Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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III
Die Hauptsache war, daß er bis zum letzten Augenblicke einen solchen Ausgang in keiner Weise erwartet hatte. Noch bis ganz zuletzt hatte er die Oberhand zu haben geglaubt und gar nicht an die Möglichkeit gedacht, daß sich zwei arme, schutzlose Frauen seiner Gewalt entziehen könnten. Zu dieser Überzeugung trugen seine Eitelkeit und jener hohe Grad von Selbstbewußtsein viel bei, den man am treffendsten als ein »Verliebtsein in sich selbst« bezeichnen kann. Pjotr Petrowitsch, der sich aus sehr niedriger Lebenslage hinaufgearbeitet hatte, hatte sich eine übermäßige Bewunderung seiner eigenen Person angewöhnt; er hegte eine sehr hohe Meinung von seinem Verstande und seinen Fähigkeiten und liebäugelte sogar manchmal, wenn er allein war, im Spiegel mit seinem Gesicht. Mehr aber als alles andre in der Welt liebte und schätzte er sein Geld, das er sich durch Arbeit und mancherlei andre Mittel erworben hatte; denn dieses Geld stellte ihn, wie er meinte, mit allen, die ihn geistig überragten, doch wieder auf gleiche Stufe.
Als er jetzt Dunja mit Bitterkeit daran erinnert hatte, daß er trotz des üblen Geredes über sie gewillt gewesen sei, sie zu heiraten, hatte Pjotr Petrowitsch vollkommen seiner Überzeugung gemäß gesprochen; er empfand sogar eine tiefe Entrüstung über einen solchen schwarzen Undank, wie er es bei sich nannte. Und doch war er schon damals, als er um Dunja anhielt, von der Sinnlosigkeit aller dieser Klatschereien völlig überzeugt gewesen; sie waren ja auch von Marfa Petrowna selbst in aller Öffentlichkeit als unwahr erklärt worden und wurden längst von niemand in der Stadt mehr aufrechterhalten, wo man vielmehr nun eifrig für Dunja Partei nahm. Auch hätte er selbst jetzt nicht in Abrede gestellt, daß er das alles schon damals gewußt hatte. Aber trotzdem rechnete er sich seinen Entschluß, Dunja zu sich heraufzuheben, hoch an und hielt ihn für eine große, edle Tat. Indem er dies soeben Dunja gegenüber ausgesprochen hatte, hatte er einen geheimen, gern gehegten Gedanken geäußert, an dem er selbst schon mehr als einmal seine Freude gehabt hatte, und er fand es unbegreiflich, daß andre seiner edlen Tat ihre Bewunderung versagten. Als er damals Raskolnikow seinen Besuch machte, war er mit dem Gefühle eines Wohltäters eingetreten, der sich anschickt, die Früchte seines Edelmutes zu ernten und süß mundende Lobeserhebungen zu hören. Und als er jetzt die Treppe hinunterstieg, hielt er sich natürlich für tief beleidigt und verkannt.
Dunja war ihm geradezu unentbehrlich; daß er auf sie verzichten sollte, war ihm ganz undenkbar. Schon lange, schon seit mehreren Jahren hatte er mit wonnigem Behagen von seiner künftigen Heirat geträumt, hatte aber immer noch mehr Geld dazugespart und gewartet. Mit Entzücken hatte er sich im geheimsten Winkel seines Innern das Bild eines Mädchens ausgemalt: wohlgesittet sollte sie sein und arm (arm unter allen Umständen), noch sehr jung, sehr hübsch, von guter Herkunft, gebildet, sehr schüchtern; sie müßte bereits sehr viel Not und Elend durchgemacht haben, sich völlig an ihn schmiegen, ihn ihr ganzes Leben lang als ihren Retter betrachten, voll Ehrfurcht zu ihm aufschauen, sich ihm unterordnen und ihn, einzig und allein ihn, bewundern. Wieviel hübsche Szenen, wieviel wonnige Idylle hatte ihm nicht über dieses interessante, lockende Thema seine Phantasie vor Augen geführt, wenn er sich in der Stille von seinen Geschäften erholte! Und siehe da, der Traum so vieler Jahre hatte sich beinahe schon verwirklicht: Awdotja Romanownas Schönheit und Bildung hatten ihn in staunende Bewunderung versetzt, ihre hilflose Lage ihn gewaltig gereizt. Hier hatte er noch erheblich mehr gefunden als das, wovon er bisher geschwärmt hatte: er hatte ein stolzes, charakterfestes, tugendhaftes Mädchen gefunden, das ihn an Bildung und geistiger Entwicklung überragte (das fühlte er), und solch ein Wesen sollte ihm nun das ganze Leben lang für seine edle Tat in Sklavenart dankbar sein und sich in tiefster Ehrfurcht vor ihm beugen, und er würde ihr unumschränkter, allgewaltiger Herr und Gebieter sein! … Und nun war damit auch noch sehr glücklich zusammengetroffen, daß er kurz vorher nach langem Überlegen und Zögern sich endlich definitiv entschlossen hatte, seine Laufbahn zu ändern und in einen weiteren Wirkungskreis einzutreten; dadurch hoffte er dann auch allmählich in eine höhere Gesellschaftsschicht einzudringen, was schon längst der Gegenstand seiner sehnsüchtigen Gedanken gewesen war … Kurz, er hatte sich entschlossen, es mit dem Leben in Petersburg zu versuchen. Er wußte, daß sich durch Frauen sehr viel erreichen läßt. Der von einer reizenden, tugendhaften, gebildeten Frau ausgehende Zauber konnte ihm seine Karriere erstaunlich erleichtern, einflußreiche Leute an ihn heranziehen, ihm einen Glorienschein verleihen. Und nun waren alle diese Hoffnungen vernichtet! Diese plötzliche, ungeheuerliche Auflösung der Verlobung wirkte auf ihn wie ein Blitzstrahl. Aber das war doch nur ein schändlicher Scherz, ein Unsinn! Er hatte ihnen ja nur ein bißchen imponieren wollen, war nicht einmal dazu gekommen, sich ordentlich auszusprechen; er hatte einfach nur ein wenig gespaßt, sich etwas gehenlassen, und nun hatte die Sache ein so ernstes Ende genommen! Und schließlich, er liebte ja Dunja sogar schon auf seine Weise, er herrschte über sie bereits in seinen Zukunftsträumen – und nun plötzlich …! Nein! Morgen, gleich morgen mußte alles wieder in Ordnung gebracht, ausgeglichen, repariert werden; vor allen Dingen aber mußte dieser arrogante Milchbart, der an allem schuld war, aus dem Wege geräumt werden. Mit einer unbehaglichen Empfindung erinnerte er sich unwillkürlich auch an Rasumichin, … indessen in dieser Hinsicht beruhigte er sich bald wieder: das wäre ja noch besser, wenn auch der mit ihm auf gleiche Stufe gestellt würde! Vor wem er sich aber wirklich im Ernste fürchtete, das war Swidrigailow … Kurz, es standen ihm mancherlei unangenehme Dinge, viele Scherereien bevor …
»Nein, ich bin am meisten schuld!« sagte Dunjetschka und umarmte und küßte ihre Mutter. »Ich habe mich von seinem Gelde verlocken lassen; aber ich schwöre dir, Bruder, ich habe keine Ahnung davon gehabt, daß er ein so unwürdiger Mensch ist. Hätte ich ihn früher durchschaut, so hätte ich mich durch nichts verlocken lassen! Urteile nicht zu streng über mich, Bruder!«
»Gott hat uns gerettet! Gott hat uns gerettet!« murmelte Pulcheria Alexandrowna; aber sie war noch ganz benommen und schien sich über alles Vorgefallene noch nicht recht klargeworden zu sein.
Alle freuten sich, und fünf Minuten darauf lachten sie sogar. Nur wurde Dunja mitunter blaß und zog die Brauen zusammen, wenn sie sich des Geschehenen erinnerte. Pulcheria Alexandrowna hätte vorher nie gedacht, daß auch sie selbst sich darüber freuen würde: noch am Vormittag war ihr ein Bruch mit Lushin als ein furchtbares Unglück erschienen. Rasumichin aber war geradezu entzückt. Er wagte noch nicht, seine Glückseligkeit in vollem Umfange zu zeigen; aber er zitterte am ganzen Leibe wie im Fieber, als wäre ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen gefallen. Jetzt hatte er, seiner Anschauung nach, das Recht, ihnen sein ganzes Leben zu weihen, ihnen zu dienen … Und was konnte sich jetzt nicht sonst noch alles begeben! Jedoch verscheuchte er ängstlich alle weitergehenden Gedanken und fürchtete sich vor seiner eigenen Phantasie. Nur Raskolnikow saß immer noch auf demselben Platze, mit beinahe düsterem und sogar zerstreutem Gesichtsausdrucke. Er, der am allermeisten auf Lushins Entfernung bestanden hatte, schien sich jetzt weniger als alle andern für das Vorgefallene zu interessieren. Dunja kam unwillkürlich auf den Gedanken, daß er ihr vielleicht immer noch sehr böse sei, und Pulcheria Alexandrowna betrachtete ihn mit heimlicher Angst.
»Was hat dir denn Swidrigailow gesagt?« fragte Dunja, zu ihm tretend.
»Ach ja, ja!« rief Pulcheria Alexandrowna.
Raskolnikow hob den Kopf.
»Er will dir durchaus zehntausend Rubel schenken und spricht dabei den Wunsch aus, mit dir einmal in meiner Gegenwart zusammenzukommen.«
»Mit ihr zusammenzukommen! Um keinen Preis!« rief Pulcheria Alexandrowna. »Und wie kann er es wagen, ihr Geld anzubieten!«
Darauf berichtete Raskolnikow in recht trockener Art über sein Gespräch mit Swidrigailow, erwähnte aber nichts davon, daß Marfa Petrowna diesem als Geist erschienen sei, um nicht in ein unnötiges Gesprächsthema hineinzugeraten; denn er empfand einen Widerwillen dagegen, irgendein Gespräch zu führen, das nicht durchaus notwendig war.
»Was hast du ihm geantwortet?« fragte Dunja.
»Zuerst habe ich gesagt, ich würde