Gesammelte Werke von Nikolai Gogol. Nikolai Gogol

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Gesammelte Werke von Nikolai Gogol - Nikolai Gogol

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ohne einander zu sehen, die Taube sieht nicht den Habicht, der Habicht sieht nicht die Taube, und keiner weiß, wie dicht auf den Fersen das Unheil ihm folgt …

      Ostap hatte die Tagesarbeit getan und lag schon lange schlummernd bei den Kameraden. Andri aber war es, er wußte selbst nicht warum, sonderbar schwül ums Herz. Das Mahl der Kosaken war längst beendet, die Abendröte verglommen, eine herrliche Julinacht verhüllte die Erde. Andri ging nicht zu seinen Leuten, er legte sich auch nicht schlafen, er schaute verträumt auf das Bild, das sich vor ihm ausbreitete. Am Himmel funkelten klein und hell die Sterne. Weithin über das Feld zog sich die Reihe der Wagen, die mit allerhand Proviant und Beute beladen waren, und zwischen deren Rädern die Teereimer leise schaukelten. Neben den Wagen, unter den Wagen, seitab von den Wagen – überall hatten sich die Kosaken ins Gras geworfen. Sie schliefen in den mannigfaltigsten Stellungen – dem einen diente ein Mehlsack als Kissen, dem andern die Mütze, wieder einer bettete einfach den Kopf auf den Bauch eines Kameraden. Der Säbel, die Hakenbüchse, die kupferbeschlagne Pfeife mit kurzem Rohr, Stahl und Stein waren jedem zur Hand – davon trennte man sich auch bei Nacht nicht. Die schweren Ochsen lagen, die Beine unter den Leib gezogen, als weißliche Haufen da und glichen aus der Entfernung gesehen über die Hänge verstreuten grauen Felsblöcken.

      Rundum erscholl das tausendstimmige Schnarchen des schlafenden Heeres; wie eine Antwort darauf kam von den Feldern das helle Wiehern der Hengste, die unwillig an ihren Koppeln zerrten. Und etwas war da, was der Schönheit der Julinacht eine unheimliche Erhabenheit lieh. Das war der Schein der ferne brennenden Dörfer. Hier wallte die Flamme still und feierlich zum Firmament empor; dort, wo sie leichtere Nahrung fand und vom Wind gepackt wurde, heulte sie pfeifend und flog bis an die Sterne hinauf, die losgerissenen Feuerfetzen erloschen erst hoch oben im Himmel. Ein niedergebranntes schwarzes Kloster stand dräuend wie ein grimmer Karthäusermönch da und wies im Licht der Brände seine düstre Majestät, der Klostergarten brannte, Andri meinte beinah, er höre die Bäume zischen, wenn sie in der Glut zu dampfen begannen; schlug dann die Lohe empor, so lag plötzlich das Licht grell phosphorblau auf Büscheln von reifen Pflaumen und verwandelte gelbe Birnen zu blankem Dukatengold. Dazwischen hing an der Klostermauer oder an einem Baumast in tiefem Schwarz der Leichnam eines Juden oder eines Mönches, der bei der Brandschatzung des Klosters sein Ende gefunden hatte. Oben über den Flammen flatterten ängstlich Vögel, die einem Muster aus dunkeln Kreuzchen auf feurigem Grunde glichen. Die belagerte Stadt schien zu schlafen, ihre Türme und Dächer, der Palisadenzaun und die Mauern glühten verschwiegen im Schein der fernen Brände.

      Andri durchschritt die Reihen der Kosaken. Die Feuer, an denen die Posten lagerten, waren am Verlöschen, die Posten selbst schliefen – sie hatten ihren gesunden Kosakenhunger wohl durch zu reichliche Atzung befriedigt. Ein bißchen merkwürdig dünkte Andri soviel Sorglosigkeit; er überlegte: – Ein Glück noch, daß kein starker Feind um den Weg ist und nirgends Gefahr droht. – Endlich ging er selbst zu einem der Wagen, kletterte hinauf und legte sich auf den Rücken, den Kopf in die gefalteten Hände gebettet; aber er konnte nicht schlafen und schaute noch lange in den Himmel hinauf: grenzenlos offen lag der vor seinem Blick, die Luft war sichtig und rein, das Sterngewimmel der Milchstraße zog einen grell funkelnden Lichtgürtel über die Wölbung. Manchmal verschwammen Andris Gedanken, ein leichter Schlummernebel zog über die Sterne, gleich aber wurde er wieder wach und sah alles sehr scharf und sehr klar.

      Da war es ihm plötzlich, als tauche so etwas wie ein seltsames Gesicht aus der Nacht. Er hielt es für ein Traumbild, das gleich wieder in Luft zerrinnen müsse, und riß die Lider gewaltsam auf. Da erkannte er, daß sich in Wahrheit ein verhärmtes, hagres Antlitz über ihn beugte und ihm gerade in die Augen sah. Lange, kohlschwarze Haare, ungekämmt und wirr, krochen unter einem dunkeln, lässig übergeworfnen Kopftuch hervor; das sonderbare Glimmen des Blickes, die Leichenblässe der scharfen Züge gemahnten ihn an ein Gespenst.

      Unwillkürlich griff Andri zur Hakenbüchse und fragte mit bebender Stimme: »Wer da? Bist du ein unreiner Geist, so hebe dich fort; bist du ein lebendiger Mensch, so reut dich der Spaß – ich knall dich über den Haufen!«

      Als Antwort legte die Erscheinung den Finger an die Lippen und schien ihn durch diese Gebärde zu bitten, er möge doch still sein. Er ließ die Hand sinken und musterte das seltsame Wesen genauer. An den langen Haaren, dem Hals und der halbnackten braunen Brust erkannte er, daß es ein Weib war. Aber sie mußte von fremdem Stamm sein; ihr braunes Gesicht erschien wie ausgemergelt durch harte Entbehrung, die breiten Backenknochen sprangen scharf aus den eingefallnen Wangen hervor, schief geschlitzt zogen sich die Augen gegen die Schläfen hinauf.

      Je länger Andri das Gesicht musterte, desto bekannter dünkte es ihn. Endlich fragte er lebhaft: »Wer bist du? Ich glaube immer, ich kenn dich. Gesehen hab ich dich schon einmal.«

      »Vor zwei Jahren, in Kiew.«

      »Vor zwei Jahren … in Kiew …« wiederholte Andri und ließ die Erinnerungen aus der Schulzeit an sich vorüberziehen. Forschend musterte er die Fremde noch einmal, dann schrie er plötzlich: »Jetzt weiß ichs: die Tatarin bist du, die Magd des Fräuleins!«

      »Scht!« wisperte das Weib und faltete flehend die Hände. Bang wendete es den Kopf, zu sehen, ob Andris laute Worte nicht am Ende einen der Schläfer aufgeschreckt hätten.

      »Wo kommst du her? So sprich doch!« flüsterte er atemlos, die Erregung preßte ihm hart die Kehle zusammen. »Wo ist das Fräulein? Ist sie wohlauf?«

      »Drinnen in Dubno ist sie.«

      »Dort in der Stadt?« Er hätte beinah wieder aufgeschrieen, alles Blut schoß ihm jählings zu Herzen. »Wie kommt sie hierher?«

      »Der alte Herr ist auch da: er ist schon im zweiten Jahr Marschall von Dubno.«

      »Ist sie vermählt? Sprich, sprich doch! Sei nicht so komisch! Was macht sie?«

      »Sie hat zwei Tage schon nichts mehr gegessen.«

      »Nein …?!«

      »Kein Mensch in der Stadt hat noch ein Stück Brot. Sie fressen Erde – es gibt nichts weiter.«

      Andri starrte düster ins Leere.

      Das Weib fuhr fort: »Das Fräulein hat dich vom Wall aus unter den Kosaken gesehen. Sie sagte zu mir: ›Geh hin zum Ritter: wenn er meiner gedenkt, soll er kommen; und hat er mich schon vergessen, dann soll er dir doch ein Stück Brot geben für meine alte Mutter – ich kann es nicht mit ansehen, wie sie vor meinen Augen langsam dahinstirbt. Lieber will ich zuerst verhungern – wenn sie nur lebt, bis ich tot bin. Wirf dich ihm vor die Füße und leg die Arme um seine Knie: er hat selbst eine Mutter – bei ihrem Leben beschwör ihn um ein Stück Brot!‹«

      Ein Sturm von Gefühlen erschütterte den jungen Kosaken. »Aber wie kommst du her?« forschte er.

      »Durch den geheimen Gang.«

      »Gibt es da einen geheimen Gang?«

      »Unter der Erde, ja.«

      »Wo?«

      »Wirst du uns auch gewiß nicht verraten, Herr Ritter?«

      »Ich schwör es dir beim heiligen Kreuz!«

      »Von hier zum Bach hinunter, über dem Wasser, dort wo das hohe Schilf ist …«

      »Und kommt man durch diesen Gang in die Stadt?«

      »Geradeswegs ins städtische Kloster.«

      »Also … Was warten wir noch!«

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