Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 96
»Es wird nichts werden. Ich hatte einen Traum gestern. Und ich sei doch mit dir in Schweigen gewesen und du hättest mir die Sage von dem Braunecker und der Fee erzählt. Und du warst wieder das Seelchen und sehr eifrig dabei und wußtest alles ganz genau.«
»Nie bist du mit mir dort gewesen und hast es mir doch versprochen.«
»Sie wollten es ja alle nicht.«
»Und weißt du nun die Sage?«
»Natürlich nicht genau. Nur soviel, daß die zwei an einem Brunnen standen, der Ritter und die Fee. Und es war mir noch so warm im Herzen, daß ich die Skizze hingeworfen habe, aber weiter wird es wohl nicht gedeihen.«
»Warum? Ist das schöne Feuer schon wieder erloschen?«
Harro bohrte die Hände in die Taschen und zuckte die Achseln. Rosmaries Augen sahen auf den Boden. Die Skizzen alle – es zuckt etwas durch ihr Herz, eine dunkle Röte steigt in ihre Wangen, und etwas spricht in ihr: »Heute morgen wolltest du ihm alles geben. Alles, alles. Und jetzt marktest du!«
Harro ist ins Nebenzimmer verschwunden, und sie hört ein Wassergeplätscher. Da fällt ihr ein, daß sie noch nicht einmal ihres Mannes Schlafzimmer kennt. Als sie das Atelier anzusehen gekommen war, hatte er es verschlossen gehabt. Und seither war sie nie allein hier gewesen. Aber nun will sie hinein. Und Harro kommt wieder heraus und sagt: »Ich gehe Märt holen. Er soll den Greuel fortschaffen.«
Und kaum ist er draußen, so schlüpft sie hinein. Ein hoher schmaler Raum mit Fenstern nach dem Garten hinaus. Die Wände weiß gestrichen, ein langes uraltes Bett aus schwarzem Eichenholz mit plumpen Beinen. Darin ein weißes Laken über etwas Hartem, Knisterigem, ein kleines Kopfpolster, und eine wollene Decke zwischen einem andern Laken. Eine große runde Holzbütte, über der ein Wasserhahn aus der Wand ragt, ein eiserner Waschtisch mit einem grün glasierten Krug und eine Schale. Ein tannener Kasten, in dem wohl Wäsche ist. Keine Vorhänge an den Fenstern, kein Teppich auf dem Boden. Rosmarie hat einmal eine Mönchszelle gesehen, die war wohnlicher.
Und drüben ihr Himmelbett mit seinem Spitzengehänge und den seidenen Decken, ihre Kristallspiegel, ihr Waschtisch mit blauen Kacheln, ihre geschnitzten Schränke. Hier baumelt ein einsames Badetuch an der Wand an einem Nagel, und ein Spiegel ist da, grün gerahmt und handgroß.
Rosmarie setzt sich auf das harte knisterige kleine Kopfpolster. Und plötzlich steht er in der Türe.
»Rosmarie, was tust du da?«
»Ich schäme mich.«
»Ja warum denn?«
»Es ist so ... so arm hier. Und was hast du für ein goldenes Haus um mich gebaut.«
Harro lacht. »Schlägt dein Hausfrauengewissen? Du kannst ruhig sein, Rose. Ein Daunenbett wie bei dir, das hielte ich nicht aus.«
»Aber sag mir doch, worauf du liegst. Es knistert so seltsam?«
»Stroh, Teuerste. Frisches, schönes Stroh. Ein ganz neues Bett jedes halbe Jahr. Das bekommst nicht einmal du. Man schläft großartig darauf, und es hat den Vorzug, es wirft einen am Morgen von selbst heraus. Man kann beim Aufwachen nicht zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön!«
»Ich will auch ein Strohbett, Harro!«
»O du törichte Rose. Komm gleich, es hat zum Essen geläutet, und ich habe Hunger, übrigens saß die Fee so auf dem Brunnenrand, wie du eben auf dem Knechtsschragen.«
»Sie war wohl tausendmal schöner als ich.«
»Oh, du möchtest eine Schmeichelei hören, Rose.«
Sie gehen hinüber zum Essen. Es wird schon so schnell dunkel. Und Harro eilt heute nicht wie sonst zu irgendeiner Arbeit davon. Seine Hände, die nicht müßig sein können, kneten Wachs und Plastilin, und wenn etwas Gestalt gewinnen will, zerdrückt er es wieder.
Rosmarie ist heute so schweigsam! Und sie läßt ihn so schön in Ruhe. Sie streicht kein einziges Mal mit ihren feinen Händen an seinen Schläfen herunter, und sie kommt ihm nicht mit dem Duft ihrer Haare zu nahe, daß sein Herz so wild hämmern muß. Ein klein wenig sehen ihre Augen aus, wie wenn sie geweint hätte. Aber ihre Stimme ist ganz klar. Und sie sitzt so schön weit weg von ihm und beugt ihren goldenen Kopf so tugendreich über ihre Stickerei.
Eine zweite Schwanenjungfrau wie seine Rose gibt es nicht noch einmal.
»Und der Ritter,« fragt sie plötzlich.
»Der Braunecker? meinst du. Ja, woher den nehmen?«
»Sei du der Braunecker, Harro.«
»Ich werde wohl müssen. Ich wollte deinen Vater nehmen. Gibt es vielleicht ein Jugendbild von ihm? Oder war der Ritter gar nicht mehr so jung.«
Rosmarie schaut auf. »Ich glaube, ich weiß die Geschichte, Harro.«
»Ei, wie merkwürdig. Durch Inspiration. Jetzt eben?«
»Ich habe die Geschichte doch heute nacht in deinem Traume gewußt, Harro.«
Sie lächelt fein und eigen. Harro wirft sich in seinen Stuhl zurück und lacht behaglich.
»Nun erzähle. Wenn aber keine Schwanenjungfrau darin vorkommt, so bin ich enttäuscht.«
»Schwanenjungfrau?«
»Das ist eine nordische Sage. Königstöchter, die Schwanengewänder haben, in denen sie fliegen können. Kennst du nicht das Bild von Burne Jones, wo sich die Schwanenjungfrauen an dem See niederlassen und ihre Gewänder abwerfen? Wenn nun einer die Gewänder findet und sie ihnen wegnimmt, so sind sie gefangen und können nicht mehr zurückfliegen. Aber der das Schwanengewand hat, muß es verbrennen, denn sonst findet es die Königstochter eines Tages, und wenn sie dem Manne auch Kinder geschenkt hat, so muß sie doch davon. Und wenn sie ihr Gewand wieder übergeworfen hat, ist sie wieder Jungfrau geworden. Und der Mann hat keinen Teil mehr an ihr und kann ihr in die blaue Luft nachsehen.«
»Nun weiß ich nicht, ob du zufrieden sein wirst, Harro.«
Und Rosmarie erzählt.
»Es war ein Braunecker, ein Ritter in Eisenharnisch und Sturmhaube. Er ritt durch einen grün-grünen Wald. Auf feinem Schilde brannte ein rotes Kreuz, denn er war auf dem Wege zum Heiligen Grabe, zu dessen Befreiung er sich verlobt hatte. Seine Mannen ritten hinter ihm drein, und das Schnauben ihrer Pferde, das Klirren ihrer Rüstungen scholl durch den Wald, daß die Vögel von den Zweigen aufflogen und ihr Singen verstummte. Da sah der Braunecker, daß ein grüner Pfad vom Wege abbog, und gleich am Eingang stand eine hohe brennend rote Lilie, wie er noch nie eine gesehen hatte. Da ritt er in den Weg hinein, weil es ihn lockte, und er dachte, er werde schon wieder auf die breite Straße zurückkommen. Die Hufe seines Pferdes versanken fast lautlos in dem hohen weichen Gras. Schmetterlinge flogen vor ihm her, und die Zweige der Buchen neigten sich wie ein grünes Tor. Da hörte er von ferne ein wunderbares Klingen und Tönen, als sänge das Vöglein Wunderhold, und wieder war's, als lachte es, und auch das Lachen wurde zu einem feinen, perlenden Strahl. Da ritt er den Tönen nach immer weiter und tiefer in den grün-grünen Wald. Da öffnete sich das grüne Tor, und er kam auf eine kleine Wiese, hinter der eine hohe Felsmauer aufstieg. Die Wiese stand voll weißer Sternblumen