Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle страница 17
»Ich habe sie hier,« versetzte Lestrade, ein Schächtelchen hervorziehend, »ich nahm sie an mich, zugleich mit der Börse und dem Telegramm, um sie der Polizei zu übergeben. Daß ich die Pillen nicht stehen ließ, war der reinste Zufall, denn ich muß sagen, ich legte ihnen keine Wichtigkeit bei.«
»Wissen Sie, Doktor,« wandte sich Holmes zu mir, »ob das gewöhnliche Pillen sind?«
Sie waren von perlgrauer Farbe, klein, rund und fast durchsichtig, wenn man sie gegen das Licht hielt. »Nach ihrer Beschaffenheit sollte ich meinen, daß sie sich in Wasser auflösen würden,« bemerkte ich.
»Das glaube ich auch,« sagte Holmes erfreut. »Bitte,« fuhr er fort, »schaffen Sie doch einmal den kleinen kranken Dachshund herbei, der schon lange in einem so traurigen Zustand ist, daß die Wirtin Sie noch gestern bat, ihn von seinen Qualen zu erlösen.«
Ich brachte das altersschwache Tier in meinen Armen herauf und legte es auf ein Fußkissen nieder, es atmete schwer und schien bereits in den letzten Zügen.
»Jetzt schneide ich eine dieser Pillen entzwei,« sagte Holmes, sein Taschenmesser herausziehend; »eine Hälfte bleibt zu späterer Verwendung in der Schachtel, die andere thue ich mit einem Theelöffel voll Wasser in dieses Weinglas. Sie sehen, der Doktor hat recht, sie löst sich schon auf.«
»Das mag sehr interessant sein,« ließ sich Lestrade in spöttischem Ton vernehmen, »nur begreife ich nicht, was es mit Stangersons Tode zu thun haben soll.«
»Geduld, mein Freund, Geduld; Sie werden es bald erfahren. Jetzt gieße ich noch etwas Milch dazu, um es schmackhaft zu machen.«
Er hatte den Inhalt des Weinglases in einen Napf ausgeleert und der Hund leckte die Flüssigkeit bereitwillig auf. Wir saßen schweigend im Kreise und erwarteten eine überraschende Wirkung, welche, nach Holmes wichtiger Miene zu urteilen, bald eintreten sollte. Aber es geschah nichts dergleichen. Der Hund lag auf dem Kissen ausgestreckt, sein Zustand war unverändert.
Mein Freund hatte die Uhr herausgezogen, und wie eine Minute nach der andern erfolglos verstrich, nahm sein Gesicht einen immer kummervolleren Ausdruck an. Er preßte die Lippen zusammen, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und verriet auf jede Weise die größte Ungeduld. Seine Gemütsbewegung war so unverkennbar, daß er mir aufrichtig leid that, während die beiden Polizisten schadenfroh lächelten und ihm den offenbaren Mißerfolg von Herzen zu gönnen schienen.
»Es kann kein zufälliges Zusammentreffen sein,« rief er endlich, vom Stuhl aufspringend; »das ist unmöglich, völlig unmöglich. Die nämlichen Pillen, deren Anwendung ich in Drebbers Fall vermutete, werden nach Stangersons Tode wirklich gefunden – und doch haben sie keine Wirkung. Wie läßt sich das erklären? – Daß meine ganze Schlußfolgerung falsch gewesen sein soll, ist undenkbar. Aber der elenden Kreatur dort merkt man gar nichts an.«
Er ging aufgeregt im Zimmer hin und her; plötzlich stieß er einen Jubelruf aus: »Ich hab’s, ich hab’s!« Er griff nach der Schachtel, schnitt die andere Pille entzwei, löste sie auf, goß Milch dazu und ließ sie von dem Hunde auflecken. Kaum hatte das arme Geschöpf sie mit der Zunge berührt, als ein krampfhaftes Zucken durch seine Glieder ging, dann lag es starr und leblos da, wie vom Blitz getroffen.
Sherlock Holmes atmete tief auf und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. »Es war unrecht, daß ich mich so leicht irre machen ließ,« sagte er. »Wenn eine Thatsache durchaus nicht zu meinen Folgerungen passen will, hat sich noch regelmäßig herausgestellt, daß es damit eine besondere Bewandtnis hat. Eine der beiden Pillen enthielt das tödliche Gift, die andere war völlig unschädlich. Das hätte ich wissen müssen, bevor mir noch die Schachtel zu Gesicht kam.«
Wie seltsam mir auch seine letzte Behauptung klang, so lag doch der tote Hund als bester Beweis für ihre Richtigkeit vor uns. Ganz allmählich begannen sich die Nebel zu zerstreuen, die mir das Verständnis verhüllten, und es dämmerte in mir eine Ahnung von dem Zusammenhang der Dinge.
»Das alles erscheint Ihnen nur deshalb so sonderbar,« fuhr Holmes fort, »weil Sie gleich zu Anfang die einzig richtige Spur, welche deutlich vorlag, nicht erkannt haben. Ich hatte das Glück, von vornherein darauf zu verfallen und alle späteren Ereignisse haben nur dazu gedient, mich in meiner ursprünglichen Vermutung zu bestärken, sie waren die logische Folge derselben. So kam es, daß alles, was den Fall in Ihren Augen verdunkelte, mir neues Licht brachte und meine Annahmen bestätigte. Außergewöhnliche Umstände bieten keineswegs immer die schwierigsten Rätsel; vielmehr sind die scheinbar alltäglichsten Verbrechen oft am geheimnisvollsten, weil wir ohne besondere Anhaltspunkte zu keinen neuen Schlüssen gelangen können. Die Lösung unseres Falles würde sehr fraglich sein, wenn man den Leichnam einfach auf der Straße gefunden hätte. Die merkwürdigen Nebenumstände erschweren die Nachforschung nicht, im Gegenteil, sie erleichtern dieselbe.«
Gregson hatte der langen Auseinandersetzung mit wachsender Ungeduld zugehört; endlich bezwang er sich nicht länger.
»Wir geben ja gern zu, Herr Holmes,« sagte er, »daß Sie ein ungewöhnlich schlauer Mensch sind und Ihr ganz besonderes Verfahren haben. Aber mit Theorien kommt man hier nicht weit. Es handelt sich darum, den Mörder festzunehmen. Was ich in dieser Sache gethan habe, scheint sich als Mißgriff herauszustellen, denn den zweiten Mord kann der junge Charpentier nicht begangen haben. Lestrade seinerseits glaubte jenem Stangerson nachspüren zu müssen und auch er war augenscheinlich auf falscher Fährte. Nach Ihren Winken und Andeutungen scheinen Sie mehr von der Sache zu wissen als wir. So gehen Sie doch einmal heraus mit der Sprache, und sagen Sie uns, wer das Verbrechen begangen hat.«
»Gregson hat ganz recht,« nahm Lestrade das Wort. »Wir haben uns bis jetzt beide vergeblich bemüht, dahinter zu kommen, und wenn Sie wirklich, wie Sie behaupten, alle Beweise in Händen haben, so hoffe ich, Sie werden nicht länger zögern, uns reinen Wein einzuschenken.«
»Das Wichtigste scheint mir doch, den Mörder unschädlich zu machen,« fiel ich ein, »damit er nicht noch mehr Unthaten begehen kann.«
So von allen Seiten gedrängt, schien Holmes unentschlossen, was er thun solle. Mit gerunzelten Brauen, den Kopf auf die Brust gesenkt, schritt er im Zimmer auf und ab, wie seine Gewohnheit war, wenn es eine große Entscheidung galt. Plötzlich blieb er uns gegenüber stehen.
»Es wird kein Mord mehr verübt werden, darüber können Sie außer Sorge sein,« sagte er mit Bestimmtheit. »Sie fragen mich nach dem Namen des Verbrechers – den kenne ich. Ja, was noch mehr ist, ich hoffe, in kürzester Frist ihn selbst in die Hände zu bekommen. Alle meine Vorkehrungen zu dem Zweck sind getroffen, aber die Ausführung erfordert große Umsicht, denn wir haben es mit einem kühnen Menschen zu thun, der zum Aeußersten entschlossen ist. Auch fehlt es ihm nicht an einem Gehilfen, der ebenso verschlagen ist wie er selbst – davon habe ich Beweise. Solange der Mann nicht ahnt, daß man ihn beobachtet, ist es möglich, seiner habhaft zu werden. Schöpfte er aber auch nur den geringsten Argwohn, so würde er einen andern Namen annehmen und unter den vier Millionen Einwohnern dieser großen Stadt spurlos verschwinden. Ich möchte Sie beide nicht kränken, doch scheint mir, daß die Polizei jenem Manne gegenüber machtlos ist. Ich habe Sie deshalb auch nicht um Ihre Hilfe angegangen, und will lieber Tadel und Verantwortlichkeit allein tragen, wenn die Sache mißlingt. Jedenfalls verspreche ich, Ihnen Weiteres mitzuteilen, sobald ich überzeugt bin, daß meine Pläne nicht mehr gefährdet werden können.«