Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman - Karin Bucha страница 296

»Und warum hat Ihre verstorbene Frau denn ausgerechnet die Angeklagte dazu berufen, Ihrem Kind Pflegerin zu sein?« forschte der Vorsitzende jetzt weiter.
»Weil es keine bessere Mutter geben kann als Frau Martens. Ihr ganzes Leben war nur auf ihre Tochter Angela abgestimmt, für sie schaffte, sparte und lebte sie. Nicht die geringste Hilfe nahm sie an. Es ist ihr nicht leicht geworden, ihrem Kind eine gute Erziehung zuteil werden zu lassen. Wir haben oft genug unsere Bewunderung darüber gegenseitig ausgetauscht. Auch dieser unbändige Stolz gehörte zu Frau Martens und vervollständigte nur das Bild einer guten, treusorgenden Mutter. Nur zu Frau Martens hatte meine Frau Vertrauen, so daß sie ihr auch unser Kind ans Herz legte – um dann die Augen für immer zu schließen.«
Sichtlich bewegt schwieg Dr. Hersfeld, und erst nach einer Weile, als wollte man dem Mann Gelegenheit geben, sich wiederzufinden, klang die nächste Frage auf:
»Wie rollten sich nun die Ereignisse an jenem Abend ab?«
Ratlos hob Dr. Hersfeld die Schultern.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte er. »Ich war seit Tagen abwesend, kurz vor meinem Eintreffen muß die Tat geschehen sein, denn ich fand Frau Martens noch ohnmächtig neben ihrer Tochter Angela, die ebenfalls besinnungslos war.«
Der Vorsitzende blätterte in dem vor ihm liegenden Aktenstück.
»Sie kannten Udo Reimer.«
»Ja, ich habe ihn kennengelernt, und zwar zweimal in einer Situation, die mir diesen Mann sofort verabscheuungswürdig machte. Das erstemal bei einem schweren Autounfall, das zweitemal vor Gericht.«
Und nun schilderte Dr. Hersfeld lebhaft jenen Autounfall in der Nacht, da Volker Brandt unter seinen Händen verbluten mußte, weil sich Reimer geweigert hatte, Hilfe herbeizuholen. Er schloß mit den bewegten Worten:
»Damals lernte ich Frau Martens kennen, die schon ihren Mädchennamen wieder tragen durfte. Volker Brandt war der Mann gewesen, mit der Frau Bettina ein zweites Glück eingehen wollte. Durch Reimers leichtfertiges und kaltblütiges Handeln starb der Mann, dem sie sich anverlobt hatte.
Durch meine spätere Frau hörte ich dann von dem tragischen Geschick Frau Martens’, deren Lebensweg unmer wieder mit dem ihres geschiedenen Mannes zusammenstieß. Und wo er auftauchte, da brachte er Frau Martens Unglück und Herzeleid.«
Entrüstungsrufe aus dem Zuschauerraum wurden laut, die dem Verhalten des Toten galten. Sie schwiegen sofort, als der Vorsitzende weiterforschte:
»Können Sie sich erinnern, daß Frau Martens vielleicht schon damals den Gedanken aussprach, Reimer töten zu wollen? Es ist doch immerhin für eine Frau erschütternd, wenn sie ihr Glück durch einen Mann zerstört sieht, den sie als wertlos erkannt hat.«
Dr. Hersfeld schüttelte den Kopf und schaute mit einem bewundernden Blick zu Frau Bettina hinüber, die zusammengesunken in ihrer Bank saß.
»Nein!« erwiderte Hersfeld laut. »Frau Martens war vor Schmerz wie erstarrt, weder einen Rachegedanken noch sonst eine Schmähung sprach sie gegen ihren geschiedenen Mann aus. Im Leiden war sie unsagbar geduldig. Nur einmal habe ich etwas wie wilde Entschlossenheit in Frau Bettinas Augen aufleuchten sehen, das war damals, als Angela todkrank, vom eigenen Vater bis an den Rand der Verzweiflung gehetzt, zu Frau Bettinas Füßen zusammenbrach.«
Interessiert neigte sich der Vorsitzende vor, und über dem Zuschauerraum lagerte wieder atemlose, gespannte Stille.
»Erzählen Sie, was Sie davon wissen«, wurde Dr. Hersfeld aufgefordert, und er begann mit warmen, bewegten Worten zu schildern, was er von den Vorgängen wußte, die sich seinerzeit auf dem Gymnasium abgespielt hatten. Er schloß:
»In diesen qualvollen Nächten, die wir, Frau Martens und ich, an dem Bett des schwerkranken Mädchens verbrachten, und in denen wir meinten, jede Minute könnte das junge Menschenleben verlöschen, erkannte ich erst die Größe der Mutterliebe dieses Frauenherzens. Ich war überzeugt, daß auch das Leben dieser Frau vernichtet war, wenn es uns nicht gelingen sollte, die Tochter zu retten. In der Entscheidungsnacht, da Frau Martens nur noch einem Schatten ihrer selbst glich und förmlich mit dem Tod um das Leben ihres Kindes rang, kam mir zum ersten Male der Gedanke: Wenn Angela stirbt, wird Bettina furchtbare Rache an dem Mann nehmen, der das ganze Unglück verschuldet hat – und keiner könnte die Frau verurteilen, denn man muß erlebt haben, so wie ich in den langen, bangen Nächten, wie sehr die Frau um ihr Kind litt.«
Dr. Hersfeld hatte so anschaulich die Not und Verzweiflung Frau Bettinas geschildert, daß manche Mutter, die unter den Zuschauern saß, davon bis ins Herz aufgewühlt wurde.
»Ich danke Ihnen«, sagte der Vorsitzende sichtlich bewegt, und Dr. Hersfeld nahm auf der Zeugenbank Platz.
Er hatte das Gefühl, daß seine Worte leer und ungeschickt gesetzt waren, denn niemals würde er das in die rechten Worte fassen können, was er in jenen furchtbaren Nächten mit Frau Bettina erlebt hatte.
Der Vorsitzende flüsterte mit seinen Beisitzern und wandte sich dann an den Staatsanwalt, der stumm, aber aufmerksam jeden Vorgang im Gerichtssaal verfolgt hatte.
»Ich schlage vor, wir hören Angela Martens. Ist der Herr Verteidiger damit einverstanden?«
Dr. Hagedorn erhob sich und verneigte sich zustimmend. Er kannte die Einstellung seiner Klientin und fand diese Anordnung nur gut.
»Angela Martens«, rief der Gerichtsdiener auf.
Dr. Hagedorn wandte sich der Angeklagten zu, und sein Herz tat ein paar schnelle Schläge.
»Bitte, gnädige Frau, reißen Sie sich zusammen!« bat er beschwörend. »Nur noch diese Vernehmung, die anscheinend die letzte sein wird.«
Die aber die schwerste ist! ging es Bettina verzweifelt durch den Kopf. Ihre Pulse flogen, vor ihren Ohren lag ein Sausen und Brausen, dunkle Punkte tanzten vor ihren Augen, sie wurden groß, unheimlich groß, und sie mußte allen Willen zu Hilfe rufen, um der beängstigenden Schwäche Herr zu werden.
In Dr. Heykens’ Gesicht arbeitete und zuckte es. Er hätte aufstehen mögen, um das junge Geschöpf, das mit zaghaften Schritten in die Helligkeit des Saales trat, dieser Frau dort zuzuführen, der die Sehnsucht in den unnatürlich großen Augen brannte.
Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören, so groß und beklemmend war die Stille, die auf einmal über dem weiten, lichtdurchfluteten Raum lag.
Angelas Augen hetzten umher. Nicht die vielen Menschen sah sie. Sie suchte ein einziges liebes Gesicht, das sie aus Tausenden herausgefunden hätte.
Und da hatte sie es gefunden! Ihr Fuß stockte. Erschrecken lief über ihr todblasses Gesicht, und mit einem wehen Aufschrei stürzte sie vorwärts:
»Mutti!«
Beide Arme streckte sie verlangend aus, aber sie konnte sie nicht um den Hals der geliebten Mutter werfen. Die Bank trennte sie. So riß sie nur die Hände, die sich haltsuchend um das Gitter geklammert hatten, an sich und bedeckte sie mit unzähligen Küssen – immer wieder – immer wieder.
»Mutti – liebe, liebe Mutti!«
Es war ein erstickter Ausruf voll Liebe und Verzweiflung, voll