Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin Singer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman - Kathrin Singer страница 12
Ein paar Tage nach Weihnachten standen er und Franzi am Fenster und schauten hinaus.
»Es schneit schon wieder«, rief der Kleine begeistert. »Da kommt bestimmt Onkel Korbi und wird uns unsere Bahn wieder freimachen, Mama, kriege ich im nächsten Winter auch Bretteln? Das wäre so schön. Es macht ja nichts, wenn ich am Anfang hinfalle und …«
Er brach ab, als Franzi plötzlich aufschrie: »Nein!« Ihre Stimme zitterte, und sie war ganz blass geworden.
»Was ist los?«, fragte ihr Vater, der gerade in die Stube gekommen war.
»Etwas, das nicht wahr sein darf. Vater, der Mann, der den Steig heraufkommt …«
»Ja, was ist mit dem?« Josef Feistauer sah nun auch hinaus. »Ich kenn’ ihn nicht.«
»Nein, Vater, du kennst ihn nicht, aber ich. Das ist der alte Wurzinger.«
»Was will denn der bei uns?«, fragte der Vater und schüttelte den Kopf.
»Ja, eben.« Franzi war blass geworden. »Wenn der hier auftaucht, kann es nichts Gutes bedeuten. Er kommt schon auf die Haustür zu. Bleib bei Stepherl, Vater, vielleicht kann ich den Besucher abwimmeln. Der Junge soll ihn gar nicht erst sehen.«
Doch da hatte Stepherl den Mann schon erkannt. Er begann zu zittern und stammelte: »Der böse Großvater.«
Josef Feistauer zog ihn an sich, während Franzi hinauslief. Als sie die Haustür öffnete, lachte Rupert Wurzinger breit. »Na, Madl, wir kennen uns ja. Tu nicht so, als wolltest du mir die Tür verstellen. Nach dem weiten Marsch und dem Gekraxel hier herauf, hab’ ich’s nötig, mich aufzuwärmen. Du wirst mir doch wohl deine Gastfreundschaft nicht versagen?«
»Was wollen Sie hier?«, stieß Franzi hervor und machte keine Anstalten, die Tür freizugeben.
»Das werd’ ich dir drinnen sagen. Oder ist es hier üblich, dass man vor der Haustür miteinander redet? Ich bin in einer wichtigen Sach’ gekommen.«
»Also gut.« Franzi trat einen Schritt zur Seite, dann ging sie voran in die Wohnstube. Dort drückte sich Stepherl ganz fest an ihre Mutter. Der Kleine hatte Angst, das sah man deutlich.
»Na also, da ist ja der Bengel.« Rupert Wurzinger blieb breitbeinig mitten in der Stube stehen. »Zieh ihn gleich an, Madl, ich hab’ nicht lange Zeit.«
»Warum soll ich ihn anziehen?« Franzi stellte sich schützend vor Stepherl.
»Warum wohl?«, fuhr sie der unwillkommene Besucher an. »Weil ich ihn mitnehmen will, deshalb.«
»Was wollen Sie?« Franzis Stimme zitterte. »Stepherls Mutter hat ihn mir mitgegeben, ich hab’ ein Gesuch um die Pflegschaft gestellt.«
»Dazu wird’s nicht mehr kommen. Ich war schon auf dem Jugendamt. Ich bin neben Stepherls Mutter sein nächster Verwandter, und mir steht es zu, ihn aufzuziehen. Dieses Recht hat man mir zugesprochen. Der kleine Erbe vom Stettner-Bauern wird bei mir wohnen.«
Josef Feistauer sah Rupert Wurzinger zornig an. »Aha, daher weht der Wind. Sie haben erfahren, dass Stepherl geerbt hat, und nun ist er Ihnen wieder willkommen. Aber daraus wird nichts, wir geben den Jungen nicht her. Was hätte er denn bei seiner Mutter und Ihnen zu erwarten …«
Rupert Wurzinger fiel ihm ins Wort. »Zu seiner Mutter kommt er nicht. Die hat inzwischen ihren Bauern geheiratet. Gut geht’s ihr jetzt, der Nani. Der Junge kommt zu mir auf die Schutzhütte.« Er öffnete seinen dicken Rock und zog ein Papier aus der Innentasche. »Da, hier habt ihr es schwarz auf weiß, dass ihr mir den Jungen herausgeben müsst. Was Recht ist, muss Recht bleiben, und es steht auf meiner Seite.«
Josef Feistauer las das Schreiben und reichte es dann Franzi. Mit schwerer Stimme sagte er: »Da werden wir machtlos sein, Dirndl.«
Rupert Wurzinger lachte boshaft. »Gut, dass du das einsiehst, Feistauer-Bauer. Nun setz mal deiner Tochter den Kopf zurecht. Ich hab’ keine Lust, hier noch lange zu verhandeln, es wird bald dunkel werden.«
»Ich geb’ aber Stepherl nicht her.« Franzi kämpfte mit den Tränen, während sie den Jungen fest an sich drückte.
»Vermaledeit noch mal«, schrie der Wurzinger, »führ dich hier nicht so auf, Madl. Wenn ihr wollt, könnt ihr es auch anders haben. Dann komm’ ich nämlich mit dem Gendarm, und der wird nicht lange fackeln mit euch. Was ich mitgebracht hab’, ist eine behördliche Verfügung, das seht ihr doch ein. Wenn euch der Bub so sehr am Herzen liegt, wie ihr tut, dann lasst ihn nicht durch den Gendarm abholen. Das könnt’ ihn noch mehr verängstigen. Er schaut ja jetzt schon drein, als wollt’ ich ihm den Kopf abhacken. Schön verzogen habt ihr ihn.«
»Ich will nicht mit«, weinte Stepherl. »Bitte, Mama, lass mich bei dir. Der Großvater ist doch so bös’. Da muss ich gleich wieder im Heu schlafen.«
»Jetzt halt aber den Schnabel«, schrie ihn der Wurzinger an. »Du hast hier gar nichts mitzureden. Wohin kämen wir denn, wenn das so ein Rotzbub könnt’?«
Franzi verlegte sich aus Hilflosigkeit aufs Bitten. »So haben Sie doch ein Einsehen und lassen Sie uns den Bub da. Er hat sich bei uns gut erholt, und Sie sehen doch, dass er an meinem Vater und mir hängt. Ich bitt’ Sie …«
»Ihr seid fremde Leute für ihn.« Der Wurzinger wurde immer wütender. Nicht nur Stepherl jagte er Angst ein, sondern auch Franzi und ihrem Vater. Schon sein Aussehen war furchterregend. Jetzt griff er nach dem Anorak, den Franzi Stepherl gerade ausgezogen hatte.
»Da, schlupf hinein«, herrschte er den Kleinen an, »damit du mir draußen nicht erfrierst. Und hier sind die Handschuh! Stiefel hast du ja noch an.«
Noch einmal versuchte es Franzi mit Bitten, doch es war zu spüren, dass sie jedes Wort vergeblich sagte. Der alte Wurzinger schleppte Stepherl schon zur Tür, sosehr der sich auch dagegen wehrte.
»Draußen hab’ ich einen Rodel gesehen. Mit dem fahren wir in den Ort hinunter. Das spart uns Zeit. Ihr könnt ihn ja irgendwann mit heraufnehmen.« Ohne einen Gruß verließ der Wurzinger die Stube.
Franzi blieb wie erstarrt auf ihrem Platz stehen. Stepherls Weinen drang bis ins Haus.
Josef Feistauer sah hinaus. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und konnte ebenso wenig wie Franzi verstehen, was da eben geschehen war. Er sah, wie der Wurzinger sich auf den Rodel setzte, Stepherl mit aller Gewalt vor sich zog und einen Arm wie eine Klammer um ihn legte. Dann ging es bergab.
Franzi sank in einen Sessel und weinte hemmungslos. »Das darf doch nicht wahr sein«, stammelte sie immer wieder.
»Das mein’ ich auch.« Ihr Vater strich ihr über den Kopf. »Aber wir waren die Schwächeren, Dirndl. So geht’s eben manchmal zu auf der Welt, auch wenn man zum Himmel schreien könnt’. Beruhige dich, deine Tränen bringen uns unseren Stepherl nicht zurück.«
Josef Feistauer schaffte es nicht, Franzi zu beruhigen. Er hatte sie noch nie so verzweifelt gesehen.
Und draußen schneite es weiter. Die dicken weißen Flocken verwandelten alles in eine Märchenlandschaft.
Doch drinnen, in dem kleinen Bergbauernhof, war nichts mehr in der alten Ordnung.