Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle страница 19
Drei Raubvögel, die auf der Felsenspitze über ihnen gesessen hatten, flogen erschreckt auf, als sie der neuen Ankömmlinge ansichtig wurden. Ihr heiseres Geschrei weckte die Schläfer, die verwirrt um sich blickten. Der Mann richtete sich schlaftrunken auf und starrte in die Ebene hinunter, die noch vor kurzem so verödet gewesen war und auf der es jetzt wimmelte von Menschen und Tieren. »Ein Fieberwahn,« murmelte er, die Hand an die Stirn legend. Das Kind stand neben ihm, hielt sich an seinem Rock fest und sah mit großen, verwunderten Augen umher.
Den Rettern gelang es schnell, die beiden Wanderer zu überzeugen, daß, was sie sahen, keine Täuschung ihrer Sinne, sondern Wirklichkeit sei. Einer der jungen Leute hob das kleine Mädchen auf seine Schulter, während zwei andere ihrem hageren Gefährten stützend unter die Arme griffen.
»Mein Name ist John Ferrier,« sagte der Gerettete; »ich und die Kleine hier, wir sind die einzig Ueberlebenden von einundzwanzig Personen. Alle übrigen sind auf dem Wege vom Süden her vor Hunger und Durst verschmachtet.«
»Ist es Ihr Kind?« fragten die, welche ihn führten.
»Ja, mir gehört es,« rief er mit entschlossener Miene, »ich habe es gerettet. Von heute an heißt die Kleine Lucy Ferner und niemand, außer mir, hat ein Recht an sie. – Wer seid denn aber ihr?« fuhr er fort, seine mannhaften, sonnverbrannten Retter neugierig betrachtend, »das sind ja ganz endlose Schwärme, die da herangezogen kommen.«
»Fast zehntausend,« versetzte einer der jungen Leute. »Wir sind die verfolgten Kinder Gottes, die Auserwählten des Engels Merona.«
»Von dem habe ich noch nie gehört,« meinte der Wanderer. »Eine schöne Masse Menschen hat er auserwählt.«
»Scherze nicht über heilige Dinge,« sagte der andere streng. »Du siehst vor dir das Volk, welches an die geoffenbarten Schriften glaubt, die auf goldenen Tafeln dem heiligen Josef Smith in Palmyra übergeben wurden. Im Staate Illinois in Nauvoo hatten wir unsern Tempel gegründet. Jetzt sind wir ausgezogen, um vor den gottlosen und gewaltthätigen Menschen eine neue Zufluchtsstätte zu suchen, und wenn es auch mitten in der Wüste wäre.«
Die Erwähnung von Nauvoo schien bei John Ferrier eine Erinnerung zu wecken. »O, jetzt verstehe ich,« rief er, »seid ihr nicht die Mormonen?«
»Jawohl, die Mormonen sind wir,« riefen alle einstimmig.
»Und wohin geht ihr?«
»Das wissen wir nicht. Die Hand Gottes führt uns durch unsern Propheten. Wir bringen euch zu ihm; er muß entscheiden, was mit euch geschehen soll.«
Sie hatten inzwischen den Fuß des Hügels erreicht, wo die Pilger sie umdrängten – bleiche Frauen mit demütiger Miene, muntere, kräftige Kinder und ernste Männer. Die große Jugend des Mädchens und die völlige Erschöpfung ihres Begleiters entlockte der Menge Ausrufe der Verwunderung und des Mitleids. Von neugierigen Scharen geleitet, schritten die Führer der Geretteten unverweilt vorwärts, bis sie einen Wagen erreichten, der sich durch besondere Größe und prächtige Zierate vor allen andern auszeichnete. Auch war er mit sechs Pferden bespannt, während die andern nur zwei oder höchstens vier hatten. Auf dem Wagen saß ein Mann von etwa dreißig Jahren, mit gewaltigem Haupt und entschlossenem Blick – der Führer des Volkes. Er las in einem Buch mit braunem Einband, das er bei dem Herannahen der Menge beiseite legte, um dem Bericht über das Ereignis ein aufmerksames Ohr zu leihen. Dann wandte er sich in feierlichem Ton an die beiden Wanderer.
»Wenn wir euch mit uns nehmen sollen,« sagte er, »so müßt ihr auch unsern Glauben bekennen. Wir dulden keine Wölfe in unserer Herde. Weit besser, eure Gebeine bleichen hier in der Wüste, als daß ihr wie räudige Schafe die Ansteckung in die ganze Herde traget. Wollt ihr unter dieser Bedingung mit uns ziehen?«
»Ich ziehe mit, unter jeder Bedingung, die ihr stellt,« rief Ferrier mit solchem Eifer, daß die Aeltesten ein Lächeln nicht unterdrücken konnten. Der Anführer allein bewahrte sein ernstes, feierliches Wesen.
»Nimm ihn mit, Bruder Stangerson,« befahl er, »gieb ihm Speise und Trank, dem Kinde auch. Es soll deine Aufgabe sein, ihn in unserer heiligen Lehre zu unterweisen. – Doch jetzt haben wir lange genug gezögert. Vorwärts. Auf nach Zion!«
»Auf, nach Zion!« riefen die Mormonen im Chor, und der Ruf pflanzte sich in der langen Karawane von Mund zu Mund fort, bis nur noch ein dumpfes Gemurmel aus der Ferne herüberklang. Die Peitschen knallten, die Räder der großen Fuhrwerke setzten sich in Bewegung und bald zog die ungeheure Schar wieder ihres Weges dahin. Der Aelteste, der die Sorge für die beiden Verirrten übernommen hatte, führte sie zu seinem Wagen, wo ihrer schon eine Mahlzeit wartete.
»Ihr dürft hier bleiben,« sagte er. »In wenigen Tagen werdet ihr euch von euren Anstrengungen erholt haben. Vergeßt aber nicht, daß ihr euch von jetzt an zu den Bekennern unseres Glaubens zählt. Brigham Young hat es gesagt und aus ihm hat die Stimme Josef Smiths geredet, welche die Stimme Gottes ist.«
9. Die Blume von Utah.
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Dies ist nicht der Ort, um die Drangsale und Beschwerden zu schildern, welche die ausgewanderten Mormonen zu erdulden hatten, bevor sie ihren neuen Zufluchtshafen erreichten. Von den Ufern des Mississippi waren sie nach den westlichen Abhängen des Felsengebirges gezogen, und hatten dabei eine Ausdauer und Zähigkeit bewiesen, die einzig in der Geschichte dasteht. Gegen reißende Tiere und feindliche Wilde, gegen allerlei Mühsal, Krankheit, Hunger, Durst und jedes Hindernis, das die Elemente ihnen in den Weg legten, hatten sie siegreich gestritten, obwohl unter den Schrecknissen der langen Wanderung auch dem Mutigsten bange ums Herz geworden sein mochte. Als endlich das weite Thal von Utah im Sonnenschein zu ihren Füßen ausgebreitet lag, und sie aus dem Munde des Führers vernahmen, daß es das Land der Verheißung sei, der jungfräuliche Boden, welcher ihnen auf ewige Zeiten zu eigen gehören solle, da gab es wohl keinen unter der großen Schar, der nicht freudig auf die Knie gesunken wäre, um ein Dankgebet für seine Rettung emporzusenden.
Brigham Young zeigte bald in der Verwaltung der Ländereien ebensoviel Geschick, als er bei der Führung des Volkes bewiesen. Er ließ Vermessungen vornehmen und Pläne entwerfen, auf welchen die künftige Stadt verzeichnet war. Ringsumher wurde Ackerland abgesteckt und jedem, ohne Rücksicht auf Rang und Stand, zugeteilt. Der Arbeiter erhielt Beschäftigung in seinem Handwerk, der Handelsmann in seinem Gewerbe. In der Stadt entstanden wie durch Zauberschlag Straßen und Plätze; auf dem Lande wurden Bäume gefällt, Wiesen entwässert, eingezäunt und bepflanzt, so daß schon im nächsten Sommer der goldene Weizen auf den Feldern wogte. Alles gedieh in der wunderbaren Ansiedlung. Mitten in der Stadt wurde der große Tempel erbaut, welcher einen immer erstaunlicheren Umfang annahm. Vom ersten Morgengrauen bis zur sinkenden Dämmerung waren dort Hammer und Säge unermüdlich beschäftigt, denn es galt ja, ein Denkmal zu errichten zu Ehren dessen, der sie durch alle Gefahren sicher geleitet hatte.
John Ferrier und seine kleine Schicksalsgefährtin, die er an Kindesstatt angenommen, hatten die Mormonen bis ans Ende ihrer Pilgerfahrt begleitet. Die kleine Lucy war unterwegs keinen allzugroßen Fährlichkeiten ausgesetzt gewesen. Sie durfte den Zug in dem Wagen des Aeltesten Stangerson mitmachen, in welchem sich außer ihr noch die drei Frauen des Mormonen befanden und sein Sohn, ein eigenwilliges, zwölfjähriges Bürschchen. Mit leichtem Kindersinn hatte sie sich schnell von dem Kummer erholt, den ihr der Mutter Tod bereitet. Sie wurde der Liebling der Frauen und gewöhnte sich bald an das neue Leben unter dem beweglichen Leinwandzelt. Auch Ferrier