Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin
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Als er sah, daß das kleine Mädchen in seinen Armen die Augen geöffnet hatte und sich verwundert umsah, hielt er inne, um ihr ein paar zärtliche Worte in das Ohr zu sagen und sie neben sich auf den Boden zu stellen. Dann wickelte er langsam eine ihrer langen Flechten um seinen rauhen Zeigefinger wie einen Ring, während sie sich an sein bestaubtes Bein klammerte, und sagte zu Trotty: »Ich bin kein störrischer Mann von Natur, glaube ich, und ich bin leicht zufriedenzustellen, das weiß ich. Ich hege gegen keinen Menschen einen bösen Gedanken; nur leben will ich wie ein Geschöpf des Allmächtigen. Ich kann es nicht, ich tue es nicht, und so ist eine Grube gegraben zwischen mir und denen, die es können und tun. Gleich mir gibt es noch andere. Ihr könnt sie eher nach Hunderten und nach Tausenden, als nach Einern zählen.«
Trotty wußte, er sprach damit die Wahrheit, und schüttelte den Kopf, um dem beizustimmen.
»Ich habe mir auf diese Weise einen bösen Namen gemacht«, sagte Fern, »und ich fürchte, daß ich mir wahrscheinlich keinen besseren erwerben werde. Es ist nicht recht, mürrisch zu sein, und ich bin mürrisch, obgleich Gott weiß, daß ich lieber heiter sein möchte, wenn es nur in meiner Macht wäre. Ich weiß nicht, ob mir dieser Ratsherr viel schaden könnte, wenn er mich in das Gefängnis schickte; aber ohne einen Freund, der für mich ein gutes Wort einlegte, würde er es vielleicht tun; und Ihr seht« – und er zeigte mit dem Finger auf das Kind.
»Sie hat ein schönes Gesicht«, sagte Trotty.
»O ja«, entgegnete der andere mit leiser Stimme, indem er es mit beiden Händen liebevoll dem seinen zukehrte und es aufmerksam anblickte. »Ich habe oftmals so gedacht. Ich habe es gedacht, wenn mein Herd sehr kalt und mein Schrank sehr leer war. Ich dachte es kürzlich, als wir wie zwei Diebe aufgegriffen wurden. Aber sie – sie sollten das kleine Gesicht nicht so oft belästigen, nicht wahr, Lilly? Das heißt einem Manne hart zusetzen!«
Er sprach allmählich so leise und blickte sie mit einer so milden und sonderbaren Miene an, daß Toby, um seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, fragte, ob seine Frau noch am Leben sei.
»Ich habe niemals eine gehabt«, entgegnete er kopfschüttelnd; »sie ist meines Bruders Kind, eine Waise. Neun Jahre alt, obgleich es Euch sehr unwahrscheinlich vorkommen mag; doch sie ist jetzt müde und matt. Die Union wollte für sie sorgen, achtundzwanzig Meilen von unserm Dorf entfernt; zwischen vier Wänden, wie sie meinen alten Vater versorgten, als er nicht mehr arbeiten konnte, doch er hat sie nicht lange mehr belästigt, ich nahm sie aber an Kindes Statt an, und sie hat seit der Zeit bei mir gelebt, Ihre Mutter hatte eine Verwandte hier in London. Wir bemühen uns sie zu finden; doch es ist eine große Stadt. Doch das macht nichts. Desto mehr Raum haben wir darin umherzugehen, Lilly.«
Er sah dem Kinde mit einem Lächeln in die Augen, das Toby mehr rührte als Tränen, und er schüttelte ihm die Hand.
»Ich weiß nicht einmal Euren Namen«, sagte er, »und doch habe ich Euch mein Herz ausgeschüttet; denn ich bin Euch dankbar und habe guten Grund dazu. Ich werde Euren Rat befolgen und mich hüten vor diesem –«
»Richter«, ergänzte Toby.
»Ah!« sagte er, »wenn das der Name ist, den man ihm gibt. Also vor diesem Richter. Und morgen will ich versuchen, ob ich irgendwo in der Nähe von London etwas mehr Glück habe. Gute Nacht! Glückliches neues Jahr!«
»Halt«, sagte Toby und ergriff seine Hand, als jener die seine losließ; »halt! das neue Jahr könnte nicht glücklich für mich sein, wenn wir so scheiden wollten. Das neue Jahr würde kein Glück bringen, wenn ich das Kind und Euch umherirren sähe. Ihr wißt nicht wohin und habt kein Obdach, wo Ihr Euer Haupt hinlegen könntet. Kommt mit mir nach Hause! Ich bin ein armer Mann und wohne ärmlich; aber ich kann Euch ein Nachtquartier geben, ohne daß mir deswegen etwas abgeht. Kommt mit mir heim! So! Ich will sie nehmen«, sagte Trotty und nahm das Kind auf den Arm. »Ein liebes Kind! Ich wollte eine Last tragen, die zwanzigmal so schwer wäre, und würde nicht wissen, daß ich etwas auf den Schultern hätte. Sagt mir, wenn ich zu schnell für Euch gehe. Ich bin sehr schnell zu Fuß. Das war ich immer.« Als Trotty dies sagte, machte er sechs seiner trabenden Schritte, während sein ermüdeter Begleiter einen tat, und seine dünnen Beine zitterten wieder unter der Last, die er trug.
»O, sie ist so leicht«, sagte Trotty und trabte in seiner Rede sowohl wie in seinem Gange; denn er wollte keinen Dank hören und fürchtete auch nur eine augenblickliche Pause. »So leicht wie eine Feder. Leichter wie eine Pfauenfeder – unendlich viel leichter. Hier sind wir und hier gehen wir! Um die erste Ecke rechts, Onkel Will, und an der Pumpe vorüber und links gerade die Straße hinauf dem Wirtshause gegenüber. Hier sind wir und hier gehen wir! Die Marställe hinunter, Onkel Will, und an der schwarzen Tür angehalten, über der auf einem Schilde ›T. Veck, Packträger‹ steht; und hier sind wir und hier gehen wir, und hier sind wir in eigener Person, meine liebe Meg, und werden dir eine Überraschung bereiten.«
Bei diesen Worten setzte Trotty atemlos das Kind vor seiner Tochter in der Stube nieder. Das kleine Mädchen sah Meg in das Gesicht und, da es darin nichts Zweifelhaftes, sondern nur Vertrauenerweckendes fand, so lief es in ihre Arme.
»Hier sind wir und hier gehen wir!« sagte Trotty und lief hörbar keuchend in dem Kämmerchen umher. »Hier, Onkel Will, hier ist Feuer, seht Ihr! Warum kommt Ihr nicht an das Feuer? O, hier sind wir und hier gehen wir! Meg, mein lieber Schatz, wo ist der Teekessel? Hier ist er und hier geht er, und bald wird er kochen!«
Trotty hatte in der Tat den Teekessel auf seiner wilden Irrfahrt irgendwo gefunden und stellte ihn jetzt an das Feuer, während Meg, die das Kind in eine warme Ecke gesetzt hatte, vor demselben auf dem Boden niederkniete, ihr die Schuhe auszog und ihre nassen Füßchen mit einem Tuche abtrocknete. Ja, und sie lächelte Trotty entgegen – so fröhlich, so heiter, daß Trotty sie hätte segnen können, wie sie dort kniete, denn er hatte gesehen, daß sie bei ihrem Eintritt am Feuer saß und weinte.
»Ei, Vater«, sagte Meg, »du bist ja heute recht vergnügt. Ich möchte wissen, was die Glocken dazu sagen würden? Die armen kleinen Füßchen, wie kalt sie sind!«
»O, sie sind jetzt wärmer«, rief das Kind, »sie sind nun ganz warm.«
»Nein, nein, nein« sagte Meg, »wir haben sie noch lange nicht genug gerieben. Wir haben so viel zu tun, so viel! Und wenn sie getrocknet sind, wollen wir das feuchte Haar kämmen; und haben wir das getan, wollen wir mit frischem Wasser wieder etwas Farbe in das bleiche Gesicht bringen; und dann wollen wir munter, fröhlich und glücklich sein.«
Das Kind brach in Tränen aus, schlang den Arm um ihren Hals, streichelte mit der Hand ihre schöne Wange und sagte: »O liebe Meg!«
Tobys Segen hatte nicht mehr tun können. Wer könnte mehr tun!
»Ei, Vater!« sagte Meg nach einer Pause.
»Hier bin ich und hier gehe ich, mein Liebling!« erwiderte Trotty.
»Du Grundgütiger«, rief Meg aus, »er ist närrisch! Er hat die Haube des lieben