Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

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Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes

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er von jenem Zeitpunkte ab damit aufhörte. Aber er that mehr, er schlug um. In einer patriotischen Stimmung der Reue begann er, um gleichsam sich und Andern den Ablass zu erkaufen, all seinen Schriften einen Stachel gegen Deutschland zu geben. In den Briefen an Strauss gab er diesem eine Lehre, die zum Theil wohl verdient war, aber in seinem Werk „Der Antichrist“ (d. h. Nero) mischte er in störender Weise die Erinnerung an die Belagerung von Paris in die Schilderung der Eroberung von Jerusalem unter Titus hinein; in seiner Antrittsrede in der französischen Akademie machte er den bekannten Ausfall gegen das deutsche Reich mit dessen „geistlosem Adel und grossen Feldherrn ohne wohlklingende Worte“ (des grands capitaines sans des mots sonores) so ungeschickt, dass derselbe wie eine Selbstironie aussah. Denn Ducrot, der das wohlklingende Wort aussprach, er werde nur als Sieger oder als Leiche zurückkehren und der dann als le général ni l'un ni l'autre zurückkam, schien förmlich hier als der rechte Mann gegen den phrasenlosen Moltke aufgestellt, der zwar gern schwieg, jedoch in aller Stille jede Schlacht, die er jemals kommandirt, gewonnen hatte. Vergeblich suchte Renan diese Unbesonnenheiten in seinem grossen „Brief an einen deutschen Freund“ wegzuerklären, der ja übrigens wie Alles, was er geschrieben hat, vor Geist leuchtet und mit all den Facetten der vornehmen Ueberlegenheit glänzt.

      Sein Drama „Caliban“ machte Aufsehen. Der Eindruck war: ein Mann, der seiner eigenen Ansicht nach sich ganz gut damit begnügen könne seine Weltverachtung für sich zu behalten, der doch aber nichts dagegen habe — ganz fein, indirect, durch das Summen einer Melodie, die andere, plumpere Sänger halbwegs zu Ende gesungen hätten, — den Zeitgenossen wissen zu lassen, wie grenzenlos er sie geringschätze.

      Man konnte in das Schauspiel „Der Jungbrunnen“, die als Fortsetzung des „Caliban“ erschien, ziemlich weit hinein lesen, und die vielen olympischen Gedanken geniessen, für welche nur Renan Ausdruck hat, ohne viel mehr daraus zu verstehen, als dass der Verfasser jetzt ernstlich die Demokratie mit sich und sich mit der Demokratie versöhnen wolle; aber das Vergnügen hörte plötzlich auf, wo im vierten Act der deutsche Gesandte hereintritt. Denn hier hat sich Renan herabgelassen, die alte, abgedroschene Karikatur des deutschen Wesens vorzuführen, welche die Franzosen hundertmal gezeichnet haben.

      Jedermann, der in französischer Literatur ein wenig belesen ist, weiss, wie unmittelbar auf eine Epoche, in welcher kindliche Güte, Wahrhaftigkeit, Unweltlichkeit, blauäugige Unschuld und Herzlichkeit in französischen Büchern regelmässig durch einen Deutschen vertreten wurden, eine andere gefolgt ist, in welcher die besten Schriftsteller, wie Cherbuliez, wie Dumas und viele andere ein Vergnügen daran gefunden haben, die kalte, kluge Grausamkeit, die Falschheit, die herzlose Brutalität, französisch mit deutscher Betonung sprechen zu lassen. Nachdem man fünfzig Jahre hindurch nach dem Beispiel Frau von Staëls in Deutschland nichts anderes als das gutmüthige Idyllenland gesehen hatte, in welchem weissgekleidete, blonde Pfarrerstöchter Klopstock und Schiller mit bleichen und linkischen Kandidaten lasen, fing man auf einmal an, in den jungen Mädchen Deutschlands schlaue und doch grobe Speculantinnen in reichen Ehen zu sehen und die Männer als Spione aus Lust zum Handwerk und als Raubmörder aus Ueberzeugung aufzufassen. Was den Aberglauben an die Spionage betrifft, die ja die Niederlagen erklären und entschuldigen sollte, scheint das französische Volk, ja sogar die gute Gesellschaft in Frankreich sich noch nicht nach den Zeiten des Krieges erholt zu haben. Man bildet sich in vollem Ernste ein, dass Bismarck äusserst neugierig gewesen zu erfahren, was sich Herr Durand und Frau Duval in einer Abendgesellschaft sagten; man glaubt, dass er preussische Generalstabsofficiere, die sich willig dazu hergaben, für Lakaien ausgab und in guten Häusern Dienst verschaffte; man meint, wie ich 1879 in Paris es von vorzüglichen Gelehrten hörte, dass der hochbegabte deutsche Schriftsteller Karl Hillebrand, der ohne Vergleich kenntnissreichste Beobachter Frankreichs ausserhalb Frankreichs, Späherdienste in den Salons von Paris geleistet habe. Schauspiele, wie Dora von Sardou oder wie La femme de Claude von Dumas oder Romane wie La grande Iza, in dem man Briefe mit dem Poststempel Varzin in den Schubladen eines leichtfertigen Frauenzimmers findet, endlich der Prozess gegen Frau Kaulla und die übrigen verwandten Prozesse zeigen, dass der Schaden, den Frankreich durch die Demüthigungen an seinem Gehirn litt, noch nicht geheilt worden ist.

      In dem Drama Renan's ist die deutsche Brutalität der Gegenstand, auf den besonders gezielt wird. Das Stück, das in Avignon um das Jahr 1310 unter dem babylonischen Exil der Päpste vor sich geht, dreht sich um einen Lebenselixir, den Prospero, der vertriebene Herzog von Mailand, ein ausgezeichneter Philosoph und Alchymist, erfunden hat. Kaum ist die Erfindung bekannt geworden, als der Kaiser von Deutschland einen Legaten schickt, um Prospero zu einem Besuch bei ihm zu überreden, damit er durch List oder Gewalt sich in den Besitz des wunderthätigen Getränkes setzen könne. Dieser Gesandte sagt bei seinem ersten Auftreten auf die Bühne unter anderem:

      „Fürchte unsererseits keine Lächerlichkeiten, keine Spur von Sentimentalität. (Er bricht in Lachen aus.) Ich bin in alten Tagen Idealist und Träumer gewesen; jetzt aber sehe ich ein, wie lächerlich die Grossmuth ist; sei ruhig, ich bin ein positiver Mann, ein ernster Mann. Meine Collegen, die Diplomaten, sind alle zusammt Dummerjahns. Jeder von ihnen ist der Dümmste in Europa. (Er lacht). Ich bin witzig, nicht wahr? ......

      Seine Majestät, der Kaiser, mein Herr, handelt nie anders als nach den strengsten Principien der Gesetzlichkeit. Aber die politische Nothwendigkeit hat ihre Forderungen. Das Schloss Kniphausen ist ihm für seine Souveränität nothwendig. Du begreifst, dass wir uns nicht von den Kleinlichkeiten aufhalten lassen, die sentimentale Menschen zurückhalten würden“.

      Die Franzosen, die jetzt so lebhaft gegen deutsche Heuchelei losziehen, müssen sich bald vorsehen, dass man nicht gezwungen wird, den Spiess gegen sie zu drehen und sie selbst Heuchler zu nennen wegen dieses ewigen Appells an das Gefühl auf einem Gebiete, wo sie selbst noch niemals von anderen Rücksichten als rein politischen sich haben leiten lassen. Das Volk, das Ludwig dem Vierzehnten und Napoleon dem Ersten folgte, das die Pfalz brandschatzte und die drei Viertel Europas eroberte, sollte sich über dies Fürsprechen der Gefühlspolitik schämen. Die sentimentalen Rücksichten, die Napoleon von irgend einem Unternehmen zurückhielten, das seinem wirklichen oder vermeintlichen Interesse entsprach, sucht der Historiker noch immer vergebens.

      Als Gegenstück zu dem deutschen Gesandten wird Léolin, das ideale Selbstbild Renan's eingeführt, ein wandernder Ritter und Troubadour, von der Geburtsgegend des Verfassers, Bretagne. Der, welcher von dem Zauberwasser trinkt, sieht im Traum den Gegenstand seiner Sehnsucht und erreicht das Ziel seiner Begierde; als Léolin einige Tropfen trinkt, sucht und umarmt er deshalb mit Entzücken die verklärte Gestalt seiner verstorbenen Schwester. (Bekanntlich verlor Renan während eines Aufenthalts in Palästina seine einzige hochgeliebte Schwester, deren Andenken er „Das Leben Jesu“ gewidmet hat.)

      Nun ist die Reihe an dem Deutschen zu trinken. Mit thierischer Gier reisst er den Becher an sich und schlürft den starken Trank bis zur Neige, dass er sogleich wie vom Blitz getroffen zum Boden stürzt, dann schnarcht, und endlich zu träumen anfängt. Was glaubt man, dass er jetzt sagt?

      „Sieg! Sieg! hängt, brennt, erschiesst! Wir sind die Herren, Alles ist uns erlaubt um sie zum Unterschreiben von Allem, was wir wollen, zu bewegen. Grossmuth! Sentimentalität! lauter Dummheiten!

      Wie ärgerlich! Die Truppen sind allzu milde; unsere Leute verstehen wohl todtzuschlagen, aber nicht hinzurichten. Man sollte alle Dörfer verbrennen, alle Mannspersonen aufhängen. So geben sie es wohl auf, sich zu vertheidigen. (Er lacht.) Gefangene! .... Unbegreiflich, dass man Leute, die sich vertheidigen, gefangen nimmt. Man sollte sie erschiessen ... Man sollte höflich gegen sie sein bis zur obersten Stufe des Schaffots (er lacht vor Vergnügen); aber man sollte sie aufhängen .... Man muss den Krieg so grausam wie möglich führen. Sentimentalität! welch lächerliches Ding! Man soll erschiessen, man soll hängen, man soll verbrennen ... ah! welch ein angenehmer Geruch! es riecht wie gebratene Zwiebel; es sind Bauern, die man in ihren Häusern verbrennt. Von 160 sind 120 mit Säbeln niedergehauen worden. Ihr Schufte! Warum habt Ihr die übrigen geschont? Wisset Ihr nicht, dass Sentimentalität lächerlich ist? ... Wesshalb beginnt man nicht

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