Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

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Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes

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schwelgt; wir sehen ein schläfriges arabisches Profil, dessen Besitzer mit eintöniger Stimme ganz mechanisch eine Reihe Worte ausschreit, die er auswendig gelernt hat, weil herzuplappern sein Beruf ist.

      Auf derselben Ausstellung befand sich auch ein kleines Gemälde von Klinger, „Spaziergänger“ betitelt, interessant durch sein spannendes Thema. Die Scene ist ein ödes Feld nächst der Hasenhaide bei Berlin, bekannt als unsichere Gegend. Eine lange, unendlich lange und melancholische Friedhofmauer zieht sich in das Bild hinein. Daran lehnt ein junger Mann. Er hat einen Revolver aus der Tasche gezogen und hält ihn mit ruhigem beobachtenden Blick vor sich hin; denn von drei Seiten nähern sich unheimliche, zerlumpte Gestalten mit dicken Knüppeln in den Händen. Sie sind stehen geblieben, augenscheinlich ungewiss, was sie zunächst beginnen sollen, da sie merken, der Andere sei vorbereitet. Einer dieser Vorstadt-Proletarier bückt sich, ungeduldig über das Warten, und hebt einen grossen Stein auf. Ueber dem Bilde blauer Himmel, Sonnenschein und Sommerluft. — Der Kritiker Ludwig Pietsch besprach dieses Bild, ebenso wie die Handschuh-Radirungen, voll Bewunderung.

      So grosses Aufsehen machten diese ersten Versuche, dass der Neid rege wurde. Der Kritiker der „Gegenwart“ wurde in seinem eigenen Blatte angegriffen und der Artikel von der Redaction desavouirt. „Es sei Sünde“, hiess es allgemein, „einem jungen Künstler durch Lob den Kopf zu verdrehen“, besonders fügte man gerne hinzu, „da wahrscheinlich nichts aus ihm werde“; und als kurz danach Klinger's Kunst zu stocken schien, da er für zwei ganze Jahre aus Berlin verschwand und sehr zurückgezogen zuerst in Brüssel, dann in München lebte, eine langwierige erschöpfende Krankheit durchmachte, hatte es wirklich eine Zeit lang den Anschein, als ob die ungünstigen Prophezeiungen Recht behalten sollten.

      Doch zu Anfang 1880 kamen in Brüssel „13 Eaux-fortes“, Randglossen zu Ovid, heraus, die einen grossen Fortschritt in der Entwicklung des Künstlers verriethen. Es waren Illustrationen, oder richtiger begleitende Phantasien zu den Erzählungen der Metamorphosen von Apollo und Daphne, Pyramus und Thisbe, vermischt mit Intermezzo's pathetischer oder humoristischer Natur. Das einleitende Blatt ist in grossem, prachtvollen Stil ausgeführt. Eine schöne gebirgige Küstenlandschaft. Zur Linken, mit einer mächtigen Bergwand im Hintergrund, erblickt man eine griechische Colossalbüste, wie in einem Nest von Rosen angebracht. Den untersten Theil des Blattes nimmt die Platte an dem Arbeitstisch des Künstlers nebst Leuchtern und Zeichnengeräthschaften ein; rechts unten strecken zwei gefaltete Hände sich betend empor. Sie rufen den Geist der Antike an. Man muss die reine Hoheit in dem Ausdrucke des Colossalhauptes und die zitternde, nervöse Inbrunst in den gefalteten Händen, endlich die Landschaft mit dem kleinen, rauchenden Altar und einem Opfernden davor gesehen haben, um die ergreifende Wirkung zu verstehen. Die Landschaften insbesondere sind in diesem Cyclus bezaubernd; überhaupt besitzt Klinger eine gleichmässigere Stärke in der Landschaft als in den Figuren, deren Zeichnung nicht selten verfehlt ist, und bei denen sich das Barocke und Hässliche zuweilen störend neben vielem Reizenden und Genialen offenbart. Die Landschaften hier, mythologische Landschaften, die etwas Paradiesisches und doch gar nichts Akademisches an sich haben, erinnern in ihrem Stil an Böcklin, der überhaupt der Maler sein dürfte, der den tiefsten Eindruck auf Klinger gemacht hat. Diejenigen unter meinen Lesern, die solche Bilder von Böcklin gesehen, verstanden und gefühlt haben, wie die beiden in der Schack'schen Gallerie zu München, welche den Namen „Die Villa“ führen und dieselbe altgriechische Landschaft, bei Tag und Nacht gesehen, vorstellen, können sich einen Begriff von der tiefen, ergreifenden Poesie in Klinger's bald überüppigen, bald durch ihre wilde Unfruchtbarkeit melancholischen Landschaften machen. Es sind keine Landschaften, die sich für die civilisirte Menschheit der Gegenwart eignen. Sie passen zum Aufenthaltsort für langhaarige Faune, für flötenspielende, ziegenfüssige Satyre, für das erste liebende Menschenpaar der Urzeit. Und doch ist der Künstler der Modernste unter den Modernen, der Freieste unter den Freien — antik nur desshalb, weil er ursprünglich ist, mythologisch nur, weil etwas von dem Urmenschlichen, das in den Mythen seinen Ausdruck fand, in ihm ist. Er spielt mit Ovid so frei, wie Ovid mit dem Glauben einer älteren Zeit spielte, aber mit tieferem Sinne für das Seelische darin, mit kühnerer Phantasie und mit dem Hang des innerlich Einsamen, Gedanken und Räthsel in sein Werk niederzulegen. Welch' ein Blatt das, welches uns Apollo und den Künstler zeigt, die sich in der fremden Welt entgegengehen, jener mit der vielfach vergrösserten Feder, dieser mit der vergrösserten Radiernadel in der Hand. Welche stolz-bescheidene Haltung der ernsten Gestalt im antiken Gewande!

      Wie in sein Zimmer eingemauert, ohne mit einem einzigen Menschen zu verkehren, ohne im Verlauf von fünf Monaten nur ein einziges Mal seinen Fuss in die Pinakothek zu setzen, die er nie gesehen hatte, lebte Klinger in München, ausschliesslich der Ausarbeitung seines grossen Werkes „Amor und Psyche“. Es ist Apuleius' alte Legende, verschwenderisch mit Holzschnitten und Radirungen illustrirt. Mit wahrer dichterischer Erfindungsgabe hat Klinger in den Vignetten die Grundzüge der Mythe motivirt; und jeder empfängliche Beschauer wird sich der Feinheit und des Humors in der Vignettenreihe, wo Amor die 12 Herkules-Arbeiten ausführt, freuen und die vollendete Schönheit und Pracht bewundern, wie am Schlusse Venus vor den Göttern auf dem Olymp tanzt. Die grossen Bilder und Figuren stehen durchgehends dahinter zurück. Klinger ist noch kein Meister in der eigentlichen Zeichnung, und es ist zweifelhaft, ob er es jemals wird. Denn obschon in manchem Punkt das, was er hervorbringt, nicht besser gemacht werden kann, so muss man in andern Punkten fürchten, dass er unverbesserlich ist. Er gehört nicht zu denen, die schrittweise lernen; er geht im Sprung voran oder er behält seine Fehler. Jedoch die kleinen Bilder sind unvergleichlich anmuthig. Eines ist darunter, das Psyche einsam in Amor's Palast darstellt, wie sie von der Musik der Geister getröstet wird; es ist hingehaucht und ideal schön wie ein Gedicht von Shelley.

       Inhaltsverzeichnis

      Ja, Klinger ist Dichter, ein naturanbetender, unberechenbar phantastischer Poet, der mit der Radirnadel und dem Pinsel dichtet. Er malt z. B. eine südliche Landschaft mit heiterer Luft, im Hintergrunde das Meer; ein Strauch voll rother Rosen zur Linken; eine junge, nackte weibliche Gestalt mit einem Rosenkranz um die Stirn liegt ausgestreckt auf dem feinen, weissen Sand und stützt sich auf den Ellbogen. Von rechts nähern sich mit steifer Gravität zuerst ein feuerrother Flamingo, dann in einiger Entfernung zwei grosse, barocke, breitschnäblige Vögel, die der Schönheit ihre Huldigung darzubringen scheinen. Das ebenso vorzüglich erfundene wie schlecht gemalte Bild trägt die Aufschrift: „Deputation“. Oder er zeichnet einen Mephistopheles, der, in Faust's Mantel gehüllt, auf den Besuch des Studenten wartet. Nicht eine Spur von dem traditionellen Mephisto-Typus ist zurückgeblieben. Aber wie ist dies schöne, kluge Gesicht unter dem Barett überlegen, raffinirt, in jeder Fiber von Hohn durchzuckt; eine vampyrische Wollust ist in diesen Zügen. Der grosse Spötter schlägt den warmen Pelzmantel um sich, als ob er friere. Es ist der blutlose Vampyr, der erfahrene Weltmann, der auf die vollblütige Unbedeutendheit, die unheilige Einfalt von der Schule wie auf seine sichere Beute wartet.

      Die letzte Reihe von Radirungen, die Klinger herausgegeben, scheinen mir den Höhepunkt dessen zu bezeichnen, was er erreicht hat; sie haben nur ein einziges misslungenes Blatt aufzuweisen und übertreffen an Reife alles frühere. Der Titel ist „Eva und die Zukunft“. Es sind 6 Blätter. Eva erwacht neugeschaffen in einem Paradiesgarten, der durch die Ueppigkeit seiner Vegetation an den Garten in Zola's „La faute de l'abbé Mouret“ erinnert. Das nächste Blatt „Die Zukunft“ zeigt einen schmalen Bergpfad zwischen zwei nackten, senkrechten Klippenwänden, der emporführt; und zu oberst, wo wir Evasöhne und Evatöchter alle vorbei müssen, wenn wir überhaupt vorbei kommen, — hockt, auf die Vordertatzen gestützt, mit granitener Ruhe ein Riesentieger und wartet, wartet wie das unvermeidliche Entsetzen, das Jedem vorbehalten ist. Das nächste Blatt „Die Schlange“ stellt Eva nackt dar, wie sie sich brüstet und auf den Zehen erhebt, um ihr Gesicht besser im Spiegel sehen zu können, den die Schlange vom Baume der Erkenntniss ihr entgegenhält. Dies Blatt gefällt mir am wenigsten; aber „Die Zukunft“, die das Seitenstück zu „Die Schlange“ bildet, ist um so viel interessanter. Es wirkt durch

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