Der Ursprung des Christentums. Karl Kautsky

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Der Ursprung des Christentums - Karl Kautsky

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      Ein christlicher Schriftsteller des ausgehenden Römerreichs, Salvianus, schrieb darüber in seinem Buche De gubernatione dei:

      „Ein großer Teil von Gallien und Spanien ist schon gotisch, und alle Römer, die dort leben, haben nur den einen Wunsch, nicht wieder römisch zu werden. Ich würde mich nur darüber wundern, daß nicht alle Armen und Bedürftigen überlaufen, wenn nicht der Grund wäre, daß sie ihre Habseligkeiten und Familien nicht im Stiche lassen können. Und wir Römer wundern uns, daß wir die Goten nicht überwinden können, wenn wir Römer es vorziehen, lieber unter ihnen als unter uns zu leben.“

      Die Völkerwanderung, die Überschwemmung des römischen Reiches durch die Schwärme roher Germanen bedeutete nicht die vorzeitige Zerstörung einer blühenden hohen Kultur, sondern nur den Abschluß des Verwesungsprozesses einer absterbenden Kultur und die Grundlegung zu einem neuen Kulturaufschwung, der dann freilich jahrhundertelang recht langsam und unsicher vor sich ging.

      In den vier Jahrhunderten von der Begründung der kaiserlichen Gewalt durch Augustus bis zur Völkerwanderung bildete sich das Christentum: in jener Zeit, die mit dem höchsten Glanzpunkt beginnt, den die antike Welt erreicht hat, mit der kolossalsten und berauschendsten Zusammenfassung von Reichtum und Macht in wenigen Händen; mit der massenhaftesten Ansammlung des größten Elends von Sklaven, verkommenden Bauern, Handwerkern und Lumpenproletariern; mit den schroffsten Klassengegensätzen und dem grimmigsten Klassenhaß – und die endet mit völliger Verarmung und Verzweiflung der ganzen Gesellschaft.

      Alles das hat dem Christentum seine Merkmale aufgedrückt und seine Spuren in ihm hinterlassen.

      Aber es trägt noch Spuren anderer Einflüsse, die aus dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben entsprangen, das auf dem Boden der eben geschilderten Produktionsweise erwuchs und das deren Wirkungen vielfach noch verstärkte.

      2. Das Staatswesen

       Inhaltsverzeichnis

      a. Staat und Handel

      Neben der Sklaverei bestanden noch zwei große Ausbeutungsmethoden in der antiken Gesellschaft, die ebenfalls zur Zeit der Entstehung des Christentums ihren Höhepunkt erreichten, die Klassengegensätze aufs höchste verschärften, um dann den Niedergang der Gesellschaft und des Staates immer mehr zu beschleunigen: der Wucher und die Plünderung der unterworfenen Provinzen durch die erobernde Zentralgewalt. Beide Methoden hängen mit dem Charakter des damaligen Staatswesens aufs innigste zusammen, das überhaupt mit der Ökonomie so verquickt ist, daß wir seiner schon bei der Erörterung der Grundlage von Staat und Gesellschaft, der Produktionsweise, mehrfach gedenken mußten.

      Vor allem müssen wir jetzt also den antiken Staat kurz kennzeichnen.

      Die Demokratie des Altertums ist über den Rahmen der Stadtgemeinde oder der Markgenossenschaft nicht hinausgekommen. Die Markgenossenschaft wurde von einem oder mehreren Dörfern gebildet, die gemeinsam ein Gebiet besaßen und verwalteten. Dies geschah auf dem Wege der direkten Gesetzgebung durch das Volk, durch die Versammlung sämtlicher stimmfähigen Markgenossen. Das setzte bereits voraus, daß die Gemeinde oder Genossenschaft nicht ausgedehnt war. Ihr Gebiet durfte gerade nur so groß sein, daß es für jeden Genossen möglich war, von seinem Hof aus die Volksversammlung ohne übermäßige Mühe und Schädigung zu erreichen. Eine demokratische Organisation über diesen Rahmen hinaus zu entwickeln, war dem Altertum unmöglich. Es fehlten ihm dazu die technischen und ökonomischen Vorbedingungen. Erst der moderne Kapitalismus mit dem Buchdruck und dem Postwesen, mit Zeitungen, Eisenbahnen, Telegraphen hat die modernen Nationen nicht als bloße Sprachgemeinschaften, wie die alten, sondern als feste politische und ökonomische Organismen geschaffen. Das vollzog sich im wesentlichen erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts. Nur England und Frankreich waren durch besondere Verhältnisse in der Lage, früher schon Nationen im modernen Sinne zu werden und einen nationalen Parlamentarismus, die Grundlage einer Demokratie in einem weiteren Rahmen als dem der Gemeinde, zu begründen. Aber auch da wurde dies nur möglich durch die Führung zweier großer Gemeinden, London und Paris, und noch 1848 war die nationale, demokratische Bewegung vorwiegend die Bewegung einzelner überragender Gemeinden – Paris, Wien, Berlin.

      Im Altertum mit seinem weit weniger entwickelten Verkehrswesen blieb die Demokratie auf den Rahmen der Gemeinde beschränkt. Wohl erreichte der Verkehr unter den Ländern am Mittelmeer schließlich, im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, eine ansehnliche Ausdehnung, so sehr, daß er dort zwei Sprachen zu internationaler Geltung brachte, das Griechische und das Lateinische. Aber das vollzog sich unglücklicherweise gerade zu der Zeit, wo die Demokratie und das politische Leben überhaupt ein Ende nahm – unglücklicherweise, aber nicht durch einen unglücklichen Zufall. Die Entwicklung des Verkehrs zwischen den Gemeinden war damals notwendigerweise an Bedingungen geknüpft, die auf die Demokratie tödlich wirkten.

      Es ist nicht unsere Aufgabe, das an den Ländern des Orients darzutun, wo die auf die Gemeinde beschränkte Demokratie zur Grundlage für eine besondere Art des Despotismus wurde. Wir wollen hier bloß den besonderen Entwicklungsgang der hellenischen lind römischen Welt betrachten, und zwar nur an einem Beispiel, dein der Gemeinde Rom. Dieses zeigt die Tendenzen des antiken Entwicklungsganges besonders drastisch, weil er hier rascher und riesenhafter vor sich geht, als bei jeder anderen der Stadtgemeinden in der antiken Welt. Aber bei allen wirkten die gleichen Tendenzen, wenn auch vielfach schüchterner und kleinlicher.

      Die Ausdehnung jeder Markgenossenschaft und Gemeinde hatte ihre engen Grenzen, über die sie nicht hinaus konnte, und die bewirkten, daß die verschiedenen Genossenschaften und Gemeinden einander ziemlich ebenbürtig blieben, solange die reine bäuerliche Wirtschaft herrschte. Es gab in diesem Stadium auch nicht viele Anlässe zu Eifersüchteleien und Kämpfen zwischen ihnen, da jede der Markgenossenschaften und Gemeinden im wesentlichen alles selbst produzierte, was sie brauchte. Höchstens mochte bei wachsender Bevölkerung Mangel an Boden eintreten. Aber die Zunahme der Bevölkerung konnte nicht zu einer Erweiterung der Markgenossenschaft führen. Diese durfte ja nicht so groß werden, daß nicht jeder Genosse die gesetzgebende Volksversammlung ohne übermäßige Mühe und Versäumnis für sich erreichen konnte. War wirklich aller kultivierbare Boden der Markgenossenschaft bebaut, dann machte sich die überschüssige kriegsfähige Jungmannschaft auf, um auszuwandern und eine eigene Markgenossenschaft zu gründen, entweder durch Vertreibung anderer, schwächerer Elemente, oder durch Niederlassung in Gegenden, in denen noch eine tiefere Produktionsweise herrschte und daher die Bevölkerung dünn war, es also noch Platz gab.

      So blieben die einzelnen Gemeinden oder Markgenossenschaften einander ziemlich ebenbürtig. Aber das änderte sich, wenn neben der bäuerlichen Wirtschaft der Handel aufkam.

      Wir haben schon gesehen, daß der Warenhandel sehr frühzeitig beginnt. Seine Anfänge reichen in die Steinzeit zurück. In Gegenden, wo manche sehr gesuchten Rohmaterialien leicht zu erlangen waren, die anderswo nur selten oder gar nicht vorkamen, lag es nahe, daß deren Bewohner mehr davon gewannen, als sie verbrauchten, auch in ihrer Gewinnung und Verarbeitung größere Geschicklichkeit erlangten. Die Überschüsse gaben sie dann gegen andere Produkte an ihre Nachbarn ab, die davon wieder manches weitergaben. Auf diesem Wege des Tauschhandels von Stamm zu Stamm konnten manche Produkte unglaublich weite Strecken zurücklegen. Die Vorbedingung dieses Handels war eine nomadische Lebensweise einzelner Horden, die bei ihrem Umherschweifen öfter aufeinander stießen und bei solchen Gelegenheiten ihre Überschüsse austauschten.

      Diese Gelegenheiten nahmen ein Ende, wenn die Menschen seßhaft wurden. Aber das Bedürfnis nach dem Warenaustausch hörte darum nicht auf. Namentlich das Bedürfnis nach Werkzeugen oder dem Material, aus dem sie fabriziert

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