Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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Und irgendeinmal, später, nach Jahren, im Laufe der Zeit, wirst du vielleicht auch verstehen, was sie bedeuteten. Sollte ich aber morgen zu dir kommen, so will ich dir sagen, wer Lisaweta getötet hat. Leb wohl!«

      Sonja fuhr in jähem Schreck zusammen.

      »Wissen Sie denn, wer sie getötet hat?« fragte sie ihn; sie war ganz starr vor Entsetzen und sah ihn verstört an.

      »Ja, ich weiß es und werde es dir sagen … Dir, nur dir. Ich habe dich dazu erwählt. Ich werde nicht kommen, um dich um Verzeihung zu bitten, sondern ich werde es dir einfach sagen. Ich habe dich schon lange dazu erwählt, dir dies zu sagen; schon damals, als dein Vater mir von dir erzählte und als Lisaweta noch lebte, nahm ich es mir vor. Lebe wohl! Gib mir nicht die Hand! Auf morgen!«

      Er ging hinaus. Sonja starrte den Hinausgehenden an wie einen Irrsinnigen; aber auch sie selbst war wie wahnsinnig und war sich dessen bewußt. Der Kopf schwindelte ihr. ›O Gott! Wie kann er wissen, wer Lisaweta getötet hat? Was haben diese Worte zu bedeuten? Es ist entsetzlich!‹

      Aber auf den wahren Sinn kam sie nicht, mit keinem Gedanken. Oh, er mußte furchtbar unglücklich sein! … Von seiner Mutter und von seiner Schwester hatte er sich losgesagt. Warum? Was war vorgefallen? Und was hatte er nur vor? Was hatte er ihr doch noch gesagt? Er hatte ihr den Fuß geküßt und gesagt … gesagt … ja, ganz deutlich hatte er gesagt, er könne ohne sie nicht mehr leben … O Gott!

      In Fieber und wirren Gedanken brachte Sonja die ganze Nacht zu. Von Zeit zu Zeit sprang sie auf, weinte und rang die Hände; dann versank sie wieder in fieberhaften Schlaf; sie träumte von Polenjka, von Katerina Iwanowna, von Lisaweta, vom Vorlesen aus dem Evangelium und von ihm, … von ihm mit dem bleichen Gesicht, mit den glühenden Augen, … und wie er ihr die Füße küßt und weint … O Gott!

      Auf der andern Seite der Tür in der Wand rechts, eben der Tür, welche Sonjas Zimmer von der Wohnung der Frau Gertruda Karlowna Rößlich trennte, befand sich ein schon geraume Zeit leerstehendes Zimmer, das zu Frau Rößlichs Wohnung gehörte und zu vermieten war, wie das ein Papptäfelchen am Haustor und ein Zettel an einer Scheibe des nach dem Kanal hinausgehenden Fensters besagte. Sonja hatte sich schon seit langer Zeit daran gewöhnt, dieses Zimmer für unbewohnt zu halten. Indessen hatte während dieses ganzen Gespräches Herr Swidrigailow in dem leeren Zimmer an der Tür gestanden und heimlich zugehört. Als Raskolnikow sich entfernt hatte, blieb Herr Swidrigailow noch einen Augenblick überlegend stehen, dann ging er auf den Zehen in sein Zimmer, das neben dem leeren lag, holte von dort einen Stuhl und stellte ihn leise dicht an die Tür, die zu Sonjas Zimmer führte. Das Gespräch war ihm merkwürdig und interessant erschienen und hatte ihm ganz außerordentlich gefallen, so sehr, daß er sich sogar einen Stuhl hinstellte, um künftig, möglicherweise schon morgen, nicht wieder die Unbequemlichkeit zu haben, eine ganze Stunde lang stehen zu müssen; er wollte sich die Sache bequemer einrichten, um das Vergnügen ungestört auskosten zu können.

      V

      Als Raskolnikow am andern Morgen pünktlich um elf Uhr in dem Polizeigebäude des …schen Bezirks in die Räume des Untersuchungskommissars eingetreten war und sich bei Porfirij Petrowitsch hatte melden lassen, wunderte er sich, wie lange er warten mußte: es dauerte mindestens zehn Minuten, bis er gerufen wurde. Und er hatte geglaubt, man würde, sowie er nur käme, unverzüglich über ihn herfallen. Aber er stand im Wartezimmer, und es kamen und gingen Leute an ihm vorüber, denen er allem Anschein nach völlig gleichgültig war. Im folgenden Zimmer, das den Eindruck einer Kanzlei machte, saßen einige Schreiber bei ihrer Arbeit, und es war augenscheinlich, daß keiner von ihnen auch nur eine Ahnung hatte, wer und was Raskolnikow sei. Mit unruhigem, argwöhnischem Blicke schaute er sich um, um sich zu vergewissern, ob nicht ein Polizist in seiner Nähe sei, ein geheimer Wächter, der den Auftrag habe, auf ihn aufzupassen, damit er nicht davonginge. Aber er konnte nichts dergleichen entdecken: er sah nur die Kanzlisten mit ihrem kleinlichen Tun und Treiben und sonst noch einige Leute; aber niemand kümmerte sich um ihn; er hätte ohne weiteres auf und davon gehen können. Immer mehr festigte sich in ihm der Gedanke, daß, wenn dieser rätselhafte Mensch von gestern, dieses aus der Erde aufgetauchte Gespenst, wirklich alles gesehen und gewußt hätte, man ihn, Raskolnikow, hier gewiß nicht so ruhig stehen und warten lassen würde. Und sicherlich hätte man heute nicht so lange gewartet, bis es ihm selbst belieben würde herzukommen. Es ergab sich also als Resultat: entweder hatte dieser Mensch noch keine Anzeige erstattet, oder … oder … auch er wußte einfach nichts und hatte nichts mit eigenen Augen gesehen (und wie war es denn auch möglich, daß er etwas gesehen hätte?), und folglich war dieses ganze Erlebnis, das er, Raskolnikow, gestern gehabt hatte, in der Hauptsache wieder nur ein Wahngebilde, welches seine überreizte, kranke Phantasie erzeugt hatte. Der Gedanke, daß die Sache so zu erklären sei, hatte sogar schon gestern während der ärgsten Beunruhigung und Verzweiflung angefangen, sich in ihm festzusetzen. Während er alles dies jetzt nochmals durchdachte und sich zu einem neuen Kampf erlistete, fühlte er auf einmal, daß er zitterte – und eine heiße Empörung wallte in ihm auf bei dem Gedanken, daß er wohl gar aus Furcht vor dem verhaßten Porfirij Petrowitsch zittere. Das Schrecklichste, was ihm begegnen konnte, war für ihn, nochmals mit diesem Menschen zusammenzukommen; er haßte ihn maßlos, grenzenlos und fürchtete sogar, sein Haß könnte schuld daran werden, daß er sich eine Blöße gäbe. Und so heftig war seine Empörung, daß sie dem Zittern sofort ein Ende machte; er machte sich bereit, mit kalter, dreister Miene einzutreten, und nahm sich fest vor, nach Möglichkeit zu schweigen, zu beobachten und zuzuhören und wenigstens diesmal um jeden Preis seine krankhafte Reizbarkeit zu überwinden. In diesem Augenblicke wurde er zu Porfirij Petrowitsch hereingerufen.

      Er fand Porfirij Petrowitsch in seinem Arbeitszimmer allein. Das Zimmer war von mittlerer Größe; es standen darin: ein großer Schreibtisch, ein mit Wachstuch bezogenes Sofa mit einem Tisch davor, ein Eckschrank und einige Stühle, lauter fiskalische Möbel aus gelbem, poliertem Holze. In der Hinterwand, die nur von einem Bretterverschlag gebildet wurde, befand sich nach der einen Ecke zu eine geschlossene Tür; also mußten noch andre Zimmer dahinter liegen. Nach Raskolnikows Eintritt schloß Porfirij Petrowitsch sofort die Tür, durch die dieser hereingekommen war, so daß sie allein waren. Er bewillkommnete den Besucher anscheinend in heiterster Stimmung und mit freundlichster Miene, und erst einige Minuten darauf glaubte Raskolnikow an gewissen Anzeichen eine Art von Verlegenheit bei ihm zu bemerken, als sei ihm etwas in die Quere gekommen oder als sei er bei irgendwelcher Heimlichkeit ertappt worden.

      »Ah, Verehrtester, da sind Sie ja auch … in unserm Reiche …«, begann Porfirij und streckte ihm beide Hände entgegen. »Nun, setzen Sie sich, Väterchen! Oder vielleicht mögen Sie es nicht gern, daß man Sie … so tout court … Verehrtester und Väterchen nennt? Halten Sie es bitte nicht für Zudringlichkeit! Bitte hierher, auf das Sofa!«

      Raskolnikow setzte sich, ohne die Augen von ihm abzuwenden.

      »In unserm Reiche«, die Entschuldigung wegen der familiären Anrede, die französische Phrase tout court und andres mehr, das waren alles charakteristische Anzeichen. ›Er hat mir zwar beide Hände entgegengestreckt, mir aber keine Hand gereicht, sondern sie noch rechtzeitig zurückgezogen‹, fuhr es ihm argwöhnisch durch den Kopf. Beide beobachteten sich wechselseitig; aber sobald sich ihre Blicke begegneten, wandten sie sie beide blitzschnell voneinander ab.

      »Ich bringe Ihnen hier die Eingabe wegen der Uhr, … hier, bitte. Ist es richtig, wie ich sie aufgesetzt habe, oder soll ich sie noch einmal umschreiben?«

      »Was? Ach, die Eingabe! Nein, es ist alles in Ordnung, alles in Ordnung, seien Sie unbesorgt, alles ganz wunderschön!« erwiderte Porfirij Petrowitsch hastig, als müßte er schnell weg, und nahm erst nach diesen Worten das Schriftstück in die Hand und sah es durch. »Ja, es ist wunderschön; weiter ist nichts erforderlich«, bestätigte er nochmals mit der gleichen Zungenfertigkeit und legte das Schreiben auf den Sofatisch.

      Eine Minute später, als er bereits von etwas anderem sprach, nahm er es wieder vom Sofatische weg und trug es nach dem

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