Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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»Morgen reden wir darüber weiter; jetzt legen Sie sich jedenfalls hin!« fügte Rasumichin, der mit Sossimow zusammen wegging, ermahnend hinzu. »Morgen, so früh wie möglich, bin ich mit einem Rapport bei Ihnen.«
»Aber was ist diese Awdotja Romanowna für ein scharmantes Mädchen!« bemerkte Sossimow, sich die Lippen leckend, als sie beide auf die Straße traten.
»Scharmant? Du hast gesagt: scharmant!« brüllte Rasumichin, stürzte sich plötzlich auf Sossimow und packte ihn an der Gurgel. »Wenn du es noch ein einziges Mal wagst … Verstehst du mich? Verstehst du mich?« schrie er, schüttelte ihn am Kragen und drückte ihn gegen die Mauer. »Hast du gehört?«
»Laß mich los, du besoffener Kerl du!« rief Sossimow, sich wehrend. Dann, als der andre ihn losgelassen hatte, blickte er ihn prüfend an und brach auf einmal in schallendes Gelächter aus. Rasumichin stand mit schlaff herabhängenden Armen vor ihm, in ernstem, finsterem Sinnen.
»Natürlich, bin ich ein Esel«, sagte er finster wie eine Gewitterwolke, »aber du bist auch einer.«
»Aber nein, Bruder, ich ganz und gar nicht. Ich habe keine solchen dummen Gedanken im Kopfe.«
Sie gingen schweigend weiter, und erst als sie sich der Wohnung Raskolnikows näherten, unterbrach Rasumichin, von Sorge gequält, das Stillschweigen.
»Höre mal«, sagte er zu Sossimow, »du bist ja ein prächtiger Mensch; aber du bist, selbst abgesehen von deinen sonstigen häßlichen Eigenschaften, auch noch ein Liedrian, das weiß ich, und sogar einer von den allerschlimmsten. Du bist ein nervöser, schwächlicher Taugenichts, hast allerlei Kapricen, bist fett geworden und kannst dir nichts versagen; und das nenne ich schon unwürdig, denn es führt geradeswegs zur Unwürdigkeit. Du hast dich so verweichlicht, daß ich, offen gestanden, schlechterdings nicht begreife, wie du dabei doch ein guter und sogar aufopferungsfähiger Arzt sein kannst. Schläft in einem weichen Federbett (ein Hohn auf die ärztliche Wissenschaft!) und steht trotzdem in der Nacht auf, wenn er zu einem Kranken gerufen wird! Nach drei Jahren wirst du nicht mehr um eines Kranken willen aufstehen … Na, zum Kuckuck, das gehört ja alles nicht hierher, sondern ich wollte sagen: du schläfst heute in der Wohnung der Wirtin (ich habe meine liebe Not gehabt, sie zu überreden), und ich in der Küche; da habt ihr die beste Gelegenheit, miteinander näher bekannt zu werden! Ich meine nicht das, woran du denkst! Davon kann nicht im entferntesten die Rede sein …«
»Ich denke ja auch gar nicht daran.«
»Du wirst an ihr eine schamhafte, schweigsame, schüchterne Frauensperson von einer geradezu verstockten Keuschheit kennenlernen; und trotzdem, wenn ihr einer etwas vorseufzt, so zerschmilzt sie wie Wachs, ja, sie zerschmilzt ordentlich! Befreie mich von ihr, nimm sie mir ab, ich bitte dich um des Teufels willen! Sie ist ein ganz famoses Frauenzimmer! … Ich werde es dir vergelten, mit meinem letzten Blutstropfen!«
Sossimow lachte noch toller als vorher.
»Du bist ja ganz aufgeregt! Aber was soll ich denn mit ihr?«
»Ich versichere dir, du wirst nicht viel Umstände damit haben; du brauchst nur irgendeinen beliebigen Quatsch zu reden; du brauchst dich nur neben sie hinzusetzen und zu reden. Und außerdem bist du ja Arzt; da kannst du sie ja an einer beliebigen Krankheit behandeln. Ich schwöre dir, du wirst es nicht bereuen. Sie hat ein Klavier in ihrer Wohnung stehen; ich klimpere ja ein bißchen, wie du weißt; und nun habe ich da so ein kleines Lied, das ich spiele, ein echtes russisches Volkslied: ›Ich vergieße heiße Tränen‹ … Sie liebt solche echten Volkslieder – na also, mit dem Liede hat denn auch unser zartes Verhältnis begonnen; aber du bist ja nun gar ein Virtuose auf dem Klavier, ein wahrer Meister, ein zweiter Rubinstein … Ich versichere dir, du wirst es nicht bereuen!«
»Aber hast du ihr denn irgendwelche Versprechungen gemacht, wie? Hast du eine formelle Unterschrift gegeben? Hast du ihr etwa die Ehe versprochen?«
»Nichts, nichts, absolut nichts von der Art! Und sie ist überhaupt nicht so eine; da wollte sich dieser Tschebarow an sie heranmachen …«
»Na, dann laß sie doch laufen!«
»Ich kann sie nicht so einfach laufen lassen!«
»Warum denn nicht?«
»Na, es geht eben nicht; da ist nicht weiter darüber zu reden! Es liegt da eine Art von elementarer Anziehungskraft vor.«
»Warum hast du sie denn betört?«
»Ich habe sie überhaupt nicht betört; ich habe mich sogar eher selbst betören lassen, in meiner Dummheit; ihr aber wird es sicherlich ganz gleich sein, ob ich ihr Verehrer bin oder du, wenn nur jemand neben ihr sitzt und ihr etwas vorseufzt. Du brauchst nur … Ich weiß nicht recht, wie ich dir das klarmachen soll, … du brauchst nur … Na, ich weiß, du warst doch ein guter Mathematiker und beschäftigst dich noch jetzt damit, … na also, fang an, mit ihr die Integralrechnung durchzunehmen; wahrhaftig, ich mache keinen Scherz, ich rede im Ernst, ihr wird das sicherlich ganz gleich sein: sie wird dich ansehen und seufzen, und das wird ihr ein ganzes Jahr hindurch nicht langweilig werden. Ich habe ihr unter anderm sehr lange, mehrere Tage hintereinander, etwas von dem preußischen Herrenhause vorerzählt (denn worüber soll man mit ihr reden?) – sie seufzte nur und schwitzte! Nur von Liebe mußt du nicht sprechen (denn sie ist von einer krampfhaften Zimperlichkeit); aber du mußt so tun, als könntest du es gar nicht übers Herz bringen, fortzugehen – damit ist sie dann ganz zufrieden. Es ist alles bei ihr sehr hübsch eingerichtet; man fühlt sich da ganz wie zu Hause; du kannst da lesen, sitzen, liegen, schreiben … Du kannst sie sogar küssen – wenn du es einigermaßen vorsichtig anfängst …«
»Ja, aber was habe ich von ihr?«
»Ach, wie soll ich dir das nur auseinandersetzen? Sieh mal: ihr beide paßt ganz vortrefflich zueinander! Ich hatte auch schon vorher an dich gedacht … Du wirst dich ja schließlich doch einmal so versorgen! Also kann es dir ja ganz gleich sein, ob früher oder später. Hier findest du so schöne, weiche Federbetten, Bruder – ach! und nicht bloß Federbetten! Hier fühlt sich auch das Herz wohl; hier ist ein wahres Eden, ein ruhiger Ankerplatz, ein stilles Asyl, ein Inbegriff von Pfannkuchen, fetten Fischpasteten, abendlichem Teetrinken, stillen Seufzern und warmen Jacken, behaglichen Plätzen am geheizten Ofen – na, es ist einem, als ob man gestorben wäre und doch gleichzeitig noch lebte, die Vorzüge beider Zustände vereinigt! Na, Bruder, ich habe dir wohl schon zu lange etwas vorgeschwärmt; es ist Zeit zum Schlafengehen! Hör mal: ich pflege in der Nacht manchmal aufzuwachen; na, da will ich dann hingehen und nach ihm sehen. Aber es ist ja weiter nichts mit ihm; dummes Zeug; es ist ja alles gut. Du brauchst dich auch nicht besonders zu inkommodieren; aber wenn du willst, kannst du ja auch gelegentlich einmal nachsehen. Und solltest du etwas bemerken, Fieber zum Beispiel oder Hitze oder so etwas, dann wecke mich gleich. Indes, es ist ja nicht anzunehmen …«
II
Als Rasumichin am andern Tage zwischen sieben und acht Uhr erwachte, war er in recht ernster, sorgenvoller Stimmung. Eine Menge neuer, unvorhergesehener Bedenken drängte sich ihm jetzt am Morgen plötzlich auf. Er hätte früher nie gedacht, daß er jemals so aufwachen würde. Er erinnerte sich aller seiner gestrigen Erlebnisse bis auf die kleinsten Einzelheiten und war sich bewußt, daß mit ihm etwas Ungewöhnliches vorgegangen war, daß er einen ihm bisher völlig unbekannten Eindruck empfangen hatte, mit dem sich keiner der früheren vergleichen ließ. Gleichzeitig erkannte er mit voller Klarheit, daß an eine Verwirklichung des Zukunftstraumes, der in seinem Kopfe aufgezuckt war, nicht im entferntesten zu denken sei, so wenig zu denken sei, daß er sich dieses Traumes sogar schämte und