Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle

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Die Blume von Utah

       Inhaltsverzeichnis

      Dies ist nicht der Ort, um die Drangsale und Beschwerden zu schildern, welche die ausgewanderten Mormonen zu erdulden hatten, bevor sie ihren neuen Zufluchtshafen erreichten. Von den Ufern des Mississippi waren sie nach den westlichen Abhängen des Felsengebirges gezogen, und hatten dabei eine Ausdauer und Zähigkeit bewiesen, die einzig in der Geschichte dasteht. Gegen reißende Tiere und feindliche Wilde, gegen allerlei Mühsal, Krankheit, Hunger, Durst und jedes Hindernis, das die Elemente ihnen in den Weg legten, hatten sie siegreich gestritten, obwohl unter den Schrecknissen der langen Wanderung auch dem Mutigsten bange ums Herz geworden sein mochte. Als endlich das weite Thal von Utah im Sonnenschein zu ihren Füßen ausgebreitet lag, und sie aus dem Munde des Führers vernahmen, daß es das Land der Verheißung sei, der jungfräuliche Boden, welcher ihnen auf ewige Zeiten zu eigen gehören solle, da gab es wohl keinen unter der großen Schar, der nicht freudig auf die Knie gesunken wäre, um ein Dankgebet für seine Rettung emporzusenden.

      Brigham Young zeigte bald in der Verwaltung der Ländereien ebensoviel Geschick, als er bei der Führung des Volkes bewiesen. Er ließ Vermessungen vornehmen und Pläne entwerfen, auf welchen die künftige Stadt verzeichnet war. Ringsumher wurde Ackerland abgesteckt und jedem, ohne Rücksicht auf Rang und Stand, zugeteilt. Der Arbeiter erhielt Beschäftigung in seinem Handwerk, der Handelsmann in seinem Gewerbe. In der Stadt entstanden wie durch Zauberschlag Straßen und Plätze; auf dem Lande wurden Bäume gefällt, Wiesen entwässert, eingezäunt und bepflanzt, so daß schon im nächsten Sommer der goldene Weizen auf den Feldern wogte. Alles gedieh in der wunderbaren Ansiedlung. Mitten in der Stadt wurde der große Tempel erbaut, welcher einen immer erstaunlicheren Umfang annahm. Vom ersten Morgengrauen bis zur sinkenden Dämmerung waren dort Hammer und Säge unermüdlich beschäftigt, denn es galt ja, ein Denkmal zu errichten zu Ehren dessen, der sie durch alle Gefahren sicher geleitet hatte.

      John Ferrier und seine kleine Schicksalsgefährtin, die er an Kindesstatt angenommen, hatten die Mormonen bis ans Ende ihrer Pilgerfahrt begleitet. Die kleine Lucy war unterwegs keinen allzugroßen Fährlichkeiten ausgesetzt gewesen. Sie durfte den Zug in dem Wagen des Aeltesten Stangerson mitmachen, in welchem sich außer ihr noch die drei Frauen des Mormonen befanden und sein Sohn, ein eigenwilliges, zwölfjähriges Bürschchen. Mit leichtem Kindersinn hatte sie sich schnell von dem Kummer erholt, den ihr der Mutter Tod bereitet. Sie wurde der Liebling der Frauen und gewöhnte sich bald an das neue Leben unter dem beweglichen Leinwandzelt. Auch Ferrier erholte sich nach kurzer Zeit von den ausgestandenen Beschwerden; er wußte sich als erfahrener Führer und unermüdlicher Jäger seinen neuen Gefährten nützlich zu machen und ihre Achtung zu erwerben. Als man das Ziel der Wanderung endlich erreicht hatte, wurde ihm ein ebenso großes und fruchtbares Ackerland zugewiesen wie allen übrigen Ansiedlern. Außer Brigham Young selbst erhielten nur die vier Hauptältesten Stangerson, Kemball, Johnston und Drebber ansehnlichere Besitztümer.

      Auf dem ihm zugefallenen Strich Landes baute sich John Ferrier ein festes Blockhaus, das er im Laufe der Jahre vergrößerte, bis es ein geräumiger Landsitz wurde. Er war eine durchaus praktische Natur, geschickt zu jedem Handgriff, klug und besonnen in allem, was er unternahm. Eine eiserne Gesundheit setzte ihn in den Stand, von früh bis spät thätig zu sein beim Anbau seines Grund und Bodens. Dieser angestrengte Fleiß brachte ihm reichliche Früchte, und sein Hab und Gut mehrte sich zusehends.

      Nach Ablauf von drei Jahren besaß er mehr als seine Nachbarn, nach sechs Jahren war er wohlhabend, nach neun Jahren reich, und als zwölf Jahre um waren, gab es in der ganzen Stadt am Salzsee kaum ein Dutzend Leute, die sich mit ihm vergleichen konnten. Von dem großen Binnensee bis zu dem Wahsatch-Gebirge kannte und schätzte man John Ferriers Namen allgemein.

      Einen Punkt gab es jedoch, in welchem er den Anforderungen seiner Glaubensbrüder nicht genügte. Kein Drängen und keine Ueberredungskunst konnte ihn bewegen, sich einen weiblichen Hausstand nach Art seiner Gefährten einzurichten. Er gab für seine hartnäckige Weigerung keine Gründe an, sondern begnügte sich damit, unerschütterlich bei seinem Entschluß zu verharren. Manche beschuldigten ihn deshalb der Lauheit gegen die Religionsgemeinschaft, der er beigetreten war, andere meinten, er handle aus Habgier und wünsche die Kosten zu sparen. Wieder andere sprachen von einer früheren Liebesgeschichte, und sagten, er habe im Osten ein blondes Mädchen zurückgelassen, das er nicht vergessen könne. Eins nur war sicher – Ferrier blieb ein für allemal unvermählt. In jeder andern Hinsicht unterwarf er sich aber den herrschenden Gebräuchen und galt für ein strenggläubiges Mitglied der jungen Ansiedlung.

      Lucy Ferrier wuchs in dem Blockhaus auf und half ihrem Pflegevater bei allen seinen Unternehmungen. Das Kind gedieh in der scharfen Bergluft und den balsamischen Fichtenwäldern besser, als wenn es die Pflege der besorgtesten Mutter und Wärterin genossen hätte. Wie die Jahre flohen, wurde ihre Gestalt schlanker und kräftiger, ihre Wangen röteten sich, ihr Schritt gewann an Elastizität; allmählich und unmerklich hatte sich die Knospe zur Blume entfaltet. Mancher Wanderer, den sein Weg auf der Landstraße an Ferriers Besitztum vorbeiführte, sah dem anmutigen Mädchen mit Wohlgefallen nach, wenn sie durch die Weizenfelder schritt oder auf ihres Vaters Mustang einhergeritten kam, den sie leicht und sicher zu regieren verstand, wie ein echtes Kind des Westens.

      Zur Zeit, als John Ferrier für den reichsten Farmer an den westlichen Abhängen des Felsengebirges galt, war Lucy zur Jungfrau erblüht; unversehens hatte sie die Schwelle der Kindheit überschritten, und nun kam auch für sie der Tag, an dem sie das Erwachen eines neuen, schöneren Lebens in ihrem Innern mit Stolz und Freude empfand. Ein Ereignis trat ein, das nicht nur für Lucys Zukunft von den wichtigsten Folgen war, sondern auch auf das Schicksal vieler anderer einen entscheidenden Einfluß übte.

      An einem warmen Junimorgen waren die ›Heiligen des Jüngsten Tages‹ nach ihrer Gewohnheit geschäftig wie die Bienen, die sie sich zum Vorbild erwählt haben. Ueberall auf den Feldern und in den Werkstätten vernahm man das Gewirr und Gesumme menschlicher Thätigkeit. Auch auf den staubigen Landstraßen herrschte ein buntes Leben; dort trabten lange Züge schwerbeladener Maultiere einher, die alle nach dem Westen zogen, denn das Goldfieber war in Kalifornien ausgebrochen und wer zu Lande dorthin wollte, den führte sein Weg an der Stadt ›der Auserwählten‹ vorbei. Zugleich mit den Scharen dieser Einwanderer, die sich mit ihren ermatteten Tieren mühsam weiter schleppten auf der endlosen Fahrt, begegnete man großen Herden von Schafen und Jungvieh, welche die ferner gelegenen Weideplätze verlassen hatten.

      Auf der Straße war ein dichtes Gedränge von Menschen und Tieren entstanden, aber mitten durch das Gewühl hindurch galoppierte Lucy Ferrier, sich als geschickte Reiterin einen Weg bahnend; ihre Wangen waren gerötet von der raschen Bewegung, ihre kastanienbraunen Locken flogen im Winde. Der Vater hatte sie mit einem Auftrag nach der Stadt geschickt, und sie jagte in jugendlichem Mute, wie sie schon so oft gethan, furchtlos dahin, um ihn auszurichten. Mehr als einer der wegemüden Abenteurer blickte dem kühnen Mädchen bewundernd nach; ja, selbst der stoische Indianer, der mit seinem erbeuteten Pelzwerk beladen heimkehrte, ward von Staunen ergriffen über die Schönheit des lieblichen Bleichgesichts.

      Schon hatte Lucy die ersten Häuser der Stadt erreicht, als eine große Rinderherde, die in der Hut ihrer wildblickenden Treiber von der Steppe daherzog, ihr plötzlich den Weg versperrte. Ungeduldig über dies Hindernis, sprengte sie in die erste beste Lücke hinein, die sich zu öffnen schien. Kaum aber hatte sie das gethan, als die gehörnten Scharen hinter ihr nachdrängten und sie sich mit ihrem Pferde fest eingekeilt sah in dem unaufhaltsam vorwärts flutenden Strome. Ohne über ihre Lage zu erschrecken; benutzte sie geschickt jeden Vorteil, der sich ihr bot, um weiter zu kommen, und trieb ihr Pferd an, in der Hoffnung, sich einen Weg durch die Herde zu bahnen.

      Dabei geriet jedoch ein junger, feuriger Stier in allzu nahe Berührung mit dem Mustang und stieß seine Hörner in dessen Weichen. Das Pferd ward wild, stieg auf die Hinterbeine, schnaubte

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