Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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Einen Augenblick lang hatte Raskolnikow die Empfindung, als ob sich alles um ihn im Kreise drehte.
›Ob er wirklich auch jetzt heuchelt?‹ fuhr es ihm durch den Kopf. ›Unmöglich, unmöglich!‹ Er wies diesen Gedanken von sich, da er im voraus fühlte, daß dieser Gedanke ihn in grenzenlose Wut und Raserei versetzen und die Wut ihn des Verstandes berauben könne.
»Das war nicht im Fieberwahn, das war bei klarem Bewußtsein!« rief er und strengte alle Kräfte seines Verstandes an, um Porfirijs Spiel zu durchschauen. »Bei klarem Bewußtsein, bei klarem Bewußtsein! Hören Sie wohl?«
»Ja, ich höre, ich verstehe! Sie sagten auch gestern schon, daß es nicht im Fieberwahn war, und betonten es sogar ganz besonders, es sei nicht im Fieberwahn gewesen. Ich verstehe alles, was Sie sagen können. Ja, ja! … Hören Sie, mein teuerster Rodion Romanowitsch, wir brauchen ja nur diesen einen Umstand zu bedenken: wenn Sie wirklich, tatsächlich ein Verbrecher oder überhaupt irgendwie an dieser verdammten Geschichte beteiligt wären, na, würden Sie dann, ich bitte Sie, selbst betonen, daß Sie das alles nicht im Fieberwahn getan hätten, sondern im Gegenteil bei vollem Bewußtsein? Und noch dazu es ganz besonders betonen, es mit so ganz besondrer Hartnäckigkeit betonen? Na, wäre das möglich? Ich bitte Sie, wäre das möglich? Meines Erachtens würden Sie ganz entgegengesetzt verfahren. Wären Sie sich irgendwelcher Schuld bewußt, so müßten Sie gerade betonen, daß Sie sich unbedingt im Fieberwahn befunden hätten. Nicht wahr? Habe ich nicht recht?«
Es klang eine gewisse Hinterlist aus dieser Frage heraus. Raskolnikow wich vor Porfirij, der sich zu ihm hinbeugte, bis ganz an die Lehne des Sofas zurück, und starrte ihm schweigend und erstaunt ins Gesicht.
»Und dann, was Herrn Rasumichin betrifft, ich meine die Frage, ob er gestern aus eigenem Antriebe zu mir kam, um mit mir über die Sache zu sprechen, oder auf Ihre Veranlassung. Wenn Sie sich schuldig fühlten, so müßten Sie gerade sagen, daß er von selbst gekommen wäre, und verheimlichen, daß er es auf Ihre Veranlassung getan hätte. Sie aber verheimlichen das nicht. Sie betonen gerade, daß er auf Ihre Veranlassung gekommen sei!«
Raskolnikow hatte das niemals betont. Ein Kältegefühl lief ihm über den Rücken.
»Sie lügen fortwährend«, sagte er langsam und matt; seine Lippen verzogen sich zu einem krankhaften Lächeln. »Sie wollen mir wieder zeigen, daß Sie mein ganzes Spiel kennen und alle meine Antworten im voraus wissen.« Er merkte selbst, daß er seine Worte nicht mehr so abwog, wie es nötig war. »Sie wollen mich einschüchtern, … oder Sie machen sich einfach über mich lustig.«
Er sah ihn, während er das sagte, immer noch starr an, und auf einmal flammte wieder eine maßlose Wut in seinen Augen auf.
»Sie lügen fortwährend!« rief er. »Sie wissen selbst sehr gut, daß es für einen Verbrecher das klügste ist, nach Möglichkeit die Wahrheit zu sagen, … nichts zu verheimlichen, was nicht verheimlicht zu werden braucht! Ich glaube Ihnen nicht!«
»Nun sehen Sie mal, wie Sie sich hin und her zu wenden verstehen!« kicherte Porfirij. »Mit Ihnen, Väterchen, kann man doch gar nicht fertig werden! Es hat sich so eine Art von fixer Idee bei Ihnen festgesetzt. Also Sie glauben mir nicht? Ich aber sage Ihnen, daß Sie mir allerdings schon glauben, mir schon einen großen Teil von dem, was ich sage, glauben, und ich werde Sie dahin bringen, daß Sie mir alles glauben; denn ich habe Sie von Herzen gern und wünsche Ihnen aufrichtig alles Gute.«
Raskolnikows Lippen fingen an zu zittern.
»Ja, ich wünsche Ihnen alles Gute, und ich rate Ihnen ganz entschieden«, fuhr er fort und faßte mit leiser Berührung Raskolnikow freundschaftlich am Arm, ein wenig oberhalb des Ellbogens, »ich rate Ihnen ganz entschieden: achten Sie recht auf Ihre Krankheit. Es kommt noch hinzu, daß jetzt Ihre nächsten Angehörigen hier bei Ihnen eingetroffen sind; auch an die sollten Sie denken. Es wäre Ihre Pflicht, ihnen ein ruhiges Leben zu bereiten und sie mit zärtlicher Sorge zu umgeben; aber Sie versetzen die Ihrigen nur in Angst …«
»Was geht Sie das an? Woher wissen Sie das? Warum interessieren Sie sich so für mich? Sie lassen mich also beobachten und wollen mir das zeigen?«
»Aber, Väterchen! Ich habe das alles doch von Ihnen, von Ihnen selbst erfahren! Sie merken gar nicht, daß Sie in Ihrer Erregung mir und andern alles selbst zuerst erzählen. Auch von Herrn Dmitrij Prokofjitsch Rasumichin habe ich gestern viele interessante Einzelheiten erfahren. Nein, Sie haben mich unterbrochen, und ich muß Ihnen sagen, daß Sie infolge Ihrer Neigung zu Argwohn trotz all Ihres Scharfsinns sogar den gesunden Blick für die Dinge verlieren. Sehen Sie zum Beispiel, was das Ziehen an der Türklingel anlangt, wenn ich noch einmal auf dieses Thema zurückkommen darf: ein so wertvolles Beweismoment, ein solches Faktum (denn es ist ja ein ganz feststehendes Faktum) habe ich, der Untersuchungskommissar, Ihnen so mir nichts, dir nichts preisgegeben! Und in dieser Handlungsweise finden Sie gar nichts? Wenn ich auch nur den geringsten Verdacht gegen Sie hegte, hätte ich dann so verfahren dürfen? Ich müßte vielmehr zunächst Ihren Argwohn einschläfern und gar nicht merken lassen, daß mir dieses Faktum bereits bekannt ist; ich müßte in dieser Weise Ihre Aufmerksamkeit nach der entgegengesetzten Seite ablenken und Sie dann plötzlich, wie mit einem Knüttelschlage auf den Scheitel (nach Ihrem eigenen Ausdrucke), mit diesen Fragen betäuben: ›Was hatten Sie, mein Herr, in der Wohnung der Ermordeten um zehn Uhr abends oder noch später zu suchen? Warum haben Sie an der Türklingel gezogen? Warum erkundigten Sie sich nach dem Blute? Warum verblüfften Sie die Hausknechte und forderten sie auf, nach dem Polizeibureau, zum Revierleutnant, mitzukommen?‹ So müßte ich verfahren, wenn ich auch nur eine Spur von Verdacht gegen Sie hätte. Ich müßte in aller Form ein Verhör mit Ihnen anstellen, eine Haussuchung vornehmen, vielleicht auch Sie festnehmen lassen … Folglich hege ich gegen Sie keinen Verdacht, da ich ja anders gehandelt habe! Aber um es noch einmal zu wiederholen: Sie haben den gesunden Blick verloren und sehen nichts!«
Raskolnikow zuckte mit dem ganzen Körper zusammen, so daß Porfirij Petrowitsch es ganz deutlich bemerkte.
»Sie lügen fortwährend!« rief er. »Ich kenne Ihre Absichten nicht, aber Sie lügen fortwährend! … Vorhin haben Sie in ganz anderem Sinne gesprochen; darin kann ich mich nicht irren … Sie lügen!«
»Ich lüge?« erwiderte Porfirij, der sich anscheinend ereiferte, aber seine heitere, spöttische Miene beibehielt und sich nicht im geringsten darüber aufzuregen schien, was Herr Raskolnikow über ihn für eine Meinung hätte. »Ich lüge? … Na, und wie habe ich mich vorhin gegen Sie benommen, ich, der Untersuchungskommissar? Ich selbst habe Ihnen alle möglichen Verteidigungsmittel mitgeteilt und an die Hand gegeben; ich selbst habe Ihnen dieses ganze Kapitel der Psychologie auseinandergesetzt: ›Krankheit‹, sagt man zu seiner Verteidigung. ›Fieberwahn, ich fühlte mich gekränkt, Schwermut‹, und ›die Polizeibeamten‹ und noch vieles andre. Nicht wahr? He-he-he! Wiewohl, beiläufig bemerkt, all diese der Psychologie entlehnten Verteidigungsmittel, Ausreden und Finten äußerst unzuverlässig sind und gar sehr ihre zwei Seiten haben: ›Krankheit‹, sagt man, ›Fieberwahn, Träume, es ist mir so vorgekommen, ich erinnere mich nicht‹; alles ganz schön; aber, Väterchen, warum stellen sich denn in der Krankheit und im Fieberwahn immer gerade nur solche Träume ein und keine andern? Es könnte einem doch auch etwas andres träumen? Nicht wahr? He-he-he-he!«
Raskolnikow maß ihn