Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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»Ich hoffe, Sie haben keinen Schaden genommen, Fräulein,« sagte Lucys Retter in ehrfurchtsvollem Ton.
Sie sah ihm beherzt in das dunkle, kühne Antlitz und erwiderte unbefangen: »Einen furchtbaren Schrecken habe ich gehabt, wer hätte auch denken können, Poncho würde sich von einer Herde Ochsen ins Bockshorn jagen lassen.«
»Gottlob, daß Sie sich fest im Sattel hielten,« sagte der andere ernst. Er war ein junger Bursche von kräftigem Gliederbau und etwas verwildertem Aeußern, trug ein grobes Jägerwams, eine lange Büchse über der Schulter und ritt auf einem mächtigen Braunfuchs.
»Sie sind wohl John Ferriers Tochter,« fuhr er fort, »ich sah Sie unten von seinem Hause wegreiten. Fragen Sie ihn doch einmal, ob er sich noch an Jefferson Hope aus St. Louis erinnert. Wenn er der Ferrier ist, den ich meine, müssen mein Vater und er gute Freunde gewesen sein.«
»Wollen Sie nicht lieber kommen und ihn selbst danach fragen?« entgegnete sie mit freundlicher Miene.
Dem jungen Manne schien der Vorschlag zu behagen, seine dunklen Augen glänzten vor Vergnügen. »Das will ich thun,« sagte er; »ich bin zwar jetzt mit meinen Kameraden zwei Monate im Gebirge gewesen, da sehen wir nicht gerade besuchsmäßig aus, vielleicht nimmt Herr Ferrier aber mit uns fürlieb wie wir sind.«
»Mein Vater ist Ihnen großen Dank schuldig,« erwiderte sie, »und ich gleichfalls. Er hat mich sehr lieb, und wenn mich die Tiere zu Boden getreten hätten, wäre er nie wieder froh geworden.«
»Ich auch nicht,« versicherte der Jäger.
»Sie? – Ja, was sollten Sie sich denn groß darum kümmern? Sie gehören ja nicht einmal zu unsern Freunden.«
Die Miene des jungen Mannes verfinsterte sich so sichtlich, als Lucy Ferrier diese Aeußerung that, daß sie hell auflachte.
»Nein, so meine ich das nicht; natürlich sind Sie jetzt ein Freund unseres Hauses. Kommen Sie nur recht bald uns zu besuchen. Doch ich muß weiter, sonst läßt mich Vater nie wieder ein Geschäft für ihn besorgen. Auf Wiedersehen!«
»Auf Wiedersehen,« sagte er, sich über ihre kleine Hand beugend, und nahm seinen breiten Sombrero ab. Sie ließ ihren Mustang eine kühne Schwenkung machen, versetzte ihm einen leichten Schlag mit der Peitsche und flog davon, die Landstraße hinunter, eine hohe Staubwolke hinter sich aufwirbelnd.
Der junge Jefferson Hope ritt mit seinen Gefährten langsam und schweigend weiter. Sie waren im Gebirge von Nevada gewesen, um nach Silber zu suchen, und kamen jetzt in die Salzseestadt zurück, mit der Hoffnung, dort ein Kapital zusammenzubringen, um die Erzgänge ausbeuten zu können, welche sie entdeckt hatten. Er war voll Eifer für das Unternehmen gewesen, bis das heutige Erlebnis seinen Gedanken eine andere Richtung gab. Der Anblick des schönen jungen Mädchens, das so frisch und frei war wie die Luft im Gebirge, hatte sein ungestümes, leidenschaftliches Herz bis in die innersten Tiefen erregt. Als sie ihm aus den Blicken entschwunden war, wußte er, daß ein Wendepunkt in seinem Leben eingetreten sei, und daß weder die Silbermine noch sonst etwas auf der Welt für ihn von Bedeutung war, neben dem neuen, ihn ganz beherrschenden Gefühl. Die Liebe, die in seinem Innern erwachte, glich nicht der plötzlichen und veränderlichen Laune eines Knaben, es war die wilde, unbezwingbare Leidenschaft eines Mannes von stolzem Sinn und starkem Willen. Alles was er bisher unternommen hatte, war von Erfolg gekrönt gewesen. In seinem Herzen gelobte er sich, auch dies höchste Gut zu erringen, wenn es für sein feuriges Streben irgend erreichbar war.
Noch am selben Abend besuchte er John Ferrier und ward seitdem ein häufig gesehener Gast in seinem Hause. Der alte Farmer war in den letzten zwölf Jahren ausschließlich mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen und hatte sich wenig um die Außenwelt gekümmert. Durch Jefferson Hope erhielt er nun Kunde von dem, was sich draußen zugetragen, und alles, was dieser erzählte, zog Lucy ebenso sehr an, wie ihren Vater. Der junge Mann war als Pionier nach Kalifornien gegangen und wußte seltsame Dinge davon zu berichten, wie Reichtümer gewonnen und wieder verloren wurden in jenen Tagen wilder Begierde. Auch Pfadfinder war er gewesen und Pelzjäger, Silbergräber und Landwirt. Wo es galt, kühne Abenteuer zu bestehen, war Jefferson Hope überall als einer der ersten zu finden. Der alte John Ferrier, dem er bald lieb und wert wurde, ergriff jede Gelegenheit, um Gutes von ihm zu reden und ihm Lob zu spenden. Lucy schwieg dann meist still, aber ihre glühenden Wangen und hellen, glückstrahlenden Augen verrieten nur zu deutlich, daß die Liebe in ihrem Herzen Einzug gehalten hatte. Ihr wackerer Vater gewahrte vielleicht nichts von solchen Anzeichen, aber dem Manne, welcher das holde Mädchen für sich zu gewinnen trachtete, blieben sie nicht verborgen.
An einem Sommerabend stand Lucy auf der Schwelle des Hauses und sah Jefferson die Straße herabreiten und am Gitterthor halten. Als sie die Stufen hinunter eilte, um ihn zu begrüßen, band er rasch sein Pferd an den Zaun, und kam ihr auf dem Fußsteig entgegen.
»Ich muß fort, Lucy,« sagte er, ihre Hand ergreifend und ihr zärtlich ins Auge blickend. »Ich will dich nicht bitten, mir schon jetzt zu folgen, wirst du aber bereit sein, mit mir zu ziehen, wenn ich zurückkehre?«
»Und wann wird das sein?« fragte sie mit freudigem Erröten.
»In einigen Monaten. Dann komme ich, Geliebte, und bitte um deine Hand.«
»Was wird aber der Vater sagen?«
»Er hat seine Einwilligung gegeben, wenn es uns mit den Silberminen glückt. Davor ist mir nicht bange.«
»Nun, wenn ihr darüber eines Sinnes seid, der Vater und du, so darf ich keinen Einspruch erheben,« flüsterte sie und barg ihre glühenden Wangen an seiner starken Brust.
»Gottlob!« rief er beglückt, und drückte ihr einen innigen Kuß auf die Lippen, »soweit ist alles gut. Lebe wohl, mein Herz, ich darf nicht länger bleiben, sonst wird mir das Scheiden zu schwer. Die Kameraden warten auf mich in der Bergschlucht. In zwei Monaten sehen wir uns wieder. Lebe wohl!«
Er riß sich aus ihrer Umarmung, sprang in den Sattel und trabte mit Windeseile davon. Nicht einen Blick warf er noch zurück, als fürchte er, die Kraft möchte ihm versagen, wenn er sich noch einmal umschaute nach dem Glück, welches er verließ. Sie blieb am Gitterthor stehen und sah ihm nach, bis er ihren Augen entschwunden war. Dann kehrte sie ins Haus zurück. Ein glückseligeres Mädchen als Lucy Ferner gab es in jenem Abend in ganz Utah nicht.
10. John Ferrier spricht mit dem Propheten
Drei Wochen waren vergangen, seit Jefferson Hope mit seinen Gefährten die Salzseestadt verlassen hatte. Bei dem Gedanken an seine Rückkunft und den Abschied von der geliebten Pflegetochter wollte John Ferrier das Herz wohl oft schwer werden; aber ein Blick in ihre glückstrahlenden Augen ließ ihn das eigene Leid vergessen. Er hatte von jeher fest bei sich beschlossen, daß ihn nichts in der Welt bewegen sollte, sein Kind einem Mormonen zur Frau zu geben, weil er eine solche Ehe als Schmach