Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle страница 23
Als er sich seinem Hause näherte, sah er mit Verwunderung, daß an jedem der Thürpfosten ein Pferd angebunden stand. Im Wohnzimmer aber traf er zwei junge Männer, die sich höchst behaglich zu fühlen schienen. Der eine, mit hageren, blassen Zügen, lag im Armstuhl ausgestreckt, die Füße auf dem niedrigen Ofen. Der andere, ein Mensch mit aufgedunsenem, gemeinem Gesicht und einem Stiernacken, stand, die Hände in den Taschen, am Fenster und pfiff eine Melodie. Beide nickten Ferrier vertraulich zu, und der junge Mensch im Armstuhl begann das Gespräch.
»Sie kennen uns vielleicht nicht,« sagte er. »Dies hier ist der Sohn des Aeltesten Drebber und ich bin Josef Stangerson, der mit im Zuge war, als der Herr in der Wüste seine Hand ausstreckte, um Sie mit der Herde der Gläubigen zu vereinen.«
»Wie er alle Völker versammeln wird zu seiner Zeit!« fiel der andere mit schnarrender Stimme ein. »Seine Mühlen mahlen langsam, aber sicher.«
John Ferrier verbeugte sich kühl; er hatte sich schon denken können, wer die Besucher waren.
»Wir kommen auf den Rat unserer Väter,« fuhr Stangerson fort, »und werben um die Hand Ihrer Tochter für denjenigen von uns beiden, welcher Ihnen und ihr am meisten zusagt. Da ich nur vier Frauen habe und Bruder Drebber hier deren sieben besitzt, so scheint mir, daß ich den nächsten Anspruch habe.«
»Bewahre, Bruder Stangerson,« rief der andere; »es handelt sich nicht darum, wie viele Frauen man hat, sondern wie viele man ernähren kann. Mein Vater hat mir jetzt die Fabriken übergeben, und ich bin reicher als du.«
»Aber ich habe bessere Aussichten,« erwiderte jener eifrig. »Wenn der Herr meinen Vater zu sich nimmt, bekomme ich die Lohgerberei und die Lederfabrik. Auch bin ich älter als du und mein Ansehen in der Kirche ist größer.«
»Das Mädchen soll zwischen uns entscheiden,« entgegnete der junge Drebber, sich wohlgefällig im Spiegel betrachtend; »wir wollen es ihr ganz überlassen.«
Während dieses Zwiegesprächs stand John Ferrier schäumend vor Wut an der Thür. Es zuckte ihm in allen Fingern, seine Reitpeitsche auf den Rücken der beiden Bewerber niedersausen zu lassen.
»Hört einmal,« sagte er endlich, auf sie zuschreitend, »wenn meine Tochter euch rufen läßt, mögt ihr kommen; bis dahin bitte ich mir aus, daß ihr mir den Anblick eurer Gesichter erspart!«
Die jungen Mormonen starrten ihn in maßlosem Erstaunen an. In ihren Augen war dieser Wettbewerb um die Hand des Mädchens die höchste Ehre, welche sie Vater und Tochter erweisen konnten.
»Es giebt zwei verschiedene Ausgänge aus diesem Zimmer,« fuhr Ferrier zornglühend fort, »einen durch die Thür, den anderen durch das Fenster. Ihr habt die Wahl.«
Seine Miene war so drohend und seine hagern Hände schienen so eisenstark, daß die beiden unwillkommenen Besucher eilig aufsprangen und den Rückzug antraten. Der alte Mann folgte ihnen bis zur Thür.
»Sobald ihr untereinander ausgemacht habt, wer es sein soll, laßt mich’s wissen,« rief er ihnen höhnisch nach.
»Dafür sollt Ihr büßen,« schrie Stangerson bleich vor Erregung. »Ihr habt dem Propheten getrotzt und dem hohen Rat der Vier – das sollt Ihr bereuen bis an Euer Lebensende.«
»Die Hand des Herrn werdet Ihr fühlen,« stimmte der junge Drebber ein. »Er wird wider Euch aufstehen und Euch schlagen.«
»Mit dem Schlagen kann es gleich seinen Anfang nehmen,« rief Ferrier zornbebend. Er wollte die Flinte von der Wand reißen, aber Lucy war herzugeeilt und fiel ihm in den Arm. Bevor er sich noch von ihr losmachen konnte, tönte schallender Aufschlag und die Flüchtlinge waren außer seinem Bereich.
»Die jungen heuchlerischen Schurken,« murmelte er voll Ingrimm; »weit lieber möchte ich dich im Grabe sehen, mein Herzenskind, als daß dich einer von ihnen als sein Weib heimführte.«
»Ja Vater, – lieber sterben!« erwiderte sie entschlossen. »Doch bald wird Jefferson hier sein.«
»Freilich – und je früher er kommt, desto besser ist es. Wer kann wissen, was jene gegen uns im Schilde führen.«
Es war in der That hohe Zeit, daß ein kluger Ratgeber und Helfer dem wackern alten Ferrier und seiner Tochter in ihrer Not beistand. Seit der Gründung der Niederlassung war ein solches Beispiel von Ungehorsam und Widersetzlichkeit gegen die Befehle der Aeltesten noch niemals vorgekommen. Wenn schon kleine Vergehen mit unnachsichtiger Strenge bestraft wurden, welches Schicksal erwartete dann diesen Erzrebellen? Ferrier wußte, daß weder sein Reichtum noch seine Stellung ihn schützen würde. Leute, die über ebenso große Mittel verfügten und in nicht geringerem Ansehen standen wie er, waren schon spurlos verschwunden und ihre Güter der Kirche anheimgefallen. Der tapfere Mann hätte sich jeder offenen Gefahr kühn entgegengestellt, aber das düstere unheimliche Verhängnis, das über ihm schwebte, erschütterte seine starke Seele und flößte ihm Grauen ein. Zwar verbarg er seine Furcht vor der Tochter und that, als lege er der ganzen Sache nicht viel Wert bei, allein, mit dem scharfen Auge der Liebe erkannte Lucy nur zu deutlich die Unruhe in seinem Gemüt.
Nach dem, was vorgefallen war, mußte er sich darauf gefaßt machen, von Young wegen seines Benehmens eine Rüge oder Warnung zu erhalten. Die Botschaft traf auch wirklich ein, aber sie kam auf eine ihm völlig unerwartete Weise. Als er am nächsten Morgen erwachte, fand er auf der Bettdecke gerade über seiner Brust einen kleinen viereckigen Zettel angesteckt, auf welchem mit großen deutlichen Buchstaben die Worte standen: »Neunundzwanzig Tage sind dir zur Sühne gewährt, und dann – –«
Jede Drohung wäre weniger furchtbar gewesen als der beängstigende Gedankenstrich. John Ferner zerbrach sich vergebens den Kopf, wie der Zettel in sein Zimmer gekommen sein könne, denn das Gesinde schlief in einem Nebenbau und er hatte mit eigener Hand alle Fenster und Thüren wohl verwahrt und verschlossen. Er vernichtete das Papier und sagte seiner Tochter nichts von dem Vorfall, aber ihn schauderte doch, wenn er daran dachte. Die neunundzwanzig Tage waren offenbar der Rest des Monats, den Brigham Young ihm zugesagt hatte. Was vermochten aller Mut und alle Kraft gegen einen Feind auszurichten, der so geheimnisvolle Hilfsmittel besaß? Die Hand, welche jenen Zettel befestigte, hatte ihn ebenso gut ins Herz treffen können und kein Mensch würde jemals erfahren haben, wer ihn erschlagen.
Am folgenden Morgen wurde er noch heftiger erschüttert. Sie saßen zusammen beim Frühstück, als Lucy plötzlich einen Schrei der Ueberraschung ausstieß und nach oben blickte. Mitten auf der Zimmerdecke stand in schwarzer Schrift die Zahl 28. Seine Tochter wußte nicht, was das zu bedeuten habe und er klärte sie nicht auf. Die folgende Nacht hindurch saß Ferrier mit der geladenen Flinte da und hielt Wache. Alles blieb still, er vernahm keinen Laut, aber am nächsten Morgen fand er die Zahl 27 auf seiner Hausthür angeschrieben.
So verging ein Tag nach dem andern und jeder neue Morgen brachte ihm Kunde, daß seine unsichtbaren Feinde ihre Rechnung weiter führten. An irgend einer Stelle, die ihm ins Auge fallen mußte, hatten sie die Anzahl der Tage verzeichnet, die ihm noch von der Gnadenfrist übrig blieb. Bald tauchten die verhängnisvollen Nummern an den Wänden auf, bald auf dem Fußboden, manchmal standen sie auf kleinen Anschlagzetteln, die an dem Gartenthor oder den Gitterstäben befestigt waren. Trotz aller Wachsamkeit konnte Ferrier nicht entdecken, woher diese täglichen Mahnzeichen kamen und er empfand ein fast abergläubisches Grauen, so oft er eine neue Zahl gewahrte. Er kam sich vor