Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 238
»Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Cigarren, die – – die – – ich habe ja nichts, gar nichts gegessen!«
»Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.«
»Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!«
Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzl uns leuchtete, an derselben hinaus und die Treppe hinauf, wo unsere »gute Stube« lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte, sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.
»Gute Stube!« Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdrucke zu bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen sogenannten »besseren« Möbeln und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater her aufgestellt und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders ehren will, als Schlafzimmer dienen.
Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings »Salons« genannt. An ihre Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Thür hinauskomplimentiert.
Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig und dennoch, zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle. Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schragen, welcher wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark-und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs-, sondern auch auf alle übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein und sagte:
»Freund Sappho, ein gütiges Geschick hat uns in das Elysium geführt; Franzl ist das Geschick, und wo sich das Elysium befindet, das brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Es weht ein Odem überirdischen Behagens hier, dem jede Krankheit weichen muß. Ich werde die letzten zwei Stunden in meinem ganzen Leben nicht vergessen; es war mir unbeschreiblich schauderhaft zu Mute. Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, sondern ich kam mir wie ein großer, dicker Sack voll Jammer und Elend vor. Ich habe alle zehntausend Niederträchtigkeiten des Erdenlebens in diesen beiden Stunden durchgemacht und bin davon so vollständig befriedigt worden, daß ich satt genug für immer bin. Das Nikotin ist ein Drache, der mich niemals wieder in seine Krallen bekommen soll, und das Alkohol eine Schlange, die ich zähmen werde, weil man doch nicht für immer von ihr loskommen kann, denn sie taucht in hunderterlei Arten auf, die oft gefährlich, zuweilen aber auch nützlich sind. In meiner höchsten Qual und Not nahm ich mir vor, dir, meinem Freunde, an Eides statt ein heiliges Versprechen abzulegen, nur wußte ich noch nicht in welcher Form. Nun ich aber hier in dieser guten Stube die verloren gegangene Lebensfreude wieder finde und auch fast wieder logisch denken kann, verspreche ich dir bei diesen Schinken und Würsten, welche die erlaubten, die wahren Genüsse des Lebens repräsentieren, daß ich mich niemals wieder von einem heuchlerischen, hinterlistigen Genusse verlocken lassen werde, auf meine Menschenwürde, wenn auch nur für eine Stunde, zu verzichten. Es ist nicht Scherz, sondern mein vollster, wahrster Ernst. Nie wieder soll der Tabak meine Lippen berühren, und jedes Getränk, welches Alkohol enthält, sei mir fortan nur als Arznei erlaubt. Ich habe mein Versprechen bei diesen ehrlichen Schinken und hochachtbaren Würsten abgelegt; du bist dessen Zeuge und sollst mich vor jedermann für einen ehrlosen Menschen erklären, wenn du mich jemals rauchend oder gar berauscht zu sehen bekommst. Hier, meine rechte Hand darauf!«
Der sonst so wortkarge Freund pflegte nur gegen mich, zumal während unsrer Wanderungen, aus seiner Schweigsamkeit herauszutreten; jetzt hatte er gar eine Rede gehalten, was mir als unumstößlicher Beweis dafür diente, daß es ihm völliger Ernst mit seinem Versprechen war. Ich will übrigens gleich jetzt und im voraus bemerken, daß, wie meine lieben Leser später auch selbst noch sehen werden, er dieses Versprechen stets gehalten hat.
Ich nahm die mir dargereichte Hand, schüttelte sie ihm herzlich und sagte:
»Es freut mich, daß du die Lehre, welche du erhalten hast, beherzigen willst. Die Virginias wachsen nicht für Knaben, sondern nur für erwachsene Männer auf den Tabaksbäumen Österreichs.«
»Du nennst mich, deinen Busenfreund, einen Knaben?!«
»Ja.«
»Und denkst wohl aber, du selbst seist ein Mann?«
»Ja.«
»Wohl etwa nur darum, weil die Cigarren dich nicht elend gemacht haben wie mich?«
»Ja, denn es war eine höchst männliche Selbstbeherrschung von mir, daß ich dieses Kraut des Teufels mäßig genossen habe, während du grad wie ein kölner Funke geräuchert und gestopfholzt hast.«
»Dafür hast du aber mehr Wein getrunken als ich!«
»Weil ich merkte, daß ich ihn vertragen konnte!«
»Ja, leider bist du in dem glücklichen Besitze eines Magens, dem es ganz gleichgültig ist, ob er jetzt drei volle Tage hungern und gleich darauf einen ganzen Berg voll Kieselsteine, Beißzangen und Ofengabeln verdauen muß! Das ist aber gar kein Beweis der Männlichkeit, mit welcher du dich brüstest. Wer einen Knaben seinen Busenfreund nennt, ist selbst noch ein Knabe; das merke dir. Nicht du selbst bist mir über, sondern nur dein Magen ist besser als der meinige; das ist die ganze, bevorzugte Stellung, welche du in der heutigen Weltgeschichte einnimmst.«
»Mein Sohn, ich habe dich vor den Folgen des Tabaks gewarnt, und wer einen andern Menschen warnt, der beweist damit, daß er ihm über ist. Ich habe sogar jetzt wieder eine Warnung, eine sehr ernste, eindringliche und berechtigte Warnung auf den Lippen.«
»Welche?«
»Bist du bereit, sie zu vernehmen?«
»Ja.«
»Und wird deine Moralität auch kräftig genug sein, sie zu beherzigen?«
»Ich hoffe es.«
»So sage mir: Wie lautet das siebente Gebot, mein lieber Sohn?«
»Du sollst nicht stehlen,« antwortete er ernsthaft, als ob er ein Examen zu bestehen hätte. »Hältst du mich etwa für fähig, ein Dieb zu sein?«
»Ja.«
»Mensch, ich fordere