Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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mit dieser ermordeten Frau?« begann Raskolnikow.

      ›Warum habe ich nur dieses »ja wohl« eingeschaltet?‹ durchzuckte es ihn. ›Na, warum beunruhige ich mich so darüber, daß ich dieses »ja wohl« eingeschaltet habe?‹ folgte ein zweiter Gedanke blitzschnell nach.

      Und plötzlich kam es ihm zum Bewußtsein, daß seine Zweifelsucht infolge des bloßen Zusammenseins mit Porfirij, infolge einiger weniger Worte, einiger weniger Blicke bereits in einem Augenblicke zu ungeheuerlichen Dimensionen herangewachsen sei … und daß es enorm gefährlich sei, wenn in solcher Art die Reizbarkeit der Nerven zunehme und die Aufregung steige. ›Schlimm! Schlimm! … Die Zunge wird mir wieder durchgehen!‹

      »Ja, ja, ja! Seien Sie unbesorgt! Die Sache hat ja Zeit, viel Zeit«, murmelte Porfirij Petrowitsch; er ging, anscheinend zwecklos, neben dem Sofatische hin und her; dann wieder lief er zum Fenster, dann zum Schreibtisch, dann wieder zum Sofatisch; bald wich er Raskolnikows argwöhnischem Blicke aus, bald blieb er auf einem Fleck stehen und starrte ihm gerade ins Gesicht.

      Ganz wunderlich nahm sich dabei seine kleine, dicke, runde Figur aus, wie ein großer Gummiball, der bald nach dieser, bald nach jener Seite hinrollt und immer gleich wieder von allen Wänden und Ecken zurückprallt.

      »Das hat ja noch Zeit, das hat ja noch Zeit! … Rauchen Sie? Haben Sie bei sich? Bitte, da ist eine Zigarette!« fuhr er fort, indem er seinem Gaste eine Zigarette reichte. »Wissen Sie, ich empfange Sie hier; meine Wohnung liegt da auf der andern Seite der dünnen Wand, … eine Dienstwohnung; aber ich benutze jetzt einstweilen eine Privatwohnung. Es waren hier ein paar Reparaturen nötig. Jetzt ist alles fast in Ordnung. Eine Dienstwohnung, wissen Sie, das ist doch eine prächtige Sache, nicht wahr? Meinen Sie nicht auch?«

      »Ja, das ist eine prächtige Sache«, erwiderte Raskolnikow und blickte ihn beinahe spöttisch an.

      »Eine prächtige Sache, eine prächtige Sache«, sagte Porfirij Petrowitsch mehrmals hintereinander, als ob er auf einmal an etwas ganz anderes dächte. »Ja, eine prächtige Sache!« rief er zuletzt sehr laut, richtete plötzlich seine Blicke auf Raskolnikow und blieb zwei Schritte von ihm entfernt stehen.

      Diese mehrmalige törichte Wiederholung, daß eine Dienstwohnung eine prächtige Sache sei, bildete in ihrer Plattheit einen schroffen Widerspruch zu dem ernsten, nachdenklichen, rätselhaften Blicke, den er jetzt auf dem Besucher ruhen ließ.

      Dadurch wurde Raskolnikows Wut noch mehr ins Kochen gebracht, und er konnte eine spöttische und recht unvorsichtige Herausforderung nicht mehr zurückhalten:

      »Wissen Sie was?« fragte er, indem er ihn dreist anblickte und einen wahren Genuß von seiner Dreistigkeit hatte. »Es gibt ja doch wohl bei der Justiz für alle möglichen Untersuchungsbeamten eine Regel, einen Kniff: zuerst weit auszuholen, mit Kleinigkeiten anzufangen oder auch mit etwas Ernsthaftem, aber völlig Fremdartigem, um den, der verhört werden soll, sozusagen zu ermutigen oder, richtiger ausgedrückt, zu zerstreuen und seine Vorsicht einzuschläfern, und ihn dann auf einmal, wenn er es am wenigsten erwartet, durch eine verhängnisvolle, gefährliche Frage, wie durch einen Knüttelschlag gerade auf den Scheitel, zu betäuben; nicht wahr? Das wird ja wohl in allen Leitfäden und Anweisungen bis auf den heutigen Tag als eine besondere Weisheit eingeschärft?«

      »Ganz richtig, ganz richtig … Also Sie meinen, ich hätte Sie durch das von der Dienstwohnung … hm … ja?« Nach diesen Worten kniff Porfirij Petrowitsch die Augen zusammen und zwinkerte ihm zu; ein vergnügter, schlauer Ausdruck huschte über sein Gesicht; die Falten auf seiner Stirn glätteten sich; die Äuglein wurden ganz klein; das ganze Gesicht zog sich in die Breite; und plötzlich brach er in ein nervöses, lange anhaltendes Lachen aus, wobei er den ganzen Körper hin und her wiegte und schwankte, seinem Besucher aber gerade in die Augen blickte. Dieser begann, sich etwas Zwang antuend, selbst zu lachen. Aber als nun bei diesem Anblick Porfirij Petrowitsch in einen solchen Lachkrampf hineingeriet, daß er ganz blaurot wurde, da gewann bei Raskolnikow der Widerwille die Oberhand über die Vorsicht; er hörte auf zu lachen, machte ein finsteres Gesicht und richtete einen langen, haßerfüllten Blick auf Porfirij, so daß er während der ganzen Dauer dieses ununterbrochenen Lachens, das, wie mit Absicht, gar nicht enden zu wollen schien, die Augen nicht von ihm abwandte. Ein Mangel an Vorsicht war übrigens auf beiden Seiten deutlich; denn Porfirij Petrowitsch lachte ja ganz unverhohlen seinem Gaste ins Gesicht, obgleich dieser das Lachen mit haßerfüllter Miene aufnahm, und wurde darüber in keiner Weise verlegen. Dieser letztere Umstand war für Raskolnikow von Wichtigkeit zur Beurteilung der Sachlage: er sagte sich nun, daß Porfirij Petrowitsch sicherlich auch vorhin durchaus nicht verlegen gewesen sei, sondern im Gegenteil er selbst, Raskolnikow, wohl in eine Falle hineingeraten sei, daß hier offenbar etwas vorhanden sei, wovon er nichts wisse, irgendeine besondere Absicht, daß vielleicht alles schon vorbereitet sei und sich im nächsten Augenblick enthüllen und entladen werde.

      Er wollte der Gefahr sofort entgegentreten; darum stand er auf und griff nach seiner Mütze.

      »Porfirij Petrowitsch«, begann er in entschlossenem Tone, der aber sehr gereizt klang, »Sie sprachen gestern den Wunsch aus, ich möchte zum Zwecke eines Verhörs zu Ihnen kommen.« (Er legte besonderen Nachdruck auf das Wort Verhör.) »Ich bin gekommen, und wenn Sie etwas wissen wollen, so fragen Sie mich; andernfalls gestatten Sie mir, mich zu entfernen. Ich habe keine Zeit; ich bin in Anspruch genommen … Ich muß der Beerdigung jenes überfahrenen Beamten beiwohnen, von dem Sie … ja auch bereits wissen …«, fügte er hinzu, ärgerte sich aber sofort über diesen Zusatz und wurde nun noch gereizter. »Mir ist diese ganze Geschichte zum Ekel geworden, hören Sie, und zwar schon längst, … auch meine Krankheit rührte zum Teil davon her … Kurz«, fuhr er beinahe schreiend fort, da er sich bewußt wurde, daß die Bemerkung über die Krankheit noch weniger am Platze gewesen war, »kurz, seien Sie so gut, mich entweder zu befragen oder zu entlassen, aber sofort, … und wenn Sie mich befragen wollen, dann nur in aller Form! Auf eine andre Art der Befragung werde ich nicht eingehen; und darum sage ich Ihnen einstweilen Lebewohl, da wir beide augenblicklich miteinander nichts zu schaffen haben.«

      »Um des Himmels willen, was haben Sie denn nur! Worüber soll ich Sie denn vernehmen?« begann Porfirij Petrowitsch plötzlich einen eifrigen Redeschwall, änderte sofort Ton und Miene und hörte im Nu auf zu lachen. »Bitte, regen Sie sich doch nicht auf!« Er entwickelte eine unruhige Geschäftigkeit, indem er bald wieder hin und her rannte, bald Raskolnikow einlud, doch wieder Platz zu nehmen. »Die Sache hat ja Zeit, die Sache hat ja Zeit, und es sind ja doch nur Kleinigkeiten! Ich bin vielmehr so froh, daß Sie endlich einmal zu mir gekommen sind … Ich betrachte Ihr Hiersein als einen freundlichen Besuch. Und wegen dieses verdammten Lachens bitte ich Sie um Entschuldigung, Väterchen Rodion Romanowitsch! Rodion Romanowitsch, so ist doch wohl Ihr Name? Ich bin ein nervöser Mensch; Sie haben mich durch Ihre witzige Bemerkung arg zum Lachen gereizt; manchmal muß ich so lachen, daß mir der Leib schüttert, als ob er aus Gummielastikum wäre, wahrhaftig, eine halbe Stunde lang. Ich bin nun einmal so lachlustig. Bei meiner Konstitution kann ich dabei sogar eines Schlaganfalls gewärtig sein. Aber so setzen Sie sich doch, was haben Sie denn! … Bitte, Väterchen, sonst muß ich ja denken, daß Sie es mir übelgenommen haben …«

      Raskolnikow schwieg, hörte und beobachtete, immer noch mit zornigem, finsterem Gesichte. Doch er setzte sich wieder hin, legte aber die Mütze nicht aus der Hand.

      »Ich mochte Ihnen, Väterchen Rodion Romanowitsch, etwas über mich selbst mitteilen, sozusagen, um Ihnen mein Wesen verständlich zu machen, fuhr Porfirij Petrowitsch fort; er hastete wieder durch das Zimmer und vermied es, wie vorher, dem Blicke des Besuchers zu begegnen. »Sehen Sie, ich bin Junggeselle, ohne weltmännischen Schliff; ich lebe so still für mich; meine Entwicklung ist bereits zum Stillstand gelangt, ich bin starr geworden, sozusagen in Samen geschossen, und … und … und ist es Ihnen vielleicht auch schon aufgefallen, Rodion Romanowitsch, daß bei uns, ich meine bei uns in Rußland und ganz besonders in unsern Petersburger Kreisen, wenn zwei verständige Menschen zusammenkommen, die miteinander

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