Der Herzensdieb. Barbara Cartland

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Der Herzensdieb - Barbara Cartland Die zeitlose Romansammlung von Barbara Cartland

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hatte London Hals über Kopf verlassen, weil sie sich ihres letzten Abenteuers schämte und nicht nur den strafend auf sie gerichteten Fingern entgehen wollte, sondern vor allem dem Grafen selbst. Da er - wie er stets behauptet hatte, Brighton verabscheute, war er in früheren Jahren dem Prinzen nicht dorthin gefolgt. Als er diesmal vor drei Tagen in seiner Begleitung erschien, wußte Lady Roysdon, daß Ruhe und Frieden für sie zu Ende waren.

      Sie hatte heute abend kaum den Ballsaal betreten, als er sie auch schon in Beschlag genommen hatte. Dabei hatte er alle anderen Männer vertrieben, die sich um ihre Gunst bemühten. Sie war sehr wütend gewesen. Obwohl sie sich gesagt hatte, daß er sich Rechte anmaßte, die ihm nicht zustanden, jagte er ihr mit seiner Beharrlichkeit, sie besitzen zu wollen, Angst ein.

      Während er jetzt darauf wartete, daß sie ihre Hand auf seinen Arm legte, deutete sein Gesichtsausdruck an, daß er nichts Gutes im Sinn hatte.

      „Ich habe meinen Umhang in der Halle gelassen“, sagte sie schnell. „Würden Sie ihn mir bitte holen? Wenn ich es selbst tue, werde ich sicherlich unterwegs aufgehalten.“

      Das mußte der Graf einsehen.

      „Ich lasse meinen Wagen vorfahren und gleichzeitig Ihrem Kutscher die Nachricht zukommen, daß er nicht auf Sie warten muß und nach Hause fahren kann.“

      „Vielen Dank, D’Arcy.“

      Sein rascher Seitenblick zeigte, wie überrascht er war, weil sie sich so gefügig zeigte.

      „Hoffentlich finde ich Sie noch hier vor, wenn ich zurückomme“, sagte er mit einem leichten Lächeln. „Vielleicht täte ich gut daran, die Tür zu verschließen, damit keiner Ihrer Bewunderer Sie inzwischen zum Tanz entführen kann.“

      „Ich habe nicht die Absicht, heute noch einmal zu tanzen“, erwiderte Lady Roysdon beinahe scharf. „Mich zieht es nach Hause. Eine Party, die sich zulange hinzieht, ist schrecklich ermüdend.“

      „Sie haben recht, wir hätten schon früher gehen sollen“, stimmte er zu.

      „Dann wollen wir nicht länger verweilen, ich bin müde und bedarf der Ruhe.“

      Er war kaum verschwunden, als sich Lady Roysdons gelangweilte Miene jäh veränderte. Sie lauschte einige Augenblicke, um sicher zu sein, daß er nicht schon wieder zurückkehrte. Dann durchquerte sie leichtfüßig den Raum und kletterte durch das offene Fenster in den Garten, was ihr in dem dünnen Tüllkleid mühelos gelang. Nachdem sie sich unten orientiert hatte, lief sie über den Rasen auf ein paar Lichter zu, die hinter den Büschen flackerten. Wie sie richtig vermutet hatte, gehörten sie zu den wartenden Kutschen, unter denen sie ihre eigene ohne Schwierigkeit fand.

      Hancocks, der Kutscher - seit vielen Jahren im Dienste der Familie ihres Mannes - saß dösend auf dem Bock. Jake, ein junger Mann, den sie erst in Brighton als Reitknecht engagiert hatte, unterhielt sich mit einigen Kollegen.

      Lady Roysdons Erscheinen löste zunächst einige Überraschung aus, doch Jake faßte sich schnell, griff nach seinem Hut mit Kokarde, der achtlos auf dem Boden lag, setzte ihn auf und erkundigte sich.

      „Sie wünschen zu fahren, Mylady?“

      Auf ihre bejahende Antwort hin beeilte er sich, ihr die Kutschentür zu öffnen und eine Pelzdecke über die Knie zu breiten.

      „Nach Hause, Mylady?“

      „Nach Hause“, bestätigte sie, „und Hancocks soll die Hauptstraße meiden. Es gibt da, glaube ich, noch eine andere Straße über die Downs.“

      Die Tür wurde geschlossen, die Pferde setzten sich in Bewegung. Die Kutsche rollte an der langen Reihe - wartender Wagen vorbei.

      Nach einer Viertelmeile verließen sie die Brighton Road und bogen in eine schmale, staubige Straße ein. Lady Roysdon hatte gute Gründe, diese Route zu wählen. Die vier Pferde des Grafen hätten ihr eigenes Gespann leicht einholen können, sie traute ihm durchaus zu, daß er sie anhalten und darauf bestehen würde, daß sie zu ihm in den Wagen stieg, mochte sie wollen oder nicht. Auf engem Raum allein würde es schwer sein, sich den Grafen vom Leibe zu halten. Die Straße über die Downs war länger und holpriger, versprach aber mehr Sicherheit und das war alles, was zählte.

      Sie machte es sich in einer Ecke der gutgepolsterten Kutsche bequem und ließ die Pelzdecke auf den Boden rutschen. Nachdem sie das Fenster heruntergedreht hatte, umfächelte die vom Meer kommende Brise ihre Wangen und vertrieb die Beklemmungen, die sie befallen hatten, als sie den Grafen im Ballsaal vorgefunden hatte.

      Es war ihr nicht klar, was sie in Bezug auf seine Person tun sollte. Anders als vor zwei Jahren wußte sie jetzt, daß sie ihn niemals heiraten würde, selbst wenn sie morgen schon frei wäre. Er hatte etwas an sich, was sie abstieß, obwohl er sie amüsierte. Und weil er sie amüsierte, hatte sie ihn den anderen Männern vorgezogen, die auf jede nur mögliche Art versucht hatten, sie davon zu überzeugen, daß eheliche Treue für eine Frau von Welt nur ein Witz und keine Tugend wäre. Wenn dann alle Schmeicheleien und Bitten erfolglos blieben, machten sich die meisten Galane auf die Suche nach leichter zu erobernden Opfern, doch der Graf war geblieben.

      Lady Roysdon beschloß, sich ihn vom Halse zu schaffen, obwohl das nicht leicht sein würde. Daß sie ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte, war keine Übertreibung, wie sie sehr wohl wußte. Nie zuvor in seinen sechsunddreißig Lebensjahren war ihm etwas versagt geblieben, was er begehrt hatte. Deshalb war sie für ihn zu einer Art Besessenheit geworden. Er wollte um jeden Preis erreichen, daß sie sich ihm als Sieger ergab. Lady Roysdon konnte sich selbst nicht erklären, warum sie ihre Ansicht über ihn in der letzten Zeit so sehr geändert hatte. Er war für sie nicht mehr der gleiche Mann, dem sie ihre Freundschaft geschenkt hatte, als sie nach London kam. Plötzlich wirkten seine engstehenden Augen bedrohlich und der dünnlippige Mund hart und grausam. Natürlich hatte sie auch früher schon Geschichten über ihn gehört. Es gab in der Gesellschaft niemanden, über den nicht geringschätzig gesprochen wurde, nur pflegte sie selten zu glauben, was sie hörte. Was den Grafen anging, so wurde sie langsam mißtrauisch. Gleichzeitig stellte sich ein Gefühl ein, als ob er sie in ein unsichtbares Netz einspannte, aus dem sie nicht entfliehen konnte.

      Zum erstenmal wünschte sie sich, einen Mann zu kennen, an den sie sich um Rat und Hilfe wenden konnte. Bisher hatte der Graf sie zwar gelegentlich in die Klemme gebracht, sie jedoch auch jedesmal wieder herausgeholt. Er hatte sie - falls notwendig - beraten, und da er ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft und zudem ein erfahrener Mann war, war ihr sein Rat im großen Ganzen zum Vorteil ausgeschlagen.

      Tief in Gedanken versunken bemerkte Lady Roysdon nicht, wohin sie fuhr. Sie erwachte erst aus ihren Betrachtungen, als die Kutsche plötzlich sehr abrupt zum Stehen kam. Sie blickte aus dem Fenster und stellte fest, daß sie sich mitten im Wald befanden. Jetzt tauchte eine hochgewachsene Gestalt auf und öffnete die Tür.

      „Würden Mylady wohl die Güte haben, auszusteigen“, befahl eine Männerstimme. Im ersten Augenblick glaubte sie schon, der Graf habe sie trotz ihrer Vorsichtsmaßnahmen eingeholt, bis sie im Licht des Mondes und der Wagenlaternen mit ungläubiger Miene entdeckte, daß der Mann maskiert war. Er war also ein Straßenräuber. Er hielt eine Pistole in der Hand. Eigentlich hätte sie schreien müssen, doch ihr Stolz verbot ihr, auch nur eine Spur von Schwäche zu zeigen. Langsam und würdevoll stieg sie aus der Kutsche.

      Der Mond schien so hell, daß sie einen zweiten Räuber erkannte, der mit seiner Pistole Hancocks und Jake in Schach hielt. Der Mann, der sie zum Aussteigen aufgefordert hatte, war groß und breitschultrig. Seine Augen konnte sie hinter der Maske, die den oberen Teil des Gesichtes bedeckte, nicht sehen. Um seine Lippen spielte jedoch unverkennbar ein

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