Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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ein Kanarienvogel oder ein andres kleines Vögelchen böse wird. »Was soll sie denn anfangen? Nun, was soll sie anfangen?« fragte sie eifrig und hitzig. »Und wieviel, wieviel hat sie heute geweint! Der Verstand ist bei ihr gestört; haben Sie das nicht bemerkt? Er ist wirklich gestört; bald regt sie sich wie ein kleines Kind darüber auf, ob auch morgen bei dem Gedächtnismahl alles anständig sein wird, daß nur ja ein Imbiß da sei und das andre alles, … bald wieder ringt sie die Hände, spuckt Blut, weint und fängt auf einmal verzweifelt an, mit dem Kopfe gegen die Wand zu schlagen. Dann beruhigt sie sich wieder; sie setzt ihre ganze Hoffnung auf Sie: sie sagt, Sie seien jetzt ihr Helfer, und sie werde sich irgendwo ein bißchen Geld leihen und nach ihrer Heimatstadt reisen, und mich werde sie auch mitnehmen; und dort wolle sie ein vornehmes Mädchenpensionat errichten und mir dabei eine Stelle als Inspektorin geben, und dann werde für uns ein ganz neues, schönes Leben beginnen; und sie küßt mich, umarmt mich und tröstet mich und glaubt an diese Hirngespinste, glaubt fest daran! Nun, kann man ihr da wohl widersprechen? Und dabei hat sie heute den ganzen Tag gescheuert, gewaschen und geflickt; das Waschfaß hat sie selbst mit ihren schwachen Kräften ins Zimmer geschleppt; dabei ging ihr der Atem aus, und sie ist auf das Bett hingefallen. Und heute vormittag bin ich mit ihr zusammen in einen Laden, gegangen, um für Polenjka und Lida Schuhe zu kaufen, weil ihre alten vollständig zerrissen sind; aber als wir nun bezahlen sollten, hatten wir nicht genug Geld; es fehlte eine ziemliche Menge. Und sie hatte so hübsche kleine Stiefelchen ausgesucht; denn sie besitzt einen guten Geschmack; Sie kennen sie nur nicht … Und da fing sie im Laden so an zu schluchzen, in Gegenwart des Kaufmanns und seiner Leute, darüber, daß das Geld nicht reichte … Ach, es tat mir so leid, das mit anzusehen!«

      »Unter solchen Umständen ist es schon zu verstehen, daß Sie … so leben«, sagte Raskolnikow mit bitterem Lächeln.

      »Und tut sie Ihnen denn nicht auch leid?« ereiferte sich Sonja wieder. »Ich weiß doch, daß Sie selbst ihr das letzte Geld, das Sie hatten, hingegeben haben, und Sie hatten eigentlich noch nichts von dem Elend gesehen. Und wenn Sie erst alles sähen, o Gott! Und wie oft, wie oft bin ich daran schuld gewesen, daß sie weinte! Noch in der vorigen Woche! Ach, ich Schändliche! Nur eine Woche vor seinem Tode! Ich habe hartherzig gehandelt. Und wie oft, wie oft habe ich das getan! Ach, ich habe heute den ganzen Tag daran gedacht, und es ist mir so schmerzlich gewesen!«

      Bei diesen Worten rang Sonja, durch die Erinnerung schmerzlich ergriffen, die Hände.

      »Sie behaupten, Sie seien hartherzig gewesen?«

      »Ja, das bin ich gewesen! Ich war damals zu ihnen hingekommen«, fuhr sie weinend fort, »und da sagte der Verstorbene zu mir: ›Lies mir etwas vor, Sonja, ich habe Kopfschmerzen; lies mir etwas vor, … da ist ein Buch‹; er hatte da irgendein Buch, das hatte er von Andrej Semjonowitsch Lebesjatnikow bekommen; der wohnt auch dort; von dem bekam er immer solche seltsamen Bücher. Und ich sagte: ›Ich habe keine Zeit, ich muß weggehen‹, und wollte ihm nicht vorlesen. Und ich war auch hauptsächlich nur deshalb zu ihnen gegangen, um Katerina Iwanowna meine Kragen zu zeigen; nämlich eine Althändlerin, Lisaweta, hatte mir Kragen und Manschetten besorgt, die waren recht billig, sehr hübsch, ganz neu, mit einem netten Muster. Und sie gefielen Katerina Iwanowna sehr; sie knöpfte sich einen Kragen um und legte ein Paar Manschetten an und besah sich im Spiegel; sie gefielen ihr sehr; ganz außerordentlich gefielen sie ihr. ›Schenk sie mir, Sonja‹, sagte sie, ›bitte, sei so gut!‹ Sie sagte ›bitte!‹ und hätte sie so sehr gern gehabt. Aber sie hat ja jetzt gar keine Verwendung für solche Wäsche; es schwebte ihr wohl nur die frühere, glückliche Zeit vor. Sie betrachtete sich im Spiegel und fand sich so schön damit, und sie hat doch nichts, was dazugehört, nichts, einfach gar nichts an Kleidern und sonstigen Sachen; und schon seit vielen Jahren nicht! Aber sie bittet nie jemand um etwas; sie ist stolz und gibt lieber selbst das Letzte weg. Und nun hatte sie mich doch gebeten – so hatten ihr die Kragen und die Manschetten gefallen! Aber mir tat es leid, sie wegzugeben, und ich sagte: ›Wozu können Sie sie denn gebrauchen, Katerina Iwanowna?‹ So habe ich gesagt: ›Wozu können Sie sie gebrauchen?‹ Das hätte ich nicht zu ihr sagen sollen! Sie sah mich so traurig an, und es war ihr so schmerzlich, daß ich es ihr abgeschlagen hatte, und es tat mir so leid, das zu sehen … Und nicht wegen der Kragen und Manschetten war sie traurig, sondern darüber, daß ich ihr etwas abgeschlagen hatte; das sah ich recht wohl. Ach, wie gern möchte ich jetzt das alles ungeschehen machen und alle meine früheren Worte zurücknehmen! … Wie schändlich bin ich gewesen! … Aber wozu sage ich Ihnen das? Das hat ja für Sie kein Interesse!«

      »Also diese Althändlerin Lisaweta haben Sie gekannt?«

      »Ja … Haben Sie sie etwa auch gekannt?« fragte Sonja etwas verwundert.

      »Katerina Iwanowna hat die Schwindsucht, im letzten Stadium; sie wird bald sterben«, sagte Raskolnikow nach kurzem Schweigen, ohne auf Sonjas Frage zu antworten.

      »Ach nein, nein, nein!«

      Und Sonja ergriff unwillkürlich und unbewußt seine beiden Hände, als wollte sie ihn anflehen, dies abzuwenden.

      »Aber es ist ja sogar das beste, wenn sie stirbt.«

      »Nein, das ist nicht das beste, nicht das beste, durchaus nicht das beste!« rief sie angstvoll und heftig.

      »Und was wird dann aus den Kindern? Wo werden Sie die unterbringen? Sie werden sie doch wohl zu sich nehmen?«

      »Ach, ich weiß es nicht!« rief Sonja verzweifelt und griff nach ihrem Kopfe.

      Es war augenscheinlich, daß sie selbst sich schon oft, schon sehr oft diesen Gedanken hatte durch den Kopf gehen lassen und Raskolnikow ihn nur von neuem wachgerufen hatte.

      »Nun, und wenn Sie jetzt, noch bei Katerina Iwanownas Lebzeiten; krank werden und man Sie ins Krankenhaus bringt, was wird dann aus den andern?« fragte er mit erbarmungsloser Hartnäckigkeit weiter.

      »Ach, sagen Sie doch so etwas nicht! Sagen Sie doch so etwas nicht! Das kann doch nicht geschehen!« Sonjas Gesicht verzerrte sich in furchtbarer Angst.

      »Warum soll das nicht geschehen können?« fuhr Raskolnikow mit grausamem Lächeln fort. »Sind Sie dagegen irgendwie versichert? Also, was wird dann aus den andern werden? Sie werden alle zusammen auf die Straße gehen; die Mutter wird husten und betteln und mit dem Kopfe gegen eine Wand schlagen, wie heute, und die Kinder werden weinen … Und dann wird sie hinfallen und nach der Polizeiwache gebracht werden und von da ins Krankenhaus, und dann wird sie sterben, und die Kinder …«

      »Ach nein! Das wird Gott nicht zulassen!« rang es sich wie ein Angstschrei aus Sonjas gequälter Brust. Während sie seine Worte anhörte, hatte sie ihn flehend angeblickt und in stummer Bitte die Hände gefaltet, als ob alles von ihm abhinge.

      Raskolnikow stand auf und begann im Zimmer hin und her zu gehen. Sonja stand in tiefem Gram da, mit gesenktem Kopfe und schlaff herabhängenden Armen.

      »Können Sie nicht etwas sparen? Etwas zurücklegen für die Zeit der Not?« fragte er, indem er plötzlich vor ihr stehenblieb.

      »Nein«, flüsterte Sonja.

      »Selbstverständlich sagen Sie nein! Aber haben Sie es auch versucht?« fügte er beinahe spöttisch hinzu.

      »Ja, ich habe es versucht.«

      »Aber es ging nicht! Nun ja, natürlich! Wozu frage ich da erst!«

      Er setzte seine Wanderung im Zimmer fort. Es verging wieder etwa eine Minute.

      »Sie nehmen nicht täglich etwas ein?«

      Sonja wurde noch befangener als vorher, und die Röte stieg ihr wieder ins Gesicht.

      »Nein«, flüsterte sie mit

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