Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 71
Und Mama weiß ganz gut, daß die Diamantentiara mir gehört von meiner Mutter, und ich gönne sie ihr gern, wenn ich nur meine alte Spange habe. Und seither ist es nie mehr auch nur ein wenig gut geworden.«
»Seelchen, das alles darfst du nicht für dich geheim halten.«
»O nein, ich habe es dem Herrn Geheimrat geklagt. Und er sagte mir, wenn er nun meinen Beichtvater abgeben sollte, so müßte er immer alles im Herzen behalten, was ich ihm sagte. Ich fragte nur, was soll ich tun? Ich muß mit Menschen leben, denen meine Qual Freude macht. O Harro, ich habe das rote Feuer mehr als einmal flackern sehen. Und wehren kann ich mich nicht, ich muß es dulden. Ich habe gefühlt, je mehr ich leide, desto mehr wächst die Lust am Quälen.
Aber der Herr Geheimrat – er sieht ein wenig so aus wie der Herr Stiftsprediger, weil sie beide etwas Priesterliches haben – und er sagt mir, daß es nur ein Mittel gäbe zwischen Himmel und Erde, den Haß zu überwinden. Und daß Haß nur mit Liebe überwunden werden könnte.« »Heuchelei, Rosmarie, Heuchelei. Was ist da zu lieben dabei? Wenn die Herren Bibel zitieren, zitiere ich auch: sie legen unerträgliche Lasten auf und rühren sie selbst mit keinem Finger an ... Lieben!«
»Ich habe auch bisher immer nur Haß gehabt. Oh, wie habe ich gehaßt, Harro! Mein ganzes Unglück hier kam doch von meinem Haß. Und der Haß macht so töricht. Ich dachte in jener Gewitternacht, Harro, – als ich am schlimmsten haßte, jenes Kindlein müsse werden wie sie und ihren ganzen Abscheu gegen uns und die alten lieben Dinge mitbringen. Und Vater sagt immer: Wenn nur ein einziges Glied nicht treu ist, so ist die goldene Kette zerrissen, namentlich in unsern Tagen. Alles geht verloren, um was die Alten gekämpft und gelitten haben. Du weißt, Harro, das rote Licht, es muß erlöschen! Und weil ich so schlimme Gedanken gehabt hatte in jener Nacht, konnte ich Tante Helen, die mich ausfragte, nicht in die Augen sehen, und alles, was ich hätte zu meiner Entschuldigung sagen können, blieb mir im Halse stecken. Nein, hassen will ich nie wieder – nie ...«
»Verschwör es nicht. Wer lieben kann, muß auch hassen können. Haß mit Liebe zu erwidern, damit gibt sich niemand ab ...«
Rosmarie unterbrach ihn. »Wenn sonst niemand, so hat es doch Jesus getan. Und du mußt sagen, daß er gesiegt hat. Wenn sie ihn auch haben verschmachten lassen. Und nun knien wir vor ihm, Harro –«
Aber Harro antwortet nicht.
»Und der Herr Geheimrat sagte auch, daß es sehr schwer sei, und darum auch die höchste Ehre dabei, die doch nur bei den ganz schweren Dingen zu holen sei.«
»Nun, du kannst mir ja sein Rezept sagen, da wäre ich doch gespannt, oder ließ er dich mit der allgemeinen Vermahnung sitzen?«
»Nein, aber so schön und gelehrt wie er mir das sagte, kann ich es dir nicht sagen. Ich habe es mir ausgedacht.«
»So höre ich es auch lieber, Rosmarie – also dichte wieder!« »Zuerst muß man den Haß begraben. Er macht doch recht unglücklich, der Haß.«
»Findest du? Er kann auch wärmen, so ein rechter, solider Haß.«
»Mich macht er unglücklich. Hat man ihn aber begraben, er liegt noch ziemlich lebendig in seinem Grabe, jeden Augenblick bereit, wieder aufzustehen ...«
»Du hast bereits einen Fehler gemacht, Rosmarie, in deiner Dichtung, und hast eine Etappe übergangen, – aber ich bescheide mich – weiter –«
»Aber auch solange er da unten liegt – ja die Leere, die es dann gibt. Und dann muß man suchen, wie man auf dem Grab ein Kräutlein Liebe pflanzen kann. Zuerst steht's recht jämmerlich. Am besten ist's, man pflanzt ein kleines Mitleid. Das geht am leichtesten auf in dem Boden, unter dem der Haß liegt. Ist der nicht sehr unglücklich, der andere nicht sehen kann, ohne daß es ihn verlangt, sie zu quälen?«
»O warum? Es gibt solche, die sich vergnüglich am Höllenfeuer wärmen.«
»Vielleicht doch nicht so viele. Und dann. Kommt denn nicht jeder Stein, den man nach einem andern wirft, zurück auf den, der ihn wirft?«
»Kommt er wirklich zurück, Rosmarie? Es ist mir doch zweifelhaft. Es gedeihen manche in ihrem Bosheitselement ganz gut.«
»Ach, nie für immer, Harro. Du kannst sicher sein, auch in kleinen Dingen kommen die Steine zurück. Sieh, Mama ärgert sich, weil ich eines Abends in meinem Morgenkleid und meinen offenen Haaren nicht häßlich bin, sie muß mir meine arme Spange herunterreißen. In dem Augenblick wird sie so häßlich, eine Furie, die doch so schön war in all ihrem Schmuck. – Und in jener Nacht! Ach Gott, wie sind die Pfeile zurückgekommen. Eine Wolke von Pfeilen. Ihr Kind hat sie verloren, es hätte vielleicht ihr Herz auch weicher gemacht. Und so wächst das Kräutlein Mitleid, man muß es freilich mit Tränen begießen. Und allein ist man auch nicht. Es kommt einmal ein goldener Regen auf das Grab.«
»Seelchen, ich lasse dich nicht mit Gewalt zu einer Heiligen machen, ich will mit deinem Vater sprechen, – ich ...«
»Aber, Harro, sei doch nicht so ungestüm! Wer tut mir denn jetzt etwas zuleide! Und willst du ihm nicht sein bißchen Seelenfrieden hier gönnen die kurze Zeit?«
In seinem sonnigen Winkel sitzt der Fürst regungslos, die beiden Seelen da draußen müssen ihn vergessen oder gar nicht gewußt haben, daß er da war. Seine Zeitung ist ihm entglitten.
Ach, sein armer Seelenfriede.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Haus Thorstein
Die Sonne meint es in diesem Jahre selbst für die Riviera gut. Wenn sich des Abends die seltsamen dunkelblauen Wolken hinter den Bergen häufen und des Nachts der Himmel Ströme vergießt, am andern Morgen blitzt wieder Sonnenschein auf den hüpfenden Wellen, und ein leuchtend grüner Schimmer liegt schon unter den Olivenwäldern. Im Garten der Villa Riposa fliegt ein Veilchenduft, und die Mandarinenbäume lassen ihre kleinen goldenen Früchte zu Hunderten fallen. Ganz wie es sich für einen verzauberten Garten gehört, hebt sie kein Mensch auf, so daß sie verfaulen. –
»Man darf überhaupt hier nur auf Meer und Landschaft sehen,« sagt der Fürst zu Harro auf einem der weiten Gänge, die sie nun miteinander machen. »Sieht man darauf, wie es die Leute betreiben, das beelendet einen zu sehr –«
Die beiden Herren sitzen auf einem Felsblock, der da unter dichtem Myrtengestrüpp in der Sonne liegt. Sie sehen weit hinunter auf die Meeresflut, die weiße Strandlinie und die herrlichen Bergformen in ihren wundervollen blauen Abstufungen.
»Blau, blauer, am blauesten!« ruft der Fürst. »Man wird sie jetzt ein wenig gewohnt, die blaue Welt. Man bringt von unserem lieben Deutschland das Vorurteil mit, daß die Welt grün sein müsse. Hier ist sie gelb und blau. Sehen Sie dort die blauen Bäume.«
»Oliven sind's, wie die sich an die Berghalden schmiegen und sie auskleiden. Diese Olivenwälder, – auch in sie muß man sich hineinsehen lernen. Diese zerrissenen Stämme, diese feinen, gedrehten, ineinander verbogenen Zweige. Jeder Baum eine Individualität. Am schönsten, wenn die Abendsonne hindurchscheint und die innersten Geheimnisse des Baumes offenbart. Denn der Baum bleibt immer durchsichtig, die feinen schmalen Blätter lassen jeden Lichtstrahl hindurch.«