Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle

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So mißtraute denn ein Nachbar dem andern und keiner wagte von den Dingen zu reden, die ihm vor allem am Herzen lagen. –

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      Eines Morgens wollte sich John Ferrier gerade zu einem Gang durch seine Weizenfelder rüsten, als er die Gitterthür gehen hörte und einen starken, blondhaarigen Mann mittleren Alters den Fußweg heraufkommen sah. Er erschrak heftig, denn es war niemand anderes als der große Brigham Young in eigener Person. Voll böser Ahnungen, denn er wußte wohl, daß ein solcher Besuch nichts Gutes für ihn zu bedeuten habe, eilte Ferrier dem Oberhaupt der Mormonen entgegen. Brigham Young nahm seine ehrerbietige Begrüßung mit Kälte auf und folgte ihm schweigend ins Wohnzimmer.

      »Bruder Ferrier,« sagte er, mit strenger Miene Platz nehmend, und warf unter seinen hellfarbenen Augenbrauen hervor einen durchdringenden Blick auf den alten Farmer, »die wahren Gläubigen haben dir treue Freundschaft erwiesen. Als du nahe daran warst, in der Wüste zu verschmachten, nahmen wir dich auf in unsere Mitte, labten dich mit Trank und Speise und führten dich sicher in das Land der Verheißung; dort gaben wir dir ein schönes Ackerland und ließen dich reich werden in unserm Schutz. Ist es nicht, wie ich sage?«

      »Ja, so ist es,« bestätigte Ferrier.

      »Zum Dank für alle Wohlthaten stellten wir nur die eine Bedingung, daß du den wahren Glauben annehmen und dich unsern Sitten und Gebräuchen unterwerfen solltest. Du gelobtest dies zu thun; aber, wenn wir recht berichtet sind, hast du dein Versprechen nicht gehalten.«

      »Worin habe ich denn gefehlt?« rief Ferrier. »Habe ich nicht in die gemeinsame Kasse gesteuert? Habe ich nicht die Versammlungen im Tempel besucht? Habe ich nicht –«

      »Wo sind deine Frauen?« fragte Young, sich umblickend. »Rufe sie herbei, daß ich sie begrüßen kann.«

      »Es ist wahr,« versetzte der Farmer, »ich habe nicht geheiratet. Aber es war nur eine geringe Anzahl Frauen vorhanden und andere Gemeindeglieder hatten bessere Ansprüche als ich. Auch lebte ich nicht einsam; meine Tochter sorgte für meine Notdurft.«

      »Gerade deine Tochter ist es, von der ich mit dir reden möchte,« sagte der Führer der Mormonen. »Sie ist zur Blume von Utah erblüht und Männer, die in hohem Ansehen unter uns stehen, haben ein Auge des Wohlgefallens auf sie geworfen.«

      John Ferrier gingen die Worte wie ein schneidendes Schwert durchs Herz.

      »Man erzählt von ihr, was ich nur ungern wiederhole – daß sie sich einem Ungläubigen versiegelt hat. Es muß wohl ein Geschwätz müßiger Zungen sein, denn – wie lautet die dreizehnte Regel im Gesetz Josef Smiths, des Heiligen? – ›Eine Tochter, die sich zum wahren Glauben bekennt, darf nur mit einem der Auserwählten in die Ehe treten. Heiratet sie einen Ungläubigen, so macht sie sich einer schweren Sünde schuldig.‹ Es ist nicht möglich, daß du, als Anhänger unserer heiligen Lehre, deiner Tochter gestattet haben solltest, dies Gebot zu übertreten.«

      John Ferrier gab keine Antwort, er atmete schwer.

      »Im heiligen Rat der Vier ist beschlossen worden, daß dieser eine Punkt zum Prüfstein für deinen Glauben dienen soll,« fuhr der Prophet fort. »Das Mädchen ist jung, wir wollen sie nicht einem Graubart vermählen, und ihr sogar die Wahl lassen. Wir, die Aeltesten, sind bereits wohl versehen, aber wir müssen auch für unsere Kinder sorgen. Stangerson und Drebber haben Söhne und jeder von ihnen würde deine Tochter mit Freuden in seinem Hause willkommen heißen. Sie soll sich für einen von ihnen entscheiden. Beide sind jung, reich und bekennen sich zu dem wahren Glauben. Was hast du darauf zu erwidern?«

      Ferner zog die Stirn in düstere Falten und schwieg eine Weile.

      »Ihr werdet uns Zeit lassen,« sagte er endlich. »Meine Tochter ist sehr jung – noch kaum in heiratsfähigem Alter.«

      »Sie soll einen Monat Bedenkzeit haben,« sagte Young von seinem Sitz aufstehend. »Ist diese Frist zu Ende, so erwarten wir ihre Antwort.«

      In der Thür wandte er sich noch einmal zurück; sein Gesicht war gerötet, seine Augen funkelten. »Wenn jetzt dein und ihr Gebein im Wüstenstaub bei der Sierra Bianca moderte,« rief er mit Donnerstimme, »es wäre weit besser für dich, John Ferrier, und für sie, als wenn ihr in eurer Ohnmacht wagen solltet, dem Befehl des heiligen Rats der Vier zu trotzen.«

      Er erhob die Hand mit drohender Gebärde, dann verließ er das Haus und man hörte den Kies auf dem Fußweg unter seinen Tritten knirschen.

      Ferrier saß noch in trübem Sinnen, den Kopf in die Hand gestützt, als er sich leise an der Schulter berührt fühlte. Er blickte auf und sah Lucy neben sich stehen. Ihr bleiches, verstörtes Gesicht ließ ihm keinen Zweifel, daß sie wußte, was geschehen war. »Ich konnte nicht anders,« flüsterte sie voll Bangigkeit, »ich habe alles gehört – seine Stimme schallte durch das ganze Haus. O Vater, Vater – was sollen wir thun?«

      »Sei ohne Furcht,« sagte er, sie an sich ziehend, und ließ seine breite, rauhe Hand zärtlich über ihr braunes Haar gleiten. »Irgendwie wollen wir’s schon einrichten. Du hängst doch wohl nach wie vor an deinem Verlobten, nicht wahr?«

      Sie schluchzte nur leise und drückte ihm die Hand.

      »Ich hab’ mir’s gleich gedacht; so ein hübscher Bursche und ein ordentlicher Christenmensch obendrein; denn das ist hier keiner von allen, trotz ihrer vielen Gebete und Predigten. – Morgen reist eine Gesellschaft nach Nevada ab, da werde ich zusehen, daß ich ihm eine Botschaft schicken kann, um ihn wissen zu lassen, in welcher Not wir stecken. Wenn er dann nicht hier ist, wie der Wind, müßte ich mich sehr in dem jungen Mann getäuscht haben.«

      Lucy lächelte unter Thränen. »Wenn er kommt, wird er uns zu raten und zu helfen wissen,« sagte sie zuversichtlich. »Aber ich ängstige mich deinetwegen, Väterchen. Man hört so schreckliche Dinge erzählen, wie es denen ergeht, die sich dem Willen des Propheten widersetzt haben.«

      »Aber wir haben das noch gar nicht gethan,« entgegnete der Alte, »und brauchen uns vorläufig nicht zu fürchten. Noch haben wir einen ganzen Monat vor uns und ehe der zu Ende geht, werden wir gut thun, Utah den Rücken zu kehren.«

      »Was wird denn aber aus deinem Besitztum?«

      »Wir machen zu Geld, was wir können, und lassen das Uebrige zurück. Ich will dir nur offen gestehen, Lucy, daß ich schon längst mit diesem Gedanken umgehe. Ich mag vor keinem Menschen zu Kreuze kriechen, wie die Leute hier vor ihrem verwünschten Propheten. Als freier Mann bin ich geboren und kann mich in diese Art nicht mehr finden – ich bin wohl zu alt dazu. Er soll sich hüten, mir noch einmal ins Gehege zu kommen, sonst hat er eine Ladung Schrot im Leibe, ehe er sich’s versieht.«

      »Sie werden uns aber nicht fortlassen wollen,« warf Lucy ängstlich ein.

      »Dafür laß mich nur sorgen, wenn Jefferson kommt. Beruhige dich jetzt, mein Herzchen, und weine dir nicht die Augen rot, sonst macht er mir Vorwürfe, wenn er dich sieht. Uns droht keinerlei Gefahr, und du brauchst nichts zu fürchten.«

      John Ferrier sprach diese tröstlichen Worte mit großer Zuversicht, doch konnte Lucy nicht umhin, zu bemerken, wie vorsichtig er alle Thüren zur Nacht verschloß und verriegelte, nachdem er zuvor die alte, rostige Jagdflinte, welche für gewöhnlich an der Wand seines Schlafzimmers hing, aufs sorgfältigste gereinigt und geladen hatte.

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