Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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habe‹, dachte er, als er trüben Mutes in Lebesjatnikows Stube zurückkehrte. ›Hol´s der Kuckuck, warum bin ich eigentlich so ein Geizkragen geworden? Das war eine ganz falsche Sparsamkeit! Ich beabsichtigte, sie recht kurz zu halten und sie dahin zu bringen, daß sie mich als ihren Schutzgott ansähen, und nun kommen sie mir so! … Scheußlich! … Ja, wenn ich diese ganze Zeit her so anderthalbtausend Rubel auf sie verwandt hätte, zur Beschaffung der Aussteuer und in Form von Geschenken, von allerlei Schächtelchen, Necessaires, Bijouterien, Kleiderstoffen und anderm Firlefanz, dann wäre die Sache besser gewesen, … und ich hätte mehr Sicherheit gehabt! Dann hätten sie mir jetzt nicht so leicht aufgekündigt! Solche Leute halten es unbedingt für ihre Pflicht, bei der Lösung einer Verlobung die Geschenke und das Geld zurückzugeben; und die Rückerstattung hätte ihnen doch Schwierigkeiten gemacht, hätte ihnen auch bei den Geschenken wohl leid getan! Auch das Gewissen würde sie beunruhigt haben: »wir können doch nicht«, hätten sie sich gesagt, »einem Menschen so ohne weiteres den Laufpaß geben, nachdem er sich bisher so freigebig und zartfühlend gezeigt hat.« … Hm! Da habe ich einen Bock geschossen!‹

      Wieder knirschte Pjotr Petrowitsch mit den Zähnen und nannte sich einen Dummkopf, natürlich nur ganz im stillen.

      So befand er sich nicht gerade in rosigster Stimmung. Die Vorbereitungen zu dem Gedächtnismahle in Katerina Iwanownas Zimmer nahmen dann ein wenig sein Interesse in Anspruch. Er hatte schon gestern etwas von diesem Gedächtnismahle gehört; er hatte sogar eine undeutliche Erinnerung, als ob auch er dazu eingeladen worden wäre; aber bei seinen eigenen Sorgen und Geschäften hatte er für nichts andres Aufmerksamkeit übrig gehabt. Schnell erkundigte er sich jetzt bei Frau Lippewechsel, die in Katerina Iwanownas Abwesenheit (denn diese war auf dem Kirchhofe) damit beschäftigt war, den Tisch zurechtzumachen, und erfuhr von ihr, das Gedächtnismahl würde sehr großartig sein; fast alle Mitmieter, darunter auch solche, die mit dem Verstorbenen gar nicht bekannt gewesen wären, seien eingeladen; sogar Andrej Semjonowitsch Lebesjatnikow sei eingeladen, trotz des Streites, den er unlängst mit Katerina Iwanowna gehabt hätte; endlich sei auch er selbst, Pjotr Petrowitsch, nicht nur eingeladen, sondern er würde sogar als der vornehmste Gast unter allen Mietern mit besonderer Sehnsucht erwartet. Amalia Iwanowna selbst hatte gleichfalls eine höchst respektvolle Einladung erhalten, trotz aller vorhergegangenen unangenehmen Zwistigkeiten, und arrangierte daher jetzt mit großer Geschäftigkeit und nicht ohne Genuß alles für die Mahlzeit Erforderliche. Sie war bereits höchst geputzt, obwohl es natürlich ein Trauerkleid war; aber es war ganz neu und aus Seide, und sie war sehr stolz darauf. Alle diese Tatsachen und Mitteilungen brachten Pjotr Petrowitsch auf einen ganz besonderen Gedanken, und in seine Überlegungen vertieft, begab er sich in sein, das heißt in Herrn Lebesjatnikows Zimmer. Die Hauptsache war: er hatte unter anderm erfahren, daß zu den Eingeladenen auch Raskolnikow gehörte.

      Andrej Semjonowitsch war aus irgendeinem Grunde an diesem Tage den ganzen Vormittag über zu Hause. Zwischen ihm und Pjotr Petrowitsch bestand ein eigentümliches Verhältnis, das jedoch zum Teil sehr erklärlich war. Pjotr Petrowitsch verachtete und haßte ihn über alle Maßen, fast gleich von dem Tage an, wo er sich bei ihm einlogiert hatte; gleichzeitig aber empfand er vor ihm eine gewisse Furcht. Er hatte nach seiner Ankunft in Petersburg nicht lediglich aus schäbiger Sparsamkeit bei ihm Quartier genommen, wiewohl dies allerdings der Hauptgrund war, sondern er hatte dazu noch einen andern Grund gehabt. Schon als er noch in der Provinz wohnte, hatte er über Andrej Semjonowitsch, seinen früheren Mündel, gehört, er sei einer der hervorragendsten jungen Reformer und spiele sogar in manchen interessanten, geheimnisvollen Klubs eine bedeutende Rolle. Das hatte ihm imponiert. Diese mächtigen, allwissenden Klubs, die niemanden fürchteten und jeden geheimen Übeltäter entlarvten, hatten ihm schon längst eine gewaltige, jedoch ganz vage Furcht eingeflößt. Er selbst hatte sich natürlich, noch dazu in der Provinz, von derartigen Vereinen keinen auch nur annähernd genauen Begriff machen können. Er hatte, wie alle Leute, gehört, es gebe namentlich in Petersburg sogenannte Reformer, Nihilisten, Entlarver usw.; aber gleich vielen andern Leuten hatte er mit diesen Bezeichnungen ganz übertriebene und ins Absurde entstellte Vorstellungen verbunden. Am allermeisten fürchtete er, und zwar schon seit einigen Jahren, die »Entlarvungen«, und dies war die hauptsächlichste Ursache seiner fortwährenden übermäßigen Unruhe gewesen, besonders wenn er an die Verlegung seiner Tätigkeit nach Petersburg gedacht hatte. In dieser Hinsicht war er, wie man sich auszudrücken pflegt, verängstigt, wie einem manchmal verängstigte kleine Kinder vorkommen. Einige Jahre vorher hatte er in der Provinz (er stand damals noch am Beginn seiner Laufbahn) zwei solche Fälle von grausamer Entlarvung mit angesehen; die beiden Betroffenen waren recht hochgestellte Beamte in der Verwaltung des Gouvernements, und er hatte sich in ihre Gefolgschaft begeben und sich ihrer Gönnerschaft erfreut. Der eine Fall endete für die entlarvte Persönlichkeit mit einem großen Skandal, und der zweite hätte beinahe ein ganz, ganz übles Ende genommen. Aus diesem Grunde hatte sich Pjotr Petrowitsch vorgenommen, sich gleich nach seiner Ankunft in Petersburg zu erkundigen, was es mit diesen Klubs für eine Bewandtnis habe, und, wenn es erforderlich schiene, der Gefahr vorzubeugen und sich bei »unsrer jungen Generation« einzuschmeicheln. Für diesen Fall hoffte er auf Lebesjatnikows Unterstützung, und er hatte, wie er das bei dem Besuche bei Raskolnikow bewies, bereits gelernt, ein paar entlehnte Phrasen klangvoll vorzubringen.

      Allerdings hatte er Andrej Semjonowitsch recht bald als einen sehr gewöhnlichen, einfältigen Menschen durchschaut. Dadurch war aber sein Glaube an die Macht der Klubs in keiner Weise erschüttert und sein Mut nicht gehoben worden. Selbst wenn er sich überzeugt hätte, daß alle Reformer ebensolche Dummköpfe seien, auch dann hätte sich seine Unruhe nicht gelegt. Im Grunde interessierten all diese Lehren, Ideen und Systeme, mit denen Andrej Semjonowitsch ihn aufs freigebigste regalierte, ihn nicht im geringsten. Er hatte sein eigenes Ziel. Er wollte nur so schnell wie irgend möglich in Erfahrung bringen, was in diesen Klubs vorginge und wie dabei verfahren würde. Besaßen diese Leute Macht oder nicht? Hatte er für seine eigene Person etwas von ihnen zu befürchten oder nicht? Würden sie ihn »entlarven«, wenn er dies oder das unternähme, oder nicht? Und wenn sie sich mit Entlarvungen abgaben, auf welche Handlungsweisen hatten sie es dabei besonders abgesehen? Welche Handlungsweisen machten sie gerade jetzt zum Objekte ihrer entlarvenden Tätigkeit? Und dann: konnte man sich nicht auf irgendeine Weise mit ihnen freundlich stellen und sie dabei düpieren, wenn sie wirklich Macht besitzen sollten? War das erforderlich oder nicht? Konnte er nicht vielleicht gerade durch ihre Vermittlung in seiner Karriere etwas erreichen? Kurz, es drängten sich ihm Hunderte von Fragen auf.

      Dieser Andrej Semjonowitsch war ein Mann von ungesunder Konstitution, skrofulös, von kleiner Statur; er bekleidete irgendeine Beamtenstelle; sein Haar war von auffallend hellblonder Farbe; er trug einen Backenbart in Kotelettform, auf den er sehr stolz war. Fast beständig litt er an den Augen. Er hatte ein sehr weiches Herz; aber sein Redeton klang sehr selbstbewußt und manchmal geradezu hochmütig, was sich bei seiner kleinen Figur meist recht lächerlich ausnahm. Amalia Iwanowna betrachtete ihn als einen hochanständigen Mieter; denn er trank nicht und bezahlte pünktlich seine Miete. Aber trotz mancher guten Eigenschaften war Andrej Semjonowitsch tatsächlich ein bißchen dumm. Er hatte sich mit leidenschaftlichem Eifer den Reformern und »unsrer jüngeren Generation« angeschlossen. Er gehörte zu der zahllosen, buntscheckigen Menge mittelmäßiger Menschen, kläglicher Frühgeburten und dünkelhafter Halbwisser, die sich eiligst zu Anhängern der modernsten, landläufigsten Idee machen und sie sofort verhunzen und alle Bestrebungen, denen sie (manchmal mit der besten Absicht) dienen, in eine Karikatur verwandeln.

      Übrigens war Herrn Lebesjatnikow trotz all seiner Gutmütigkeit sein Stubengenosse und ehemaliger Vormund Pjotr Petrowitsch gleichfalls recht zuwider geworden. Das hatte sich von beiden Seiten ganz von selbst so ergeben. Wie einfältig er auch war, durchschaute Andrej Semjonowitsch doch allmählich, daß Pjotr Petrowitsch gegen ihn nicht aufrichtig war und ihn im stillen verachtete und daß überhaupt nichts Rechtes an ihm dran war. Er versuchte, ihm Fouriers System und die Darwinsche Theorie auseinanderzusetzen; aber Pjotr Petrowitsch hörte, namentlich in der letzten Zeit, mit gar zu spöttischer Miene zu und fing in der allerletzten Zeit sogar an, ihn auszuschelten. Pjotr Petrowitsch hatte nämlich instinktmäßig herausgefühlt, daß Lebesjatnikow nicht nur ein recht gewöhnlicher, ziemlich dummer Mensch, sondern wohl noch dazu ein arger

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