteste Schwierigkeit des Konzepts in der Auswahl der Künstler und in den Auswahlkriterien lag, so gilt das auch für die Fortsetzung, die in mehr als 60 Abschnitten herausragende Maler vom Klassizismus bis zur Gegenwart präsentiert. Das Problem spitzt sich sogar weiter zu, da für viele der neuesten Künstler noch kein Kanon, kein Wertmaßstab existiert, der das Auswahlprinzip steuert und erleichtert.

      Welches Gewicht sollte ich also in die Waagschale werfen, um den einen Künstler aufzunehmen, den anderen nicht? Ich habe versucht, nicht nur sogenannte entwicklungsgeschichtliche Kriterien und solche der Innovation zu berücksichtigen, sondern, so altmodisch es klingen mag, vor allem auch Parameter der künstlerischen Qualität, der Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit, mit der ein Künstler an die Lösung von Problemen heranging und -geht. Obwohl sich die moderne Kunst häufig nur noch mit sich selbst beschäftigt (der viel zitierte selbstreflexive Faktor und die Eigenreferenz des Mediums »Bild«), ist, wie ich glaube, die Frage nach der kreativen Qualität nach wie vor möglich und legitim.

      Eine diskursive Beschränkung auf die Gattung Malerei bringt für das 20. und das noch junge 21. Jahrhundert ein weiteres, ein genuines Problem mit sich, und zwar dort, wo die Grenze zwischen Flächen- und Raumkünsten aufgehoben wird oder wo sich das traditionelle Werk-Verständnis in der Konzeptkunst oder in der Aktion (Happening usw.) auflöst. Um den Umfang des Buches nicht zu sehr anwachsen zu lassen, beschränkt sich deshalb die Auswahl moderner Maler auf diejenigen, die »im Rahmen« bleiben, also einem Betrachter weiterhin Bild-Flächen anbieten, seien diese auch noch so sehr zu Experimentierfeldern verwandelt (weswegen ich beispielsweise auf ein den hauptsächlich durch Aktionen, Rauminstallationen, »soziale Plastiken« definierten Joseph Beuys – schweren Herzens – verzichtet habe; gleichermaßen habe ich jene Künstler beziehungsweise Gruppierungen außer Acht gelassen, die, wie ich glaube, über den Kanon ihrer Schriften und Manifeste mehr Aufsehen erregten als durch die Qualität ihrer realisierten Werke – ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Futuristen –, oder solche, deren Arbeiten die Grenze zum architektonischen Projekt überschreiten, wie das bei vielen Konstruktivisten der Fall ist. Ich bin mir bewusst, damit eine wissenschaftlich riskante Eingrenzung vorgenommen zu haben.

      Analog zu ihrem Vorgänger rückt, wie erwähnt, die jetzige Publikation die Frage in den Mittelpunkt, welche Kriterien das überragende Können bestimmter Maler bedingen. Da diese Frage nicht mithilfe ausführlicher Werkbeschreibungen untersucht wird, sondern im Kontext anderweitiger kunstwissenschaftlicher Gesichtspunkte, wird bewusst auf Abbildungen verzichtet. Vorangestellt ist dem Hauptteil ein stilgeschichtlicher Abriss, zugeschnitten auf den Untersuchungszeitraum und in konzentrierter Kürze (also nicht mit der Absicht, jede Strömung beziehungsweise Gruppierung aufzuführen). Er versteht sich lediglich als Orientierungshilfe, nicht als verbindliches Raster. Kommentierte Literaturangaben bieten dem interessierten Leser die Möglichkeit zu einer vertiefenden Fortsetzung der Lektüre. Und mit einem interessierten, einem engagierten Leser rechnet dieses Buch – und es glaubt an ihn!

      Zum Schluss sei noch einmal Balzac zitiert. Er lässt Porbus und Poussin im Atelier Frenhofers vor die Staffelei treten: »›Dort‹, fuhr Porbus fort und berührte die Leinwand, ›endet unsere Kunst auf Erden‹. ›Und von dort verliert sie sich in den Himmel‹, sagte Poussin.«

VOM KLASSIZISMUS BIS ZUR GEGENWART

      Die Französische Revolution setzte im ausgehenden 18. Jahrhundert die unüberhörbaren Zeitzeichen einer neuen Epoche, indem sie die Tradition monarchischen Gottesgnadentums für nichtig erklärte, den Absolutismus zugunsten von Volksherrschaft und Republikanismus beseitigte. Allerdings zeichnete sich geistesgeschichtlich und künstlerisch ein radikaler Umbruch schon vorher, schon gegen 1750 ab, mit der vernunftbestimmten, gegen religiösen Aberglauben ankämpfenden Aufklärung, mit einem neuen psychologisch argumentierenden Subjektivismus, der – als Gegenpol gegen die zum Dogma erhobene Ratio – auch das Unbewusste und Irrationale im Menschen anerkennt, ferner mit

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