Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle страница 30
»›Ihr Vater ist nicht durch meine Hand gefallen.‹
»›Aber, daß ihr das Herz brach, ist Eure Schuld. – So soll denn der große Gott Richter sein zwischen mir und Euch.‹ – Ich hielt ihm die Schachtel mit den Pillen hin. ›Wählet,‹ rief ich, ›in der einen ist Tod, in der andern Leben; die, welche Ihr übrig laßt, nehme ich. Laßt uns sehen, ob es noch Gerechtigkeit auf Erden giebt, oder ob uns der Zufall regiert.‹
»Er wand sich vor Todesangst und flehte um Gnade; statt der Antwort zog ich mein Messer und hielt es ihm an die Kehle, bis er mir den Willen gethan hatte. Dann verschluckte ich die zweite Pille, und wir standen einander eine Minute lang gegenüber in gespannter Erwartung, wer von uns leben und wer sterben solle. – Nie werde ich den grauenvollen Ausdruck seiner Mienen vergessen, als er die ersten Anzeichen des Gifts verspürte und wußte, er habe das Todeslos gezogen. Ich hielt ihm triumphierend Lucys Trauring vor die Augen. Es war nur ein Moment, denn die Wirkung des Alkaloids erfolgte schnell. Seine Züge verzerrten sich, er griff mit den Händen in die Luft, stieß einen wilden Schrei aus und fiel schwer zu Boden. Ich fühlte nach seinem Herzschlag, aber nichts regte sich – er war tot.
»Ich tauchte den Finger in mein Blut, das noch immer herabgetropft war, ohne daß ich es beachtet hatte, und schrieb das Wort ›Rache‹ an die Wand. Ob ich das zu meiner eigenen Befriedigung that, oder um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken, ist mir selbst nicht klar. Ich hatte von geheimen Gesellschaften gehört, die auf solche Weise ihre Opfer zeichnen.
»Nun verließ ich das Haus und bestieg meine Droschke wieder. Draußen heulte noch der wilde Sturm, und die Straße war menschenleer. Ich mochte schon eine ziemliche Strecke gefahren sein, als ich Lucys Trauring vermißte, den ich immer in meiner Brusttasche trug. Es war das einzige Erinnerungszeichen an sie, welches ich besaß, und der Verlust traf mich wie ein Donnerschlag. Wahrscheinlich hatte ich den Ring verloren, als ich mich über Drebbers Leiche beugte; ich mußte ihn wieder haben, um jeden Preis. Rasch entschlossen kehrte ich um, ließ die Droschke in einer Seitenstraße stehen und schritt beherzt auf das Haus zu. Allein, fast wäre ich einem Polizisten in die Arme gelaufen, der eben aus dem Gitterthor trat. Es gelang mir, seinen Argwohn zu beschwichtigen, indem ich mich sinnlos betrunken stellte.
»Enoch Drebber hatte seinen verdienten Lohn gefunden. Nun sollte auch Stangerson für John Ferriers Tod büßen. Ich wartete den ganzen Tag über auf ihn in der Nähe von Hallidays Hotel, aber er ließ sich nicht blicken; Drebbers Ausbleiben mochte wohl Verdacht in ihm erregt haben. Stangerson war schlau und stets auf seiner Hut, doch diesmal nützte ihm alle Vorsicht nicht. Welches sein Stubenfenster sei, brachte ich leicht in Erfahrung, und mit Hilfe einer Leiter, die noch von einem Bau her in einer Nebengasse lag, stieg ich beim Morgengrauen in sein Schlafzimmer ein. Ich weckte ihn und kündigte ihm an, daß die Stunde der Rechenschaft gekommen sei, und er seine alte Schuld bezahlen müsse. Nachdem ich ihm Drebbers Tod geschildert, bot ich ihm dieselbe Wahl an, wie seinem Gefährten. Er aber hörte kaum auf mich; wie rasend sprang er aus dem Bette und mir an die Kehle. Aus Notwehr stieß ich ihm, zu meiner eigenen Rettung, mein Messer in die Brust. Der Tod hatte ihn ja so wie so ereilt, denn sicherlich würde seine schuldige Hand die vergiftete Pille gewählt haben – die Wege der Vorsehung sind gerecht.
»Mir bleibt jetzt nur noch wenig zu berichten – und das ist gut, weil ich fühle, daß es mit meinen Kräften zu Ende geht. Ich wollte das Kutscherhandwerk weitertreiben, bis ich genug Geld beisammen hätte, um nach Amerika zurückzukehren. Als ich heute in unserm Hofe stand, hörte ich einen zerlumpten Jungen nach einem Kutscher Namens Jefferson Hope fragen. Er war von einem Herrn in der Bakerstraße geschickt, um meine Droschke zu holen. Ohne den geringsten Argwohn folgte ich dem Boten; bevor ich aber noch recht wußte, wie mir geschah, hatte mir schon der junge Mann hier die Handschellen angelegt und ich war Ihr Gefangener. Sie kennen jetzt meine ganze Lebensgeschichte. Vielleicht gelte ich in Ihren Augen dennoch für einen Mörder. Ich aber, meine Herren, lebe der festen Ueberzeugung, daß ich gerade so gut ein Diener der Gerechtigkeit bin, wie Sie selber.«
Jefferson Hope hatte seine ergreifende Geschichte mit so tiefinnerlichem Gefühl erzählt, daß wir ihm in atemloser Spannung zuhörten. Sogar die beiden Detektivs, die doch durch ihren Beruf gegen das Verbrechen in jeder Form abgestumpft waren, zeigten ein warmes Interesse. Als er geendet hatte, saßen wir noch eine Weile stumm und nachdenklich da, und man hörte nur Lestrades Bleistift über das Papier fahren, während er seinem stenographischen Bericht die Schlußworte hinzufügte.
»Nur eins möchte ich noch wissen,« unterbrach endlich Sherlock Holmes die Stille: »Wer war Ihr Helfershelfer, der auf meine Anzeige hin den Ring zu holen kam?«
Der Gefangene schüttelte den Kopf. »Anderer Leute Geheimnisse darf ich nicht verraten,« sagte er; »es könnte sie in Ungelegenheiten bringen. Ich war ungewiß, ob man mir nicht eine Falle stelle und mein Freund erbot sich, den Ring statt meiner zu holen. Sie werden zugeben, daß er die Sache geschickt ausgeführt hat.«
»Das will ich meinen,« bestätigte Holmes lächelnd.
»Nun, meine Herren,« nahm der Inspektor das Wort, »dem Gesetz muß Genüge geschehen. Nächsten Donnerstag wird der Gefangene dem Richter vorgeführt werden, wobei Ihre Gegenwart erforderlich ist. Bis dahin übernehme ich die Verantwortlichkeit für ihn.«
Er klingelte, worauf zwei Polizisten erschienen, welche Jefferson Hope in Gewahrsam brachten. Ich aber kehrte in Begleitung meines Freundes Holmes nach unserer Wohnung in der Bakerstraße zurück.
+ + +
Wir hatten sämtlich eine gerichtliche Vorladung auf Donnerstag erhalten. Als jedoch der festgesetzte Termin herankam, bedurfte man unseres Zeugnisses nicht mehr. Ein höherer Richter hatte die Sache in die Hand genommen und Jefferson Hope zur Rechenschaft vor sein Tribunal gefordert. In der Nacht nach seiner Gefangennahme trat das erwartete Ende ein und man fand ihn am Morgen tot in seiner Zelle. Ein friedliches Lächeln lag in seinen Zügen, als habe die Erinnerung an ein wohl angewendetes Leben und glücklich vollbrachtes Werk ihm noch die letzten Augenblicke versüßt.
Am Abend saß ich mit Holmes in unserem gemeinschaftlichen Wohnzimmer am Kamin und wir besprachen das Ereignis.
»Dieser Todesfall macht Gregson und Lestrade einen rechten Strich durch ihre Rechnung,« sagte mein Freund. »Sie werden sehr unglücklich darüber sein; wo bleibt nun ihr pomphafter Zeitungsbericht und der Lohn für alle ihre Anstrengung?«
»Mir scheint doch, daß sie mit der Gefangennahme wenig zu thun gehabt haben,« versetzte ich.
»O, in dieser Welt kommt es nicht sowohl darauf an, was man wirklich thut,« rief mein Gefährte, nicht ohne einen Anflug von Bitterkeit, »als darauf, daß man den Leuten einen hohen Begriff von seinen Thaten beizubringen weiß. Aber, einerlei,« fuhr er nach einer Pause in heiterem Tone fort, »ich hätte mir den Fall um keinen Preis entgehen lassen mögen; es ist einer der besten, die mir je vorgekommen sind. Trotz seiner Einfachheit enthielt er mehrere äußerst lehrreiche Punkte.«
»Das nennen Sie einfach?! –«
Holmes lächelte über mein Erstaunen. »Nun ja, wie wollen Sie es anders bezeichnen?« fügte er. »Schon der Umstand, daß ich ganz allein, nur mit Hilfe einiger alltäglicher Schlußfolgerungen, innerhalb drei Tagen des Verbrechers habhaft geworden bin, ist doch der schlagendste Beweis für die Einfachheit des Falles.«
»Wohl wahr,« gab ich zu.
»Ich habe Ihnen schon früher einmal auseinander gesetzt, daß alles Ungewöhnliche eher eine Erleichterung als ein Hindernis ist. Bei der Lösung eines solchen Problems kommt es hauptsächlich darauf an, ob man imstande ist, Rückschlüsse zu machen. Das ist eine