Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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eine mit repräsentativer Einrichtung, die andere demokratisch, diese mit, jene ohne Veto, diese von städtischem Charakter, jene von ländlichem, und wieder eine andere wie eine Theokratie aussehend, und die Schweizer bezeigten bald eine große Übung in diesem Schachspielen und Putschen.

      Das Wort Putsch stammt aus der guten Stadt Zürich, wo man einen plötzlichen vorübergehenden Regenguß einen Putsch nennt und demgemäß die eifersüchtigen Nachbarstädte jede närrische Gemütsbewegung, Begeisterung, Zornigkeit, Laune oder Mode der Züricher einen Zürichputsch nennen. Da nun die Züricher die ersten waren, die geputscht, so blieb der Name für alle jene Bewegungen und bürgerte sich sogar in die weitere Sprache ein, wie Sonderbündelei, Freischärler und andere Ausdrücke, die alle aus dem politischen Laboratorium der Schweiz herrühren.

      Der Zürichputsch war aber eine religiöse Bewegung gewesen, da der müßige Fortschritt, eingedenk des Sprichwortes, daß Müßiggang aller Laster Anfang ist, etwas an der Religion machen wollte, wie die Bauern sich ausdrückten, und zwar auf dogmatischem Wege. Die Kirche läßt sich aber von unkirchlichen Leuten nicht schulmeistern und umgestalten, sondern nur ignorieren oder abschaffen, wenn die Mehrheit dafür da ist. Die Juristen waren sehr betrübt und entsetzt, zu sehen, daß die Religion dergestalt auf das Gemüt einwirken könne, daß selbst eine aufgeschriebene Verfassung damit zu brechen sei, und sie hielten über diesen Folgen ihrer müßigen Tat den Untergang der Welt nahe; die folgenden Putsche aber gewannen durch diesen Anfang ihr Losungswort, den Glauben, und infolgedessen fanden sich denn richtig die Jesuiten ein als die vollendeten Lückenbüßer der Geschichte und wurden von den der weiteren zweckmäßigen Ausgestaltung des Landes widerstrebenden Dialektikern und Schachspielern als handliche Schachfiguren benutzt, während sie wähnten, um ihrer selbst willen und aus eigener Kraft dazusein. Sie reichten gerade aus, durch ihr Wesen und ihre Bestimmung einen kräftigen und höchst produktiven Haß und Groll zu erregen, welcher auf dem Fest zu Basel dermaßen gewaltig rauschte, daß davon die Rede war, in corpore aufzubrechen und in den Festkleidern, den Festwein im Blute, hinzuziehen, um den Jesuiten das Loch zu verstopfen und ihre verrückte Theokratie zu zerstören.

      Dies blieb zwar nur eine Rede, doch wurde der Keim gelegt zu jener seltsamen Erscheinung der Freischarenzüge, wo seßhafte wohlgestellte Leute, die sämtlich in der Armee eingereiht waren, sich in bürgerliche Kleidung steckten, sich zusammentaten, durch fingierte Handstreiche unter den Augen ihrer Regierungen Stück und Wagen aneigneten und gut bewaffnet auszogen, um in eine benachbarte Souveränität einzubrechen und die dortige gleichgesinnte Minderheit mit Gewalt zur Mehrheit zu machen. Diese vermummten Zivilkrieger wollten für sich nichts, weder Beute noch Kriegsruhm, noch Beförderung holen, sondern zogen einzig für den reinen Gedanken aus; als sie daher allein an dem Flache der Ungesetzlichkeit und offenen Vertragsbrüchigkeit untergingen, trat der noch seltsamere Fall ein, daß sie sich nicht ihrer Tat zu schämen brauchten und doch eingestehen durften, es sei gut, daß sie nicht gelungen, indem ohne den tragischen Verlauf der Freischarenzüge der Sonderbund nicht jene energische Form gewonnen hätte, die den schließlichen Sieg der legalen und ruhigen Freisinnigen herausgefordert und ermöglicht hat. Dem wahrhaft freisinnigen Manne geziemt es, froh zu sein, wenn ihm das Ungehörige und Unüberlegte mißlungen, und er überläßt es den Despoten und wilden Bestien, einen blinden günstigen Zufall als Gnade Gottes und die Schärfe der Klauen als Recht auszukündigen.

      Indessen hinderte der Zorn die Schweizer in Basel nicht, im größten Maßstabe zu zechen, und Zorn und Freude schillerten so blitzend durcheinander wie der rote und weiße Wein, von welchem an dem bewegtesten Tage der Woche gegen neunzigtausend Flaschen getrunken wurden allein in der großen Hütte, während die leidenschaftlichen Tischreden von der Tribüne tönten. Als Heinrich, der drei Tage auf dem Platze blieb, diese Kraft und Fülle sah, schien ihm dies fast bedenklich; denn nach dem stillen und innerlichen Leben, das er in der letzten Zeit geführt, dröhnte ihm das gewaltige Getöse betäubend in das Gemüt; denn obgleich da durchaus kein wüstes oder kindisches Geschrei herrschte, sondern ein ausgedehntes Meer gehaltener Männerstimmen wogte, aus dem nur hie und da eine lautere Brandung oder ein fester feuriger Gesang aufstieg, so bildete doch diese handfeste Wirklichkeit und Rührigkeit einen grellen Gegensatz zu dem lautlosen entsagungsbereiten Liebesleiden Heinrichs von jüngst, aus dem nur etwa jener eintönige Starenruf heraustönte. Doch erinnerte er sich, daß dies eine alte Weise seiner Landsleute und nicht etwa ein Zeichen des Verfalles sei und daß die sogenannten alten frommen Schweizer, welche so andächtig niederknieten, ehe sie sich schlugen, mit ihren langen Bärten und schiefen Kerbhütchen zuweilen noch viel wilder tun, bankettieren und rumoren konnten als die jetzigen und daß also deswegen kein Verfall eingetreten und die Schweizer Schützen immer noch die seien, deren Vorfahren vor Jahrhunderten die Straßburger besucht, wenn diese schossen. Auch jetzt rollten ganze Bahnzüge voll Schweizer nach Straßburg hinunter; aber es gab dort keine freien reichsstädtischen Straßburger mehr, sondern nur französische Elsässer und französisches Militär.

      Heinrich versöhnte sich also mit dem Zechgetöse, und zwar ließ er dem Gewalthaufen der Trinker sein Recht der Majorität, ohne das Recht seiner Person aufzugeben und sich diesmal ganz ruhig und nüchtern zu erhalten, da ihm die neueste Vergangenheit mit Dortchen und die nächste Zukunft mit seiner Mutter alle Lust fernhielten, sich irgendwie hervortun und jubilieren zu wollen. Dagegen kaufte er sich in der Stadt ein gutes Geschoß und mischte sich unter die Schießenden, nicht um irgend sein Glück zu versuchen, sondern um zu sehen, ob er für seinen Handgebrauch und für den Notfall etwa im Ernste mitzugehen imstande wäre. Er hatte früher, ehe er in die Fremde gegangen, nur wenig geschossen bei zufälligen Gelegenheiten und bei dem Leichtsinn, mit welcher seine Jugend die Sache in die Hand nahm, nichts Sonderliches ausgerichtet. Jetzt erfuhr er, wie der Ernst des Lebens und die Zeit fähig machen, auch die einfachsten Dinge besonnen in die Hand Zu nehmen, und während des Tages, an welchem er fleißig schoß, erlangte er die Gewißheit, bei fortgesetzter Übung sich die Eigenschaft zu erwerben, nicht bloß ein Maulheld zu sein oder ein Bratenschütze, sondern in der Stunde der Gefahr etwa für seine Person, und was ihm teuer war, einzustehen.

      So wurde sein Heimweg gehemmt und aufgehalten, wie nur eine ängstliche Traumreise aufgehalten werden kann, und es war ihm fast gleich zu Mute wie in jenen Träumen, in denen er heimreiste, und fühlte sich beklommen, so daß er sich losreißen mußte, um nur endlich weiterzukommen. Da alle Posten und Fuhrwerke überfallt waren, ließ er bloß seine Sachen mit der Post gehen und machte sich an einem kristallhellen Morgen zu Fuß auf den Weg, um endlich der Vaterstadt zuzueilen von einer anderen Seite, als er sie vor sieben Jahren verlassen. Überall lag das Land im himmelblauen Duft, aus welchem der Silberschein der Gebirgszüge und der Seen und Ströme funkelte, und die Sonne spielte auf dem betauten Grün. Er sah die reichen Formen des Landes, in Ebenen und Gewässern ruhig und waagrecht, in den steilen Gebirgen gezackt und kühn, zu seinen Füßen fruchtreiche blühende Erde und in der Nähe des Himmels fabelhaftes Totenreich und wilde Wüste, alles dies abwechselnd und überall die Tal- und Wahlschaften bergend, die zu Füßen der fernen Gebirgsriesen wohnten oder fern hinter denselben. Er selbst schritt rüstig durch katholische und reformierte Gebietsteile, durch aufgeweckte und eigensinnig verdunkelte, und wie er sich so das ganze große Sieb von Verfassungen, Konfessionen, Parteien, Souveränetäten und Bürgerschaften dachte, durch welches die endliche sichere und klare Rechtsmehrheit gesiebt werden mußte, die zugleich die Mehrheit der Kraft, des Gemütes und des Geistes war, der fortzuleben fähig ist, da wandelte ihn die feurige Lust an, sich als der einzelne Mann, als der widerspiegelnde Teil vom Ganzen zu diesem Kampfe zu gesellen und mitten in demselben die letzte Hand an sich zu legen und sich mit regen Kräften zurechtzuschmieden zum tüchtigen und lebendigen Einzelmann, der mit ratet und mit tatet und rüstig darauf aus ist, das edle Wild der Mehrheit erjagen zu helfen, von der er selbst ein Teil ist und die ihm deswegen doch nicht teurer ist als die Minderheit, die er besiegt, weil diese von gleichem Fleisch und Blut ist hinwieder mit der Mehrheit.

      »Aber die Mehrheit«, rief er vor sich her, »ist die einzige wirkliche und notwendige Macht im Lande, so greifbar und fühlbar wie die körperliche Natur selbst, an die wir gefesselt sind. Sie ist der einzig untrügliche Halt, immer jung und immer gleich mächtig; daher gilt es, unvermerkt sie vernünftig und klar zu machen, wo sie es nicht ist.

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