Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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nun die Tücke! Ein andermal läßt er sich von dem Drange, seinen Scharfsinn zu betätigen, hinreißen und fängt an, jemanden, der ihn im Verdacht hat, zum Narren zu halten; er erbleicht anscheinend absichtlich, anscheinend aus Verstellung; aber er erbleicht gar zu natürlich, gar zu wahrheitsgetreu, und wieder hat er einen Anhaltspunkt gegeben! Wenn er auch den andern zunächst hinters Licht führt, aber über Nacht überlegt sich der die Sache, wenn er einigermaßen gewitzt ist. Und so geht es auf Schritt und Tritt! Noch mehr: er fängt an, sich seinen Widersachern geradezu aufzudrängen, sich einzumischen, wo man ihn gar nicht gefragt hat, fortwährend über Dinge zu reden, über die er besser schwiege; er erzählt allerlei mit Andeutungen gespickte Geschichten, he-he-he! er kommt selbst und erkundigt sich: ›Warum dauert es denn so lange, bis ich festgenommen werde?‹ He-he-he! Und so kann es sogar dem scharfsinnigsten Menschen gehen, einem ausgezeichneten Psychologen und Schriftsteller! Die Natur ist ein Spiegel, der klarste Spiegel! In den muß man hineinschauen, mit Lust und Eifer hineinschauen; darauf kommt es an! Aber warum sind Sie denn so blaß geworden, Rodion Romanowitsch? Ist es Ihnen hier zu stickig? Soll ich ein Fenster aufmachen?«

      »O bitte, bemühen Sie sich nicht!« rief Raskolnikow und lachte plötzlich auf. »Bitte, bemühen Sie sich nicht!«

      Porfirij blieb vor ihm stehen, wartete ein Weilchen und lachte dann, seinem Beispiele folgend, auf einmal selbst los. Raskolnikow stand vom Sofa auf und brach jäh sein Lachen ab, das durchaus den Charakter eines krankhaften Anfalls getragen hatte.

      »Porfirij Petrowitsch«, sagte er laut und deutlich, obgleich ihn die zitternden Beine kaum noch trugen, »ich sehe endlich klar, daß Sie mich tatsächlich im Verdachte haben, diese alte Frau und ihre Schwester Lisaweta ermordet zu haben. Meinerseits erkläre ich Ihnen, daß diese ganze Sache mir schon längst zum Ekel geworden ist. Wenn Sie der Ansicht sind, daß Sie ein Recht haben, gesetzlich gegen mich vorzugehen, so gehen Sie gegen mich vor; glauben Sie, mich festnehmen zu sollen, so tun Sie es doch. Aber daß Sie mir ins Gesicht lachen und mich martern, das dulde ich nicht …«

      Seine Lippen bebten, seine Augen glühten vor Wut, und seine Stimme, die bis dahin nicht überlaut gewesen war, schwoll an.

      »Das dulde ich nicht!« schrie er und schlug aus voller Kraft mit der Faust auf den Tisch. »Hören Sie wohl, Porfirij Petrowitsch? Das dulde ich nicht!«

      »Aber, mein Gott, was haben Sie denn wieder!« rief Porfirij Petrowitsch, anscheinend höchst erschrocken. »Väterchen, Rodion Romanowitsch! Mein Teuerster! Was haben Sie denn nur?«

      »Ich dulde es nicht!« rief Raskolnikow noch einmal.

      »Nicht so laut, Väterchen! Die Leute nebenan hören es ja und kommen herein! Und was sollen wir ihnen dann sagen, bedenken Sie doch!« flüsterte Porfirij Petrowitsch bestürzt, indem er sein Gesicht dem Raskolnikows näherte.

      »Ich dulde es nicht, ich dulde es nicht!« wiederholte Raskolnikow mechanisch, aber auf einmal gleichfalls im Flüstertone.

      Porfirij drehte sich schnell um und lief hin, um ein Fenster zu öffnen.

      »Wir wollen ein bißchen frische Luft hereinlassen! Und auch einen Schluck Wasser müssen Sie trinken, mein Bester! Das ist ja ein richtiger Anfall!«

      Er stürzte schon zur Tür, um Wasser bringen zu lassen, fand aber dort in einer Ecke selbst noch eine Karaffe mit Wasser.

      »Da, Väterchen, trinken Sie!« flüsterte er, indem er mit der Karaffe zu ihm hinlief. »Vielleicht hilft das …«

      Porfirijs Schreck und sogar seine Teilnahme wirkten so natürlich, daß Raskolnikow schwieg und ihn befremdet und prüfend anblickte. Das Wasser nahm er jedoch nicht.

      »Rodion Romanowitsch! Lieber! Auf diese Art werden Sie sich noch um den Verstand bringen, dessen kann ich Sie versichern! So trinken Sie doch! Trinken Sie wenigstens ein klein bißchen!«

      Er zwang ihn, das Glas mit Wasser in die Hand zu nehmen. Raskolnikow führte es schon mechanisch an die Lippen, kam dann aber zur Besinnung und stellte es voll Abscheu auf den Tisch.

      »Ja, ja, Sie haben so einen kleinen Anfall gehabt! Auf diese Weise, bester Freund, werden Sie sich Ihre frühere Krankheit von neuem zuziehen«, fuhr Porfirij Petrowitsch fort mit freundschaftlicher Teilnahme auf ihn einzureden; seine Miene hatte immer noch den Ausdruck der Fassungslosigkeit beibehalten. »Mein Gott, wie kann man sich nur so wenig in acht nehmen! Da ist auch gestern Dmitrij Prokofjitsch bei mir gewesen – ich gebe ja zu, ich gebe ja zu, ich habe einen spöttischen, garstigen Charakter; aber was haben diese Menschen daraus für wunderliche Schlüsse gezogen! … Mein Gott! Er kam gestern, bald nachdem Sie fortgegangen waren, wir aßen gerade zu Mittag, er redete und redete, ich konnte nur die Hände überm Kopfe zusammenschlagen! Na, dachte ich, … ach, du mein Gott! Hatten Sie ihn dazu veranlaßt, zu mir zu kommen? Aber so setzen Sie sich doch, Väterchen, setzen Sie sich, ich bitte Sie dringend!«

      »Nein, ich hatte ihn nicht dazu veranlaßt! Aber ich wußte, daß er zu Ihnen ging und warum er zu Ihnen ging«; antwortete Raskolnikow schroff.

      »Sie wußten es?«

      »Ja. Was folgt daraus?«

      »Ach, Väterchen Rodion Romanowitsch, ich weiß ja noch ganz andre Sachen, die Sie gemacht haben; ich bin von allem unterrichtet! Ich weiß ja, daß Sie eine Wohnung mieten gingen, kurz vor Einbruch der Nacht, als es schon dunkel wurde, und daß Sie an der Türklingel zogen und nach dem Blute fragten und die Gesellen und die Hausknechte stutzig machten. Ich habe ja auch Verständnis für Ihre damalige Gemütsstimmung, … aber ich muß doch sagen, Sie werden sich auf diese Weise einfach um den Verstand bringen, weiß Gott! Es wird Ihnen wirbelig im Kopfe werden! Eine edle Entrüstung wallt heftig in Ihnen wegen der Kränkungen auf, die Sie erlitten haben, zuerst vom Schicksal, dann von den Polizeibeamten; und deswegen stürmen Sie nun hierhin und dahin, um sozusagen möglichst schnell alle zum Reden zu bringen und so der ganzen Geschichte mit einem Male ein Ende zu machen, weil diese Dummheiten und all diese Verdächtigungen Ihnen zum Ekel geworden sind. Ist es nicht so? Habe ich Ihre Stimmung erraten? … Nur werden Sie auf diese Weise nicht bloß sich selbst, sondern auch meinem lieben Rasumichin den Kopf verdrehen; und es wäre doch schade um ihn, ein so braver Mensch, wie er ist; das wissen Sie selbst. Ihre Krankheit kann auf seine Bravheit ansteckend wirken … Ich will Ihnen, wenn Sie sich beruhigt haben, Väterchen, eine Geschichte erzählen … Aber so setzen Sie sich doch, Väterchen, ich bitte Sie um alles in der Welt; bitte, erholen Sie sich; Sie sehen ja ganz entstellt aus. Aber nehmen Sie doch Platz!«

      Raskolnikow setzte sich; das Zittern war vorübergegangen, und eine Gluthitze durchströmte jetzt seinen ganzen Körper. Mit größtem Erstaunen und gespanntester Aufmerksamkeit hörte er dem aufgeregten Porfirij zu, der sich freundschaftlich um ihn bemühte. Aber er glaubte ihm kein einziges Wort, obwohl er eine seltsame Neigung dazu verspürte. Porfirijs unerwartete Bemerkung über das Wohnungssuchen hatte ihn in große Bestürzung versetzt. ›Er weiß also die Geschichte mit der Wohnung‹, dachte er, ›und erzählt es mir von selbst?‹

      »Ja, wir haben in unsrer Gerichtspraxis einmal fast genau denselben Fall gehabt, bei dem auch krankhafte Seelenstimmungen eine große Rolle spielten«, fuhr Porfirij in seiner Redseligkeit fort. »Da beschuldigte sich auch einer selbst eines Mordes: eine ganze Halluzination trug er vor, führte Tatsachen an, erzählte Begleitumstände, machte uns alle ganz schwindlig und konfus, und was war schließlich an der Sache dran? Er selbst hatte völlig unabsichtlich zu einem gewissen Teil den Mord ermöglicht, aber nur zu einem gewissen Teil, und als er nun erfuhr, daß er den Mördern die Gelegenheit verschafft habe, da wurde er tiefsinnig, sein Denken geriet in Verwirrung, er hatte Visionen, wurde ganz verrückt und glaubte steif und fest, er wäre der Mörder! Aber die oberste Instanz klärte dann doch schließlich die Sache auf, und der Unglückliche wurde freigesprochen und in Pflege gegeben. Ein dankenswertes Verdienst der obersten

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