Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle

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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch - Arthur Conan Doyle

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sagte er. »Überlegen Sie sich einmal, was es bedeuten würde, wenn tatsächlich jemand die Flinte ins Haus gebracht hätte und alle diese sonderbaren Dinge von einer Außenperson verübt worden wären. Mensch, es ist geradezu undenkbar. Es widerspricht jeder gesunden Logik. Was ist Ihre Meinung, Mr. Holmes, nach dem, was wir bisher gehört haben?«

      »Zunächst legen Sie uns einmal den Fall dar, Mr. Mac«, sagte Holmes im Tone des Untersuchungsrichters.

      »Der Mann war kein Einbrecher, wenn wir schon annehmen, daß ein solcher Mann überhaupt existiert hat. Die Sache mit dem Ring und die Karte deuten auf persönliche Motive hin. Nun gut. Denken wir uns einen Mann, der sich in das Haus schleicht mit dem bestimmten Vorsatz, jemanden umzubringen. Er weiß und mußte wissen, daß für ihn ein Entrinnen äußerst schwierig ist, weil das Haus ringsum von Wasser umgeben ist. Was für eine Waffe würde er verwenden? Ich würde sagen, die geräuschloseste, die es gibt, denn er mußte doch trachten, nach vollbrachter Tat Zeit zu gewinnen, um aus dem Fenster zu steigen, den Wassergraben zu durchwaten und sich auf der anderen Seite davonmachen zu können. Das wäre verständlich. Aber es ist nicht verständlich, daß er etwas so Ausgefallenes tun würde, eine Waffe zu wählen, die nach menschlichem Ermessen jeden Hausbewohner in kürzester Zeit zur Stelle bringen würde, bevor er den Wassergraben durchqueren konnte. Halten Sie das für logisch, Mr. Holmes?«

      »Ich muß sagen,« antwortete mein Freund nachdenklich, »Sie haben starke Gründe für sich. Sicherlich wäre die Erklärung einer solchen Handlungsweise nicht ganz einfach. Darf ich Sie fragen, Mr. White Mason, ob Sie den Boden auf der anderen Seite des Wassergrabens untersucht haben und Spuren eines Menschen, der aus dem Wasser gestiegen war, entdeckten?«

      »Nicht das geringste von Spuren, Mr. Holmes. Die Böschung ist gepflastert, und wir konnten natürlich nichts anderes erwarten.«

      »Keinerlei Anzeichen irgendwelcher Art?«

      »Keine.«

      »Haben Sie etwas dagegen, Mr. White Mason, wenn wir jetzt zum Haus hinuntergehen? Vielleicht finden wir noch irgend etwas, das uns einen Anhaltspunkt bieten könnte.«

      »Das wollte ich soeben vorschlagen, Mr. Holmes. Ich habe es nur für ratsam gehalten, Ihnen zuerst alles mitzuteilen, was ich weiß. Ich denke mir, daß, wenn Sie irgend etwas finden, –« White Mason betrachtete den Amateurdetektiv zweifelnd.

      »Ich habe mit Mr. Holmes schon öfter gearbeitet,« sagte Inspektor McDonald, »man kann sich auf ihn verlassen.«

      »Wenigstens soweit, als ich dies für notwendig erachte«, bemerkte Holmes lächelnd. »Wenn ich mich je von der Seite der Polizei getrennt habe, so geschah dies, weil sie sich von mir trennte. Ich arbeite, um der Polizei und der Rechtspflege zu nützen. Es liegt mir nicht das geringste daran, einen Triumph auf deren Kosten einzuheimsen. Dagegen beanspruche ich für mich, Mr. White Mason, auf meine eigene Weise vorgehen und was ich finde, zu der Zeit preisgeben zu dürfen, die ich für die geeignete halte, – vollständig und nicht ratenweise.«

      »Ihre Mitwirkung ehrt uns sehr, das kann ich Ihnen versichern, Mr. Holmes, und wir werden Ihnen gern alles zur Verfügung stellen, was wir wissen«, erklärte White Mason herzlich. »Kommen Sie, Dr. Watson, wir hoffen alle noch in Ihr Buch zu kommen.«

      Wir schritten die wunderliche, auf beiden Seiten von gestutzten Ulmen eingefaßte Dorfstraße entlang. Jenseits sahen wir zwei altertümliche Steinpfeiler, verwittert und mit Flechten besät, die oben ein unbestimmtes Etwas, das einmal der Wappenlöwe der Capus von Birlstone gewesen sein mochte, trugen. Dann folgte ein kurzer gewundener Weg zwischen Wiesen, flankiert von Eichen, wie man sie nur im ländlichen England findet. Nach einer unvermittelten Wendung lag das langgestreckte, niedrige Haus aus der jakobinischen Periode mit seinem dunkelbraunen Ziegelmauerwerk, umgeben von seinem altmodischen Garten mit zahlreichen beschnittenen Eibenbäumen vor uns. Als wir uns näherten, gewahrten wir die hölzerne Zugbrücke und den schönen breiten Festungsgraben, in dem das stille Wasser wie Quecksilber in dem kalten Wintersonnenschein glitzerte. Drei Jahrhunderte waren an dem alten Herrenhaus vorbei gezogen, Jahrhunderte, die viele Menschen darin geboren werden, ausziehen und wiederkehren sahen, Jahrhunderte, erfüllt von Lustbarkeiten und ländlich-sportlichem Zeitvertreib. Es war ein eigenartiges Verhängnis, daß jetzt, in seinen alten Tagen, der Schatten dieses düsteren Ereignisses auf seine ehrwürdigen Mauern fallen mußte. Und doch bildeten diese sonderbar gegiebelten Dächer, mit ihren altmodischen, wunderlichen Vorsprüngen, die stimmungsvolle Bedachung eines ernsten, schrecklichen Geschehnisses. Als ich die tief eingelassenen Fenster und die lang hingestreckte, dunkle, vom Wasser bespülte Fassade sah, kam mir zum Bewußtsein, daß kaum ein passenderes Milieu für ein solches Drama denkbar war.

      »Das ist das Fenster,« sagte White Mason, »jenes, unmittelbar zur Rechten der Zugbrücke. Wir haben es offen gelassen, genau wie wir es gestern abend fanden.«

      »Es sieht etwas schmal aus für einen erwachsenen Mann.«

      »Nun, er kann eben nicht besonders beleibt gewesen sein. Wir brauchen nicht Ihre Schlußfolgerungen, Mr. Holmes, um das zu wissen. Aber jeder von uns beiden könnte sich leicht durchzwängen.«

      Holmes schritt bis an den Rand des Festungsgrabens und blickte nach der anderen Seite hinüber. Dann untersuchte er die steinerne Böschung und deren Graseinfassung.

      »Ich habe mich schon genau umgesehen, Mr. Holmes,« sagte White Mason, »es ist nichts da; nicht das geringste deutet darauf hin, daß einer da herausgestiegen ist. Aber wie könnte er auf den Steinen eine Spur hinterlassen?«

      »Sehr richtig, wie könnte er. Ist das Wasser immer trübe?«

      »Gewöhnlich hat es diese Färbung. Der Zufluß macht es so lehmig.«

      »Wie tief ist es?«

      »Ungefähr zwei Fuß am Rand und drei in der Mitte.«

      »Wir können demnach dem Gedanken, daß der Mann vielleicht darin ertrunken ist, außer acht lassen.«

      »Sicherlich, nicht einmal ein Kind könnte darin ertrinken.«

      Wir gingen dann über die Zugbrücke und wurden an der Eingangstür von einem wunderlichen, verschrumpften Männchen, dem Diener Ames, in Empfang genommen. Er war noch immer blaß und zitterte am ganzen Leibe in Erinnerung an den ausgestandenen Schrecken. Der Polizeibeamte des Dorfes, ein großer, ernst und gewissenhaft aussehender Mensch, hielt noch Wache in dem Totengemach. Der Arzt war schon fortgegangen.

      »Etwas Neues, Sergeant Wilson?« fragte White Mason.

      »Nein, Herr.«

      »Dann können Sie nach Hause gehen, Sie haben schon genug getan. Wenn wir Sie brauchen, werden wir nach Ihnen schicken. Der Diener soll lieber draußen warten. Sagen Sie ihm, er soll Mr. Cecil Barker, Frau Douglas und die Haushälterin verständigen, sich bereitzuhalten, weil wir einiges mit ihnen zu besprechen haben. Nun, meine Herren, möchte ich mir gestatten, Ihnen die Ansicht, die ich mir gebildet habe, auseinanderzusetzen. Dann wird es an Ihnen sein, sich Ihre Meinungen zu bilden.«

      Er gefiel mir, dieser provinzielle Spezialist. Er hatte ein klares Auge für Tatsachen und einen kühlen, praktischen Kopf, der ihn in seinem Berufe ein gutes Stück vorwärts bringen mußte. Holmes hörte ihm aufmerksam zu, ohne ein Zeichen jener Ungeduld, die beamtete Detektive so oft in ihm erregten.

      »Ist es Selbstmord oder Mord – das ist unsere erste Frage, meine Herren. Wenn es Selbstmord wäre, müßten wir als erwiesen ansehen, daß der Mann damit begonnen hat, seinen Ehering abzulegen und ihn zu verbergen; daß er, der

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