Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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Ich werde vielleicht die ganze Nacht nicht schlafen können … Dieser Sossimow fürchtete heute, Rodja könnte den Verstand verlieren. Darum darf man ihn nicht reizen …«

      »Was sagen Sie da!« rief die Mutter.

      »Hat der Arzt das wirklich so gesagt?« fragte Awdotja Romanowna erschrocken.

      »Gesagt hat er es; aber es ist nicht an dem, ganz und gar nicht. Er hat ihm auch so eine Medizin gegeben, ein Pulver; ich habe es selbst gesehen. Und nun sind Sie auf einmal gekommen … Ach … Sie hätten lieber erst morgen kommen sollen! Nur gut, daß wir weggegangen sind. In einer Stunde wird Ihnen Sossimow selbst über alles Rapport erstatten. Ja, der ist nie betrunken! Und ich werde mich auch nicht mehr betrinken … Und wie ist das gekommen, daß ich mich so beduselt habe? Das ist daher gekommen, weil sie mich in eine Debatte hineingezogen haben, die verdammten Kerle! Und ich hatte mir selbst ein eidliches Versprechen gegeben, nie mehr zu debattieren!

      … Aber was schwafelten die Menschen für einen Blödsinn zusammen! Am liebsten hätte ich auf sie losgeprügelt! Ich habe meinen Onkel dagelassen; der kann den Hausherrn spielen … Na, können Sie das glauben: sie verlangen, man solle sich seiner persönlichen Eigenheiten völlig entäußern, und darin finden sie ihr Ideal! Nur ja nicht man selbst sein, nur möglichst wenig individuell sein! Und das halten sie für das höchste Ziel fortschrittlicher Entwicklung. Und wenn ihr unsinniges Geschwätz wenigstens etwas Eigenes hätte; aber…«

      »Gestatten Sie …«, unterbrach ihn Pulcheria Alexandrowna schüchtern. Aber dadurch kam er nur noch mehr in Harnisch.

      »Ja, was meinen Sie denn?« schrie Rasumichin noch lauter. »Meinen Sie etwa, ich ereifere mich darüber, daß die Kerle Unsinn reden? Dummes Zeug! Ich habe das sogar ganz gern, wenn die Leute Unsinn reden! Das Unsinnreden ist das einzige Privilegium, das der Mensch vor allen übrigen organischen Wesen hat. Wer Unsinn redet, der gelangt zur Wahrheit! Daß ich Unsinn rede, das macht mich erst recht eigentlich zum Menschen. Zu keiner einzigen Wahrheit ist man gelangt, ohne daß man vorher vierzehnmal, vielleicht auch hundertvierzehnmal Unsinn geredet hätte, und das ist etwas sehr Achtbares, wenn es in individueller Weise geschieht; na, aber wir verstehen nicht einmal, mit unserm eigenen Verstande Unsinn zu reden. Rede Unsinn, aber tue es auf deine eigene Art, und ich gebe dir einen Kuß dafür. Auf seine eigne Art Unsinn zu reden, das ist sogar beinah besser, als nach allgemeinem Schema und nach fremdem Muster die Wahrheit zu reden; im ersten Falle ist man ein Mensch, im zweiten nur ein Papagei. Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen; wohl aber kann man durch jenen törichten Verzicht auf Individualität sich selbst das Leben verderben; dafür fehlt es nicht an Beispielen. Na, was sind wir denn jetzt? In bezug auf Wissenschaft, Fortschritt, Denken, Erfindungsgabe, Ideale, Bestrebungen, Liberalismus, Vernunft, Erfahrung und alles, alles, alles, alles, alles sitzen wir alle ohne Ausnahme gleichsam noch in der untersten Vorbereitungsklasse des Gymnasiums! Wir haben Gefallen daran gefunden, uns mit fremder Weisheit zu behelfen; wir haben uns daran gewöhnt! Ist es nicht so? Habe ich nicht recht?« rief Rasumichin, indem er die Hände der beiden Damen kräftig schüttelte und drückte. »Habe ich nicht recht?«

      »O mein Gott, ich weiß es nicht«, sagte die arme Pulcheria Alexandrowna.

      »Jawohl, jawohl, … obgleich ich nicht in allen Punkten mit Ihnen derselben Ansicht bin«, erwiderte Awdotja Romanowna ganz ernsthaft, stieß aber gleich darauf einen Schrei aus, so heftig hatte er diesmal ihre Hand zusammengepreßt.

      »Ja? Sie sagen ja? Nun, dann … dann … dann sind Sie …«, rief er ganz begeistert, »dann sind Sie ein Ideal von Seelengüte, Reinheit, Vernunft und … Vollkommenheit! Geben Sie mir Ihre Hand, ich bitte darum, … und geben auch Sie mir die Ihrige; ich möchte Ihnen die Hände küssen, hier, gleich jetzt, auf den Knien!«

      Mitten auf dem Trottoir, das zum Glück gerade menschenleer war, fiel er auf die Knie.

      »Aber lassen Sie das doch, ich bitte Sie, was tun Sie denn!« rief Pulcheria Alexandrowna ganz bestürzt.

      »Stehen Sie doch auf, stehen Sie doch auf!« sagte Awdotja Romanowna lachend, aber gleichfalls beunruhigt.

      »Um keinen Preis, ehe Sie mir nicht Ihre Hände gegeben haben! So, so ist es recht, und nun genug, nun stehe ich auf, und wir wollen weitergehen! Ich bin ein unglücklicher Tölpel, ich bin Ihrer unwürdig, und ich bin betrunken und schäme mich … Sie zu lieben, bin ich nicht würdig; aber vor Ihnen die Knie zu beugen, das ist die Pflicht eines jeden, der nicht geradezu ein Stück Vieh ist! Und darum habe ich vor Ihnen die Knie gebeugt … Da ist auch Ihr Hotel garni, und schon aus diesem Grunde allein war Rodja durchaus im Rechte, als er heute Ihren Pjotr Petrowitsch hinauswarf! Wie konnte der Mensch es wagen, Sie in einem solchen Hause unterzubringen! Das ist ja ein Skandal! Wissen Sie wohl, an was für Personen da Zimmer abgegeben werden? Und Sie sind doch seine Braut! Sie sind doch seine Braut, nicht wahr? Na, dann sage ich Ihnen also, daß Ihr Bräutigam, wenn er so handelt, ein Schuft ist!«

      »Erlauben Sie, Herr Rasumichin, Sie vergessen …«, begann Pulcheria Alexandrowna.

      »,Ja, ja, Sie haben ganz recht, ich habe mich vergessen, ich schäme mich!« rief Rasumichin, seine Übereilung erkennend. »Aber … aber … Sie können mir nicht böse deswegen sein, weil ich so rede! Denn ich rede so, weil ich es wirklich so meine, und nicht etwa, weil … hm, das wäre ja gemein; mit einem Worte: nicht etwa, weil ich in Sie … hm! … na, lassen wir das; ich darf nicht; ich will nicht sagen, warum; ich wage es nicht! … Aber wir hatten heute, als er zu Rodja kam, alle das Gefühl, daß dieser Mensch nicht in unsern Kreis paßt. Nicht weil er sich das Haar vom Friseur hatte kräuseln lassen, nicht weil er es so eilig hatte, seinen Verstand zur Schau zu stellen, sondern weil er ein Aushorcher und Spekulant ist, ein Gauner; und das liegt auf der Hand. Meinen Sie, daß er klug ist? Nein, ein Dummkopf ist er, ein Dummkopf! Na, ist das etwa ein Mann für Sie? Ach, du mein Gott! Sehen Sie, meine Damen« (er blieb plötzlich auf der Treppe zu dem Hotel garni, die sie schon hinaufgingen, stehen), »wenn die Leute da in meiner Wohnung auch alle betrunken sind, aber ehrenhaft sind sie alle; und wenn wir auch Unsinn reden (denn ich rede auch Unsinn), so werden wir durch unser Unsinnreden schließlich doch zur Wahrheit hindurchdringen, weil wir auf einem anständigen Wege gehen; aber Pjotr Petrowitsch … der geht nicht auf einem anständigen Wege. Und obwohl ich eben gehörig auf sie geschimpft habe, so habe ich doch vor ihnen allen Achtung; und sogar was diesen Sametow betrifft, Achtung habe ich allerdings nicht vor ihm, aber ich habe ihn ganz gern, denn er ist noch wie ein junger Hund! Sogar vor diesem Vieh, dem Sossimow, habe ich Achtung, weil er ein ehrenhafter Mensch ist und seine Sache versteht. Aber genug, nun habe ich mir alles vom Herzen gesprochen, und ich hoffe, Sie haben mir nichts übelgenommen. Haben Sie mir auch nichts übelgenommen? Wirklich nicht? Nun, dann kommen Sie! Ich kenne diesen Korridor; ich bin schon mal hier gewesen; hier in Nummer drei war eine arge Skandalgeschichte … Nun, wo ist Ihr Zimmer? Was haben Sie für eine Nummer? Acht? Na, dann schließen Sie nur für die Nacht zu, und lassen Sie niemand herein. In einer Viertelstunde komme ich wieder und bringe Bericht, und dann wieder nach einer halben Stunde komme ich mit Sossimow, Sie werden sehen! Nun adieu! Ich werde mich beeilen!«

      »Mein Gott, Dunjetschka, was wird aus all dem noch werden?« sagte Pulcheria Alexandrowna voll Angst und Unruhe zu ihrer Tochter.

      »Beruhigen Sie sich, liebe Mama«, antwortete Dunja, während sie Hut und Mantille ablegte. »Diesen Herrn hat uns Gott selbst gesandt, obwohl er geradeswegs von einer Zecherei kommt. Man kann sich auf ihn verlassen; das ist meine feste Überzeugung. Und was er alles schon für Rodja getan hat …«

      »Ach, Dunjetschka, Gott weiß, ob er wieder herkommen wird! Wie habe ich es nur fertigbringen können, Rodja allein zu lassen! … Daß ich ihn so wiederfinden würde, habe ich mir ja nicht träumen lassen! Wie finster er war, gerade als ob er sich über unsre Ankunft gar nicht freute …«

      Die Tränen kamen ihr in die Augen.

      »Nein, das ist nicht

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